Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

günstig, auch die Pferde durch den scharfen Ritt noch zu sehr auseinander.
Ich ließ es daher nicht zu. Die Hosthore hatte ich mit Schlempckufc-n und
Kartosselkastcn zugefahren, ick gab den Posten Befehl, den Feind auf Schuß-
weite zu empfangen, und ging ihm mit einer Abtheilung Schützen bis ans
Stadtthor entgegen. Der feindliche Anführer winkte und wollte mich spre-
chen. ich ging ihm entgegen, aber ehe ich zu ihm herankam, rief Kleist: "Scho¬
nen Sie Ihr Leben, es sind Vcrra'eher," und sprengte auf seinem Hengst mit
gezogenem Degen vor mich hin. Ich eilte ihm nach. Bald stand ich den
Polen gegenüber. Ein Herr v. Mollusk'y bat lsehr höflich, ihm den Durch,
marsch durch die Stadt nach dem Kloster zu gestatten, wo für seine Leute ein
Mittagsbrod bereitet sei. Ich versicherte ihm. daß ich den Befehl zurückge¬
lassen, aus Jeden zu feuern, der sich in Schußweite zeige, und diesen Befehl
würde ich nicht zurücknehmen; es bleibe ihm aber überlassen, die Stadt aus
Schußweite zu umgehen. Das geschah denn auch, ich wollte mich nur ver¬
theidigen, und so zogen sie ab.

Am Abend sahen wir wieder mehrere Fanale brennen, an der ganzen
Waldgrenze wurde von Zeit zu Zeit geschossen. Alles mußte in den Kleidern
schlafen, wir Männer blieben auf den Wachen. Die besorglichen Nachrichten
häuften sich. Bon Tzemesno, wo ein Jnsurgentcnlager war, wollte man
uns überfallen, auf meinen Kopf waren hundert Rubel gesetzt, man versuchte
mich durch Drohbriefe zu schrecken, ich verbrannte sie, ohne sie Jemandem zu
zeigen. Meinen Leuten begann der Muth zu sinken. Biele flüchteten nach
Thorn in die Festung. Da in der höchsten Noth erhielt ich die Nachricht,
daß eine Compagnie des 33. Regiments von Thorn auf dem Marsche nach
hier sei, ich schickte ihnen eine Staffette entgegen und schilderte kurz die ganze
Lage. Der Hauptmann v. Brunitorsky befragte seine Leute, ob sie wohl drei
Märsche in Einem Tage zu machen im Stande seien; ein lautes Ja war die
Antwort der braven Compagnie. Die ganze Antwort des Hauptmanns lau¬
tete daher: Noch heute Abend treffe ich bei Ihnen ein. Die Nachricht schon
belebte Alles. Ich schickte meine Wagen nach Jnowaclaw zum Fahren.des
Gepäcks entgegen, aber es war Nacht, ehe die Truppen ankamen. Ich hatte
befohlen, beim ersten Trommelschlag die ganze Stadt zu erleuchten. Um 11
Uhr meldeten die Posten preußische Truppen. Wer kann unsere Freude be¬
schreiben. Das laute Commando. der feste Tritt und die Trommeln, mir
hätte das alte preußische Soldatenherz die Brust zersprengen mögen. Es war
auch ein Zug Dragoner unter dem Lieutenant v. Seidlitz dem Commando
beigegeben, ich verpflegte die Truppen alle bei mir, sie bezogen die Scheuern,
die schon immer als Alarmhüuser gedient hatten, And stellten nur die aller-
nöthigsten Posten aus. Ich ließ meine Leute noch auf den Wachen, damit
die Soldaten ausruhen konnten. Am andern Morgen besahen wir das


günstig, auch die Pferde durch den scharfen Ritt noch zu sehr auseinander.
Ich ließ es daher nicht zu. Die Hosthore hatte ich mit Schlempckufc-n und
Kartosselkastcn zugefahren, ick gab den Posten Befehl, den Feind auf Schuß-
weite zu empfangen, und ging ihm mit einer Abtheilung Schützen bis ans
Stadtthor entgegen. Der feindliche Anführer winkte und wollte mich spre-
chen. ich ging ihm entgegen, aber ehe ich zu ihm herankam, rief Kleist: „Scho¬
nen Sie Ihr Leben, es sind Vcrra'eher," und sprengte auf seinem Hengst mit
gezogenem Degen vor mich hin. Ich eilte ihm nach. Bald stand ich den
Polen gegenüber. Ein Herr v. Mollusk'y bat lsehr höflich, ihm den Durch,
marsch durch die Stadt nach dem Kloster zu gestatten, wo für seine Leute ein
Mittagsbrod bereitet sei. Ich versicherte ihm. daß ich den Befehl zurückge¬
lassen, aus Jeden zu feuern, der sich in Schußweite zeige, und diesen Befehl
würde ich nicht zurücknehmen; es bleibe ihm aber überlassen, die Stadt aus
Schußweite zu umgehen. Das geschah denn auch, ich wollte mich nur ver¬
theidigen, und so zogen sie ab.

