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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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einige Tage später von dem nun für Comonfort sümpfenden Vidamri in San
Luis Potosi gefangen genommen wurde.

Alles schien sich vortheilhaft für Comonfort zu gestalten. Am 5. Febr.
1857 vollendete der Kongreß die neue Verfassung, in welcher zum ersten Mal
religiöse Duldung, Freiheit des Unterrichts und der Presse, sowie Aufhebung
der besondern Gerichtsbarkeit ausgesprochen wurde, und nach der die welt¬
lichen und geistlichen Körperschaften keine liegenden Güter besitzen konnten.
Der Präsident beschwor dieselbe am 17. März, verblieb aber bis zum 5. Sep¬
tember, wo sie ins Leben treten sollte, im Besitz der bisherigen außerordent¬
lichen Vollmachten. In allen Staaten wurden Bürger und Militär auf die
neue Verfassung vereidigt, und obwohl die Bischöfe durch Hirtenbriefe Allen,
welche die Constitution beschwören würden, mit Excommunication drohten,
ging der Act allenthalben ohne Weigerung der Betreffenden vor sich.

Alles schien in bester Ordnung, als das mühsam aufgeführte Gebäude
plötzlich wieder zusammenfiel. Am 8. Oct. trat der Kongreß wieder zusammen.
Comonfort verlangte Erneuerung seiner außerordentlichen Vollmachten, aber
die Versammlung weigerte sich, obwohl in den einzelnen Staaten den Gouver¬
neuren von den betreffenden Congressen solche Vollmachten ertheilt waren,
und die Republik somit die Anomalie zeigte, daß Unterbeamte sich vermöge
außerordentlicher Befugnisse über die Verfassung hinwegsetzen konnten, während
das Oberhaupt des Staats, durch letztere gebunden, nicht die Macht besaß,
seine Gegner zu bekämpfen und die Constitution zu vertheidigen. Comon-
fort sah, daß so nicht zu regieren war, und schon war er im Begriff, durch
unen Staatsstreich dieser unnatürlichen Lage ein Ende zu machen, als die
Armee ihm zuvorkam.

Am 17. Dec. pronuncirte sich der General Felix Zuluaga in Tacubaya
gegen die Verfassung, jagte den radicalen Congreß auseinander und vermochte
Comonfort, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen. Letzterer ernannte
einen aus liberalen und reactionären Elementen zusammengesetzten Staats- ,
rath und versuchte durch Vermittelung der Parteien die Negierung fortzuführen.
Allein weder die liberale noch die klerikale Partei schenkte ihm Zutrauen.
Jene, an der Constitution festhaltend, erhob den Vorsitzenden des obersten
Gerichtshofs Benito Juarez zum Präsidenten; diese veranlaßte, daß die Bri¬
gade Zuluaga sich am 11. Jan. 1858 aufs Neue empörte. Comonfort ab¬
setzte und ihren Führer zum Präsidenten proclamirte. Umsonst versuchte
Comonfort sick wieder den Liberalen zuzuwenden, vergeblich, sich mit den weni¬
gen Truppen, die ihm treu geblieben, gegen die durch zahlreichen Zuzug von
Reaktionären verstärkten Aufständischen in der Hauptstadt zu vertheidigen.
Am 7. Febr. dankte er ab und schiffte sich nach den Ver. Staaten ein, und
Zuluaga nahm im Namen der Priesterpartei Besitz vom Präsidentenstuhl, von


einige Tage später von dem nun für Comonfort sümpfenden Vidamri in San
Luis Potosi gefangen genommen wurde.

Alles schien sich vortheilhaft für Comonfort zu gestalten. Am 5. Febr.
1857 vollendete der Kongreß die neue Verfassung, in welcher zum ersten Mal
religiöse Duldung, Freiheit des Unterrichts und der Presse, sowie Aufhebung
der besondern Gerichtsbarkeit ausgesprochen wurde, und nach der die welt¬
lichen und geistlichen Körperschaften keine liegenden Güter besitzen konnten.
Der Präsident beschwor dieselbe am 17. März, verblieb aber bis zum 5. Sep¬
tember, wo sie ins Leben treten sollte, im Besitz der bisherigen außerordent¬
lichen Vollmachten. In allen Staaten wurden Bürger und Militär auf die
neue Verfassung vereidigt, und obwohl die Bischöfe durch Hirtenbriefe Allen,
welche die Constitution beschwören würden, mit Excommunication drohten,
ging der Act allenthalben ohne Weigerung der Betreffenden vor sich.

Alles schien in bester Ordnung, als das mühsam aufgeführte Gebäude
plötzlich wieder zusammenfiel. Am 8. Oct. trat der Kongreß wieder zusammen.
Comonfort verlangte Erneuerung seiner außerordentlichen Vollmachten, aber
die Versammlung weigerte sich, obwohl in den einzelnen Staaten den Gouver¬
neuren von den betreffenden Congressen solche Vollmachten ertheilt waren,
und die Republik somit die Anomalie zeigte, daß Unterbeamte sich vermöge
außerordentlicher Befugnisse über die Verfassung hinwegsetzen konnten, während
das Oberhaupt des Staats, durch letztere gebunden, nicht die Macht besaß,
seine Gegner zu bekämpfen und die Constitution zu vertheidigen. Comon-
fort sah, daß so nicht zu regieren war, und schon war er im Begriff, durch
unen Staatsstreich dieser unnatürlichen Lage ein Ende zu machen, als die
Armee ihm zuvorkam.

