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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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die überladene Waffe traf nicht, sprang aber und verwundete einen Schützen
am Fuß. daß er fortgetragen werden mußte. Mehrmals bemerkten wir. daß
in verdächtigen Häusern.Dachziegel aufgehoben wurden und Flintenläufe sich
herunterrichtcten. Ich ließ zwei Häuser ganz durchsuchen und alle Waffen
darin fortnehmen, und erklärte laut, ich würde beim nächsten Fall dieser Art
das Haus der Erde gleich machen lassen. Da hörten die Versuche auf. Alles
Mögliche wurde angewandt, mich von meinem Posten zu bringen und ich
mußte alle Ruhe zusammennehmen, um die aufgeregten Gemüther mit Be¬
sonnenheit zu leiten. Die Polen sollten meine Vorwerke abgebrannt haben,
sie sollten auf den Dörfern plündern, auf dem Amte meine Frau und Kinder
mißhandeln. Ich sandte Patrouillen ab und einige sichere Schützen in meine
Wohnung unter dem Vorwande, sie sollten dort Patronen machen. Nach
Thorn, nach Bromberg und Gnesen hatte ich um militärische Hilfe geschrie¬
ben; die Bitte blieb erfolglos, und ich mußte überlegen, wie ich mit diesem
Haufen mich länger würde halten können. Denn die Meuterei riß ein, es
war sicher, daß sie stündlich zunehmen würde, und ich mußte bedenken, daß
bei längerem Zusammensein einer solchen Menge die strengste Disciplin nö-
thig sein würde.. So saß ich auf einer Erhöhung vor einem Hause am
Markt, da tritt ein polnischer Pächter mit zwei aufgezogenen Reiterpistolen,
in jeder Hand eine, auf mich zu; erschrocken weicht die Menge, ich stehe aus
und gehe ihm entgegen, "aber Bratzki bist du toll, du willst nach mir
schießen?" Jetzt trat er zurück an ein Haus, ich hörte viele Hähne hinter
mir knacken, ich sah mich um, die Schützen hatten auf den Unglücklichen an¬
gelegt. Ich riß mir den Pelz auf und rief: "Wer schießen will, trifft mich,
mit meinem Leben werde ich ihn schützen." So trat ich rückwärts an ihn,
als ich ihn erreichen konnte, sprangich herum und ergriff mit einem Ruck seine Arme
und entriß ihm die Pistolen, er sank an mir nieder und bat um sein Leben.
"Nicht allein das Leben, sondern auch deine Waffen sollst du haben! jetzt
aber geh nach Hause und schlafe aus." Darauf aber erklärte ich laut, beim
nächsten Fall würde ich sofort erschießen lassen, ich hatte es wohl erwogen
und hätte es ruhig ausgeführt.

Unterdeß bekam ich von dem General Hirschfeld den Bescheid. 14 Tage
möchte ich mich halten, dann komme er von seinem Zuge zurück. Das war
mit dieser Menschenmasse nicht möglich, schon deshalb nicht, weil der Pro¬
viant nicht beschafft werden konnte. Daher faßte ich meinen Entschluß, ich
übergab die Bewachung der Stadt der Schützengilde, löste das Heer der Sen¬
senmänner aus, stellte Cavalerievedetten bis an die Vorwerke, richtete Alarm¬
häuser für die Nacht ein und veranlaßte die Dorfgemeinden, eben solche
Häuser einzurichten und sich im steten Rapport mit mir zu halten. Jetzt eilte
ich nach Hause zu Weib und Kind. Meine Frau weinte herzlich vor Freude,


die überladene Waffe traf nicht, sprang aber und verwundete einen Schützen
am Fuß. daß er fortgetragen werden mußte. Mehrmals bemerkten wir. daß
in verdächtigen Häusern.Dachziegel aufgehoben wurden und Flintenläufe sich
herunterrichtcten. Ich ließ zwei Häuser ganz durchsuchen und alle Waffen
darin fortnehmen, und erklärte laut, ich würde beim nächsten Fall dieser Art
das Haus der Erde gleich machen lassen. Da hörten die Versuche auf. Alles
Mögliche wurde angewandt, mich von meinem Posten zu bringen und ich
mußte alle Ruhe zusammennehmen, um die aufgeregten Gemüther mit Be¬
sonnenheit zu leiten. Die Polen sollten meine Vorwerke abgebrannt haben,
sie sollten auf den Dörfern plündern, auf dem Amte meine Frau und Kinder
mißhandeln. Ich sandte Patrouillen ab und einige sichere Schützen in meine
Wohnung unter dem Vorwande, sie sollten dort Patronen machen. Nach
Thorn, nach Bromberg und Gnesen hatte ich um militärische Hilfe geschrie¬
ben; die Bitte blieb erfolglos, und ich mußte überlegen, wie ich mit diesem
Haufen mich länger würde halten können. Denn die Meuterei riß ein, es
war sicher, daß sie stündlich zunehmen würde, und ich mußte bedenken, daß
bei längerem Zusammensein einer solchen Menge die strengste Disciplin nö-
thig sein würde.. So saß ich auf einer Erhöhung vor einem Hause am
Markt, da tritt ein polnischer Pächter mit zwei aufgezogenen Reiterpistolen,
in jeder Hand eine, auf mich zu; erschrocken weicht die Menge, ich stehe aus
und gehe ihm entgegen, „aber Bratzki bist du toll, du willst nach mir
schießen?" Jetzt trat er zurück an ein Haus, ich hörte viele Hähne hinter
mir knacken, ich sah mich um, die Schützen hatten auf den Unglücklichen an¬
gelegt. Ich riß mir den Pelz auf und rief: „Wer schießen will, trifft mich,
mit meinem Leben werde ich ihn schützen." So trat ich rückwärts an ihn,
als ich ihn erreichen konnte, sprangich herum und ergriff mit einem Ruck seine Arme
und entriß ihm die Pistolen, er sank an mir nieder und bat um sein Leben.
„Nicht allein das Leben, sondern auch deine Waffen sollst du haben! jetzt
aber geh nach Hause und schlafe aus." Darauf aber erklärte ich laut, beim
nächsten Fall würde ich sofort erschießen lassen, ich hatte es wohl erwogen
und hätte es ruhig ausgeführt.

