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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Gründung an mit Nothwendigkeit hervortretende Eifersucht der beiden
Großstaaten würde die beiden Mittelstaaten (unbequeme Kleinstaaten sind
außer der Republik San Marino nicht vorhanden) sofort und dauernd in die
angenehme Lage bringen, ihr Vermitlleramt zu üben, und in die Hände
der Schwachen würde die Macht gelegt werden, den Starken ihre Gebote
zu dictiren, insofern nämlich die starken fich dies gefallen lassen; von Pie-
mont läßt sich voraussehen, daß es die Geduldprobe schlecht bestehen würde.
Kurz statt die Einigung festzustellen, würde der Bund nur die Zersplitterung
organisiren, statt die Freiheit zu gründen, würde er dem Mazzinismns die
Wege bahnen, die gegenwärtig Piemont mit Aufbietung aller Kräfte ihm ver-
schlossen hält.

Diese Combination soll nach Guizot nichl blos den Freiheitsbedürfuissen
Italiens Genüge leisten, sie soll auch die beste Bürgschaft für die Unabhängig-
feil der Nation bieten. Italien sei seiner ganzen Lage nach auf die Defen¬
sive angewiesen. Um diese Weltstellung auszufüllen, bedürfe es weder centrali-
sirter Staatseinrichtungen, noch starker militärischer Kräfte, 'daher sei der
Staatenbund die normale Verfassung für Italien. Die Richtigkeit der Ansicht,
daß das moderne Italien von der Natur nicht zu einem erobernden Staate
bestimmt sei, muß ohne Bedenken zugegeben werden. Es >si aber ein Irr¬
thum, daß eine Nation, die ihrer Natur nach auf die Defensive angewiesen
ist, deshalb einer starken Entwicklung ihrer militärischen Hilfsmittel und vor
Allem einer einheitlichen Verfügung über dieselben entbehren könne. Die von
Guizot angeführten geschichtlichen Beispiele haben keine genügende Beweis¬
kraft. In Griechenland wurde der Mangel einheitlicher Concentration bis zu
einem gewissen Grade durch das wenigstens dem Ausland gegenüber außer¬
ordentlich starke, ja schroffe Nattonalgesühl ersetzt; dessenungeachtet nöthigte
auch Griechenland die äußere Gefahr, aus einheitlichere Einrichtungen zu
denken; daß diese Versuche sich uur aus die Herstellung vou Sonderbündnissen
richten konnten, ja daß die wahrhaft nationalen Bedürfnisse, wen" überhaupt,
nur auf dem Wege der Sonderbündnisse Befriedigung zu finden hoffen durf¬
ten, hatte seinen Grund lediglich in dem sür Griechenlands Geschichte so ver-
hängnißvollen Dualismus, der durch die Mittelstaaten nicht, wie der Trias¬
theorie entsprechen würde, ausgeglichen, sondern zum vernichtenden Bürgerkriege
gesteigert wurde. Weil an diesem unseligen Verhältnisse alle Einigungsver¬
suche scheiterten, weil jede innere Katastrophe das Band zwischen den einzelnen
Staaten mehr und mehr lockerte, deshalb ist Griechenland zu Grunde gegan¬
gen. Das Beispiel ist also doch gewiß nicht für die Vorzüge eines lockeren
Bundesverhültnisses beweisend. Ebensowenig die Niederlande, welche ihre
Sicherheit lange Zeit hindurch ihrer Unangreifbarkeit als Seemacht verdankten,
grade aber durch die Gefahr, die von Frankreich drohte, getrieben.wurden,


Grenzboten I. 1862. 4i)

Gründung an mit Nothwendigkeit hervortretende Eifersucht der beiden
Großstaaten würde die beiden Mittelstaaten (unbequeme Kleinstaaten sind
außer der Republik San Marino nicht vorhanden) sofort und dauernd in die
angenehme Lage bringen, ihr Vermitlleramt zu üben, und in die Hände
der Schwachen würde die Macht gelegt werden, den Starken ihre Gebote
zu dictiren, insofern nämlich die starken fich dies gefallen lassen; von Pie-
mont läßt sich voraussehen, daß es die Geduldprobe schlecht bestehen würde.
Kurz statt die Einigung festzustellen, würde der Bund nur die Zersplitterung
organisiren, statt die Freiheit zu gründen, würde er dem Mazzinismns die
Wege bahnen, die gegenwärtig Piemont mit Aufbietung aller Kräfte ihm ver-
schlossen hält.