Am 17. Dec. pronuncirte sich der General Felix Zuluaga in Tacubaya
gegen die Verfassung, jagte den radicalen Congreß auseinander und vermochte
Comonfort, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen. Letzterer ernannte
einen aus liberalen und reactionären Elementen zusammengesetzten Staats- ,
rath und versuchte durch Vermittelung der Parteien die Negierung fortzuführen.
Allein weder die liberale noch die klerikale Partei schenkte ihm Zutrauen.
Jene, an der Constitution festhaltend, erhob den Vorsitzenden des obersten
Gerichtshofs Benito Juarez zum Präsidenten; diese veranlaßte, daß die Bri¬
gade Zuluaga sich am 11. Jan. 1858 aufs Neue empörte. Comonfort ab¬
setzte und ihren Führer zum Präsidenten proclamirte. Umsonst versuchte
Comonfort sick wieder den Liberalen zuzuwenden, vergeblich, sich mit den weni¬
gen Truppen, die ihm treu geblieben, gegen die durch zahlreichen Zuzug von
Reaktionären verstärkten Aufständischen in der Hauptstadt zu vertheidigen.
Am 7. Febr. dankte er ab und schiffte sich nach den Ver. Staaten ein, und
Zuluaga nahm im Namen der Priesterpartei Besitz vom Präsidentenstuhl, von


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[0192] einige Tage später von dem nun für Comonfort sümpfenden Vidamri in San Luis Potosi gefangen genommen wurde. Alles schien sich vortheilhaft für Comonfort zu gestalten. Am 5. Febr. 1857 vollendete der Kongreß die neue Verfassung, in welcher zum ersten Mal religiöse Duldung, Freiheit des Unterrichts und der Presse, sowie Aufhebung der besondern Gerichtsbarkeit ausgesprochen wurde, und nach der die welt¬ lichen und geistlichen Körperschaften keine liegenden Güter besitzen konnten. Der Präsident beschwor dieselbe am 17. März, verblieb aber bis zum 5. Sep¬ tember, wo sie ins Leben treten sollte, im Besitz der bisherigen außerordent¬ lichen Vollmachten. In allen Staaten wurden Bürger und Militär auf die neue Verfassung vereidigt, und obwohl die Bischöfe durch Hirtenbriefe Allen, welche die Constitution beschwören würden, mit Excommunication drohten, ging der Act allenthalben ohne Weigerung der Betreffenden vor sich. Alles schien in bester Ordnung, als das mühsam aufgeführte Gebäude plötzlich wieder zusammenfiel. Am 8. Oct. trat der Kongreß wieder zusammen. Comonfort verlangte Erneuerung seiner außerordentlichen Vollmachten, aber die Versammlung weigerte sich, obwohl in den einzelnen Staaten den Gouver¬ neuren von den betreffenden Congressen solche Vollmachten ertheilt waren, und die Republik somit die Anomalie zeigte, daß Unterbeamte sich vermöge außerordentlicher Befugnisse über die Verfassung hinwegsetzen konnten, während das Oberhaupt des Staats, durch letztere gebunden, nicht die Macht besaß, seine Gegner zu bekämpfen und die Constitution zu vertheidigen. Comon- fort sah, daß so nicht zu regieren war, und schon war er im Begriff, durch unen Staatsstreich dieser unnatürlichen Lage ein Ende zu machen, als die Armee ihm zuvorkam. Am 17. Dec. pronuncirte sich der General Felix Zuluaga in Tacubaya gegen die Verfassung, jagte den radicalen Congreß auseinander und vermochte Comonfort, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen. Letzterer ernannte einen aus liberalen und reactionären Elementen zusammengesetzten Staats- , rath und versuchte durch Vermittelung der Parteien die Negierung fortzuführen. Allein weder die liberale noch die klerikale Partei schenkte ihm Zutrauen. Jene, an der Constitution festhaltend, erhob den Vorsitzenden des obersten Gerichtshofs Benito Juarez zum Präsidenten; diese veranlaßte, daß die Bri¬ gade Zuluaga sich am 11. Jan. 1858 aufs Neue empörte. Comonfort ab¬ setzte und ihren Führer zum Präsidenten proclamirte. Umsonst versuchte Comonfort sick wieder den Liberalen zuzuwenden, vergeblich, sich mit den weni¬ gen Truppen, die ihm treu geblieben, gegen die durch zahlreichen Zuzug von Reaktionären verstärkten Aufständischen in der Hauptstadt zu vertheidigen. Am 7. Febr. dankte er ab und schiffte sich nach den Ver. Staaten ein, und Zuluaga nahm im Namen der Priesterpartei Besitz vom Präsidentenstuhl, von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/192>, abgerufen am 28.12.2024.