Unterdeß bekam ich von dem General Hirschfeld den Bescheid. 14 Tage
möchte ich mich halten, dann komme er von seinem Zuge zurück. Das war
mit dieser Menschenmasse nicht möglich, schon deshalb nicht, weil der Pro¬
viant nicht beschafft werden konnte. Daher faßte ich meinen Entschluß, ich
übergab die Bewachung der Stadt der Schützengilde, löste das Heer der Sen¬
senmänner aus, stellte Cavalerievedetten bis an die Vorwerke, richtete Alarm¬
häuser für die Nacht ein und veranlaßte die Dorfgemeinden, eben solche
Häuser einzurichten und sich im steten Rapport mit mir zu halten. Jetzt eilte
ich nach Hause zu Weib und Kind. Meine Frau weinte herzlich vor Freude,


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[0173] die überladene Waffe traf nicht, sprang aber und verwundete einen Schützen am Fuß. daß er fortgetragen werden mußte. Mehrmals bemerkten wir. daß in verdächtigen Häusern.Dachziegel aufgehoben wurden und Flintenläufe sich herunterrichtcten. Ich ließ zwei Häuser ganz durchsuchen und alle Waffen darin fortnehmen, und erklärte laut, ich würde beim nächsten Fall dieser Art das Haus der Erde gleich machen lassen. Da hörten die Versuche auf. Alles Mögliche wurde angewandt, mich von meinem Posten zu bringen und ich mußte alle Ruhe zusammennehmen, um die aufgeregten Gemüther mit Be¬ sonnenheit zu leiten. Die Polen sollten meine Vorwerke abgebrannt haben, sie sollten auf den Dörfern plündern, auf dem Amte meine Frau und Kinder mißhandeln. Ich sandte Patrouillen ab und einige sichere Schützen in meine Wohnung unter dem Vorwande, sie sollten dort Patronen machen. Nach Thorn, nach Bromberg und Gnesen hatte ich um militärische Hilfe geschrie¬ ben; die Bitte blieb erfolglos, und ich mußte überlegen, wie ich mit diesem Haufen mich länger würde halten können. Denn die Meuterei riß ein, es war sicher, daß sie stündlich zunehmen würde, und ich mußte bedenken, daß bei längerem Zusammensein einer solchen Menge die strengste Disciplin nö- thig sein würde.. So saß ich auf einer Erhöhung vor einem Hause am Markt, da tritt ein polnischer Pächter mit zwei aufgezogenen Reiterpistolen, in jeder Hand eine, auf mich zu; erschrocken weicht die Menge, ich stehe aus und gehe ihm entgegen, „aber Bratzki bist du toll, du willst nach mir schießen?" Jetzt trat er zurück an ein Haus, ich hörte viele Hähne hinter mir knacken, ich sah mich um, die Schützen hatten auf den Unglücklichen an¬ gelegt. Ich riß mir den Pelz auf und rief: „Wer schießen will, trifft mich, mit meinem Leben werde ich ihn schützen." So trat ich rückwärts an ihn, als ich ihn erreichen konnte, sprangich herum und ergriff mit einem Ruck seine Arme und entriß ihm die Pistolen, er sank an mir nieder und bat um sein Leben. „Nicht allein das Leben, sondern auch deine Waffen sollst du haben! jetzt aber geh nach Hause und schlafe aus." Darauf aber erklärte ich laut, beim nächsten Fall würde ich sofort erschießen lassen, ich hatte es wohl erwogen und hätte es ruhig ausgeführt. Unterdeß bekam ich von dem General Hirschfeld den Bescheid. 14 Tage möchte ich mich halten, dann komme er von seinem Zuge zurück. Das war mit dieser Menschenmasse nicht möglich, schon deshalb nicht, weil der Pro¬ viant nicht beschafft werden konnte. Daher faßte ich meinen Entschluß, ich übergab die Bewachung der Stadt der Schützengilde, löste das Heer der Sen¬ senmänner aus, stellte Cavalerievedetten bis an die Vorwerke, richtete Alarm¬ häuser für die Nacht ein und veranlaßte die Dorfgemeinden, eben solche Häuser einzurichten und sich im steten Rapport mit mir zu halten. Jetzt eilte ich nach Hause zu Weib und Kind. Meine Frau weinte herzlich vor Freude,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/173>, abgerufen am 28.12.2024.