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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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und die Jungen riefen: "Wir haben den Vater commandiren hören, da
hat der Tambour getrommelt; ein andermal gehen wir mit. Als sie Hurrah
gerufen haben, ist die Mutter niedergefallen, sie hat geberet. wir alle mit."

Es war eine schöne Ruhe, aber sie dauerte nicht lange, ich mußte sogleich
wieder zu Pferde, die Posten zu revidiren. Und von da an ging es in
ewiger Aufregung Tag für Tag. , Am Tage die anstrengenden Feldarbeiten,
am Abend auf die Wache oder in die Alarmhäuscr, was auch nicht besser
war. Auf dem Tisch vor dem Sopha lagen meine Waffen und die Muni¬
tion; ich selbst habe des Nachts immer nur auf dem Sopha angekleidet ge¬
legen, um immer bei der Hand zu sein. Kleist revidirte vor Mitternacht, ich
oder Lachmann des Morgens; wir mußten jeden Augenblick auf eine Blut¬
hochzeit vorbereitet sein, und alle Energie gehörte dazu, unsere Leute bei
Muth und Spannung zu erhalten. Wie leicht ist es. disciplinirte Truppen
zu führen, und wie schwer, einen rohen Haufen zu einem Meinuugskampfe
zu begeistern. Ich wandte Alles an, Truppen hierher zu bekommen, es war
immer vergebens. Viele einzeln wohnende Bauern und Pächter flüchteten all¬
abendlich unter mein Dach, das ihnen noch am. sichersten erschien, alle Stu¬
ben waren gefüllt, es wurde recht einfach gekocht, damit doch eine größere
Anzahl erhalten konnte. Viele brachten sich auch mit. Das Haus war ganz
voll Kinder. Wenn die Gefahr groß war. wir viele Fanale brennen sahen
und in der Ferne geschossen wurde, durften die Kinder nicht ausgezogen wer¬
den. Es war eine ewige entsetzliche Aufregung. Was hätte ich schon des
moralischen Eindrucks wegen darum gegeben, wenn eine Truppenabtheilung
hierher gekommen wäre. Aber alle Staffetten waren vergebens, immer sollten
wir noch warten. Endlich kamen wenigstens Proclamationen von unserer Re¬
gierung. Das war doch etwas, es war doch ein Lebenszeichen.

An einem Morgen, da Alles bei der Arbeit war. kam der Reiterposten
von Slarziz angesprengt und meldete, daß ein Trupp Sensenmänner von dort
im Anmärsche sei. etwa 40 zu Pferde, 50 mit Flinten und 130 mit Sensen.
Mein Rechnungsführer wurde blaß wie Kalk, schon seine Angst gab mir die
Ruhe wieder, und mit der größten Ordnung wurden die Eilboten befördert,
um etwa 300 Mann und 80 Pferde zu sammeln und ihnen entgegen zu ge¬
hen. Jetzt kamen Stunden banger Erwartung; ich trat vor das Thor, da
sah ich schon in der Ferne den ersten polnischen Haufen heranziehen, noch
war ich ganz allein. Aber schon kamen die Getreuen aus der Stadt und
den nächsten Dörfern herangezogen, und bevor die Polen herankamen, hatte
ich einen bewaffneten Haufen um mich versammelt. Es war Markttag, eine
Menge polnischer Bauern in der Stadt. Der polnische Trupp durfte also
nicht in die Stadt gelassen werden. Kleist, der so eben mit einigen Reitern
ankam, wollte sofort den Feind angreifen, indeß war das Terrain zu un-


und die Jungen riefen: „Wir haben den Vater commandiren hören, da
hat der Tambour getrommelt; ein andermal gehen wir mit. Als sie Hurrah
gerufen haben, ist die Mutter niedergefallen, sie hat geberet. wir alle mit."

Es war eine schöne Ruhe, aber sie dauerte nicht lange, ich mußte sogleich
wieder zu Pferde, die Posten zu revidiren. Und von da an ging es in
ewiger Aufregung Tag für Tag. , Am Tage die anstrengenden Feldarbeiten,
am Abend auf die Wache oder in die Alarmhäuscr, was auch nicht besser
war. Auf dem Tisch vor dem Sopha lagen meine Waffen und die Muni¬
tion; ich selbst habe des Nachts immer nur auf dem Sopha angekleidet ge¬
legen, um immer bei der Hand zu sein. Kleist revidirte vor Mitternacht, ich
oder Lachmann des Morgens; wir mußten jeden Augenblick auf eine Blut¬
hochzeit vorbereitet sein, und alle Energie gehörte dazu, unsere Leute bei
Muth und Spannung zu erhalten. Wie leicht ist es. disciplinirte Truppen
zu führen, und wie schwer, einen rohen Haufen zu einem Meinuugskampfe
zu begeistern. Ich wandte Alles an, Truppen hierher zu bekommen, es war
immer vergebens. Viele einzeln wohnende Bauern und Pächter flüchteten all¬
abendlich unter mein Dach, das ihnen noch am. sichersten erschien, alle Stu¬
ben waren gefüllt, es wurde recht einfach gekocht, damit doch eine größere
Anzahl erhalten konnte. Viele brachten sich auch mit. Das Haus war ganz
voll Kinder. Wenn die Gefahr groß war. wir viele Fanale brennen sahen
und in der Ferne geschossen wurde, durften die Kinder nicht ausgezogen wer¬
den. Es war eine ewige entsetzliche Aufregung. Was hätte ich schon des
moralischen Eindrucks wegen darum gegeben, wenn eine Truppenabtheilung
hierher gekommen wäre. Aber alle Staffetten waren vergebens, immer sollten
wir noch warten. Endlich kamen wenigstens Proclamationen von unserer Re¬
gierung. Das war doch etwas, es war doch ein Lebenszeichen.

An einem Morgen, da Alles bei der Arbeit war. kam der Reiterposten
von Slarziz angesprengt und meldete, daß ein Trupp Sensenmänner von dort
im Anmärsche sei. etwa 40 zu Pferde, 50 mit Flinten und 130 mit Sensen.
Mein Rechnungsführer wurde blaß wie Kalk, schon seine Angst gab mir die
Ruhe wieder, und mit der größten Ordnung wurden die Eilboten befördert,
um etwa 300 Mann und 80 Pferde zu sammeln und ihnen entgegen zu ge¬
hen. Jetzt kamen Stunden banger Erwartung; ich trat vor das Thor, da
sah ich schon in der Ferne den ersten polnischen Haufen heranziehen, noch
war ich ganz allein. Aber schon kamen die Getreuen aus der Stadt und
den nächsten Dörfern herangezogen, und bevor die Polen herankamen, hatte
ich einen bewaffneten Haufen um mich versammelt. Es war Markttag, eine
Menge polnischer Bauern in der Stadt. Der polnische Trupp durfte also
nicht in die Stadt gelassen werden. Kleist, der so eben mit einigen Reitern
ankam, wollte sofort den Feind angreifen, indeß war das Terrain zu un-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/174>, abgerufen am 23.07.2024.