Diese Combination soll nach Guizot nichl blos den Freiheitsbedürfuissen
Italiens Genüge leisten, sie soll auch die beste Bürgschaft für die Unabhängig-
feil der Nation bieten. Italien sei seiner ganzen Lage nach auf die Defen¬
sive angewiesen. Um diese Weltstellung auszufüllen, bedürfe es weder centrali-
sirter Staatseinrichtungen, noch starker militärischer Kräfte, 'daher sei der
Staatenbund die normale Verfassung für Italien. Die Richtigkeit der Ansicht,
daß das moderne Italien von der Natur nicht zu einem erobernden Staate
bestimmt sei, muß ohne Bedenken zugegeben werden. Es >si aber ein Irr¬
thum, daß eine Nation, die ihrer Natur nach auf die Defensive angewiesen
ist, deshalb einer starken Entwicklung ihrer militärischen Hilfsmittel und vor
Allem einer einheitlichen Verfügung über dieselben entbehren könne. Die von
Guizot angeführten geschichtlichen Beispiele haben keine genügende Beweis¬
kraft. In Griechenland wurde der Mangel einheitlicher Concentration bis zu
einem gewissen Grade durch das wenigstens dem Ausland gegenüber außer¬
ordentlich starke, ja schroffe Nattonalgesühl ersetzt; dessenungeachtet nöthigte
auch Griechenland die äußere Gefahr, aus einheitlichere Einrichtungen zu
denken; daß diese Versuche sich uur aus die Herstellung vou Sonderbündnissen
richten konnten, ja daß die wahrhaft nationalen Bedürfnisse, wen» überhaupt,
nur auf dem Wege der Sonderbündnisse Befriedigung zu finden hoffen durf¬
ten, hatte seinen Grund lediglich in dem sür Griechenlands Geschichte so ver-
hängnißvollen Dualismus, der durch die Mittelstaaten nicht, wie der Trias¬
theorie entsprechen würde, ausgeglichen, sondern zum vernichtenden Bürgerkriege
gesteigert wurde. Weil an diesem unseligen Verhältnisse alle Einigungsver¬
suche scheiterten, weil jede innere Katastrophe das Band zwischen den einzelnen
Staaten mehr und mehr lockerte, deshalb ist Griechenland zu Grunde gegan¬
gen. Das Beispiel ist also doch gewiß nicht für die Vorzüge eines lockeren
Bundesverhültnisses beweisend. Ebensowenig die Niederlande, welche ihre
Sicherheit lange Zeit hindurch ihrer Unangreifbarkeit als Seemacht verdankten,
grade aber durch die Gefahr, die von Frankreich drohte, getrieben.wurden,


Grenzboten I. 1862. 4i)
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[0321] Gründung an mit Nothwendigkeit hervortretende Eifersucht der beiden Großstaaten würde die beiden Mittelstaaten (unbequeme Kleinstaaten sind außer der Republik San Marino nicht vorhanden) sofort und dauernd in die angenehme Lage bringen, ihr Vermitlleramt zu üben, und in die Hände der Schwachen würde die Macht gelegt werden, den Starken ihre Gebote zu dictiren, insofern nämlich die starken fich dies gefallen lassen; von Pie- mont läßt sich voraussehen, daß es die Geduldprobe schlecht bestehen würde. Kurz statt die Einigung festzustellen, würde der Bund nur die Zersplitterung organisiren, statt die Freiheit zu gründen, würde er dem Mazzinismns die Wege bahnen, die gegenwärtig Piemont mit Aufbietung aller Kräfte ihm ver- schlossen hält. Diese Combination soll nach Guizot nichl blos den Freiheitsbedürfuissen Italiens Genüge leisten, sie soll auch die beste Bürgschaft für die Unabhängig- feil der Nation bieten. Italien sei seiner ganzen Lage nach auf die Defen¬ sive angewiesen. Um diese Weltstellung auszufüllen, bedürfe es weder centrali- sirter Staatseinrichtungen, noch starker militärischer Kräfte, 'daher sei der Staatenbund die normale Verfassung für Italien. Die Richtigkeit der Ansicht, daß das moderne Italien von der Natur nicht zu einem erobernden Staate bestimmt sei, muß ohne Bedenken zugegeben werden. Es >si aber ein Irr¬ thum, daß eine Nation, die ihrer Natur nach auf die Defensive angewiesen ist, deshalb einer starken Entwicklung ihrer militärischen Hilfsmittel und vor Allem einer einheitlichen Verfügung über dieselben entbehren könne. Die von Guizot angeführten geschichtlichen Beispiele haben keine genügende Beweis¬ kraft. In Griechenland wurde der Mangel einheitlicher Concentration bis zu einem gewissen Grade durch das wenigstens dem Ausland gegenüber außer¬ ordentlich starke, ja schroffe Nattonalgesühl ersetzt; dessenungeachtet nöthigte auch Griechenland die äußere Gefahr, aus einheitlichere Einrichtungen zu denken; daß diese Versuche sich uur aus die Herstellung vou Sonderbündnissen richten konnten, ja daß die wahrhaft nationalen Bedürfnisse, wen» überhaupt, nur auf dem Wege der Sonderbündnisse Befriedigung zu finden hoffen durf¬ ten, hatte seinen Grund lediglich in dem sür Griechenlands Geschichte so ver- hängnißvollen Dualismus, der durch die Mittelstaaten nicht, wie der Trias¬ theorie entsprechen würde, ausgeglichen, sondern zum vernichtenden Bürgerkriege gesteigert wurde. Weil an diesem unseligen Verhältnisse alle Einigungsver¬ suche scheiterten, weil jede innere Katastrophe das Band zwischen den einzelnen Staaten mehr und mehr lockerte, deshalb ist Griechenland zu Grunde gegan¬ gen. Das Beispiel ist also doch gewiß nicht für die Vorzüge eines lockeren Bundesverhültnisses beweisend. Ebensowenig die Niederlande, welche ihre Sicherheit lange Zeit hindurch ihrer Unangreifbarkeit als Seemacht verdankten, grade aber durch die Gefahr, die von Frankreich drohte, getrieben.wurden, Grenzboten I. 1862. 4i)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/321>, abgerufen am 23.07.2024.