Am Abend sahen wir wieder mehrere Fanale brennen, an der ganzen
Waldgrenze wurde von Zeit zu Zeit geschossen. Alles mußte in den Kleidern
schlafen, wir Männer blieben auf den Wachen. Die besorglichen Nachrichten
häuften sich. Bon Tzemesno, wo ein Jnsurgentcnlager war, wollte man
uns überfallen, auf meinen Kopf waren hundert Rubel gesetzt, man versuchte
mich durch Drohbriefe zu schrecken, ich verbrannte sie, ohne sie Jemandem zu
zeigen. Meinen Leuten begann der Muth zu sinken. Biele flüchteten nach
Thorn in die Festung. Da in der höchsten Noth erhielt ich die Nachricht,
daß eine Compagnie des 33. Regiments von Thorn auf dem Marsche nach
hier sei, ich schickte ihnen eine Staffette entgegen und schilderte kurz die ganze
Lage. Der Hauptmann v. Brunitorsky befragte seine Leute, ob sie wohl drei
Märsche in Einem Tage zu machen im Stande seien; ein lautes Ja war die
Antwort der braven Compagnie. Die ganze Antwort des Hauptmanns lau¬
tete daher: Noch heute Abend treffe ich bei Ihnen ein. Die Nachricht schon
belebte Alles. Ich schickte meine Wagen nach Jnowaclaw zum Fahren.des
Gepäcks entgegen, aber es war Nacht, ehe die Truppen ankamen. Ich hatte
befohlen, beim ersten Trommelschlag die ganze Stadt zu erleuchten. Um 11
Uhr meldeten die Posten preußische Truppen. Wer kann unsere Freude be¬
schreiben. Das laute Commando. der feste Tritt und die Trommeln, mir
hätte das alte preußische Soldatenherz die Brust zersprengen mögen. Es war
auch ein Zug Dragoner unter dem Lieutenant v. Seidlitz dem Commando
beigegeben, ich verpflegte die Truppen alle bei mir, sie bezogen die Scheuern,
die schon immer als Alarmhüuser gedient hatten, And stellten nur die aller-
nöthigsten Posten aus. Ich ließ meine Leute noch auf den Wachen, damit
die Soldaten ausruhen konnten. Am andern Morgen besahen wir das


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0175" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113417"/>
          <p xml:id="ID_514" prev="#ID_513"> günstig, auch die Pferde durch den scharfen Ritt noch zu sehr auseinander.<lb/>
Ich ließ es daher nicht zu. Die Hosthore hatte ich mit Schlempckufc-n und<lb/>
Kartosselkastcn zugefahren, ick gab den Posten Befehl, den Feind auf Schuß-<lb/>
weite zu empfangen, und ging ihm mit einer Abtheilung Schützen bis ans<lb/>
Stadtthor entgegen. Der feindliche Anführer winkte und wollte mich spre-<lb/>
chen. ich ging ihm entgegen, aber ehe ich zu ihm herankam, rief Kleist: &#x201E;Scho¬<lb/>
nen Sie Ihr Leben, es sind Vcrra'eher," und sprengte auf seinem Hengst mit<lb/>
gezogenem Degen vor mich hin. Ich eilte ihm nach. Bald stand ich den<lb/>
Polen gegenüber. Ein Herr v. Mollusk'y bat lsehr höflich, ihm den Durch,<lb/>
marsch durch die Stadt nach dem Kloster zu gestatten, wo für seine Leute ein<lb/>
Mittagsbrod bereitet sei. Ich versicherte ihm. daß ich den Befehl zurückge¬<lb/>
lassen, aus Jeden zu feuern, der sich in Schußweite zeige, und diesen Befehl<lb/>
würde ich nicht zurücknehmen; es bleibe ihm aber überlassen, die Stadt aus<lb/>
Schußweite zu umgehen. Das geschah denn auch, ich wollte mich nur ver¬<lb/>
theidigen, und so zogen sie ab.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_515" next="#ID_516"> Am Abend sahen wir wieder mehrere Fanale brennen, an der ganzen<lb/>
Waldgrenze wurde von Zeit zu Zeit geschossen. Alles mußte in den Kleidern<lb/>
schlafen, wir Männer blieben auf den Wachen. Die besorglichen Nachrichten<lb/>
häuften sich. Bon Tzemesno, wo ein Jnsurgentcnlager war, wollte man<lb/>
uns überfallen, auf meinen Kopf waren hundert Rubel gesetzt, man versuchte<lb/>
mich durch Drohbriefe zu schrecken, ich verbrannte sie, ohne sie Jemandem zu<lb/>
zeigen. Meinen Leuten begann der Muth zu sinken. Biele flüchteten nach<lb/>
Thorn in die Festung. Da in der höchsten Noth erhielt ich die Nachricht,<lb/>
daß eine Compagnie des 33. Regiments von Thorn auf dem Marsche nach<lb/>
hier sei, ich schickte ihnen eine Staffette entgegen und schilderte kurz die ganze<lb/>
Lage. Der Hauptmann v. Brunitorsky befragte seine Leute, ob sie wohl drei<lb/>
Märsche in Einem Tage zu machen im Stande seien; ein lautes Ja war die<lb/>
Antwort der braven Compagnie. Die ganze Antwort des Hauptmanns lau¬<lb/>
tete daher: Noch heute Abend treffe ich bei Ihnen ein. Die Nachricht schon<lb/>
belebte Alles. Ich schickte meine Wagen nach Jnowaclaw zum Fahren.des<lb/>
Gepäcks entgegen, aber es war Nacht, ehe die Truppen ankamen. Ich hatte<lb/>
befohlen, beim ersten Trommelschlag die ganze Stadt zu erleuchten. Um 11<lb/>
Uhr meldeten die Posten preußische Truppen. Wer kann unsere Freude be¬<lb/>
schreiben. Das laute Commando. der feste Tritt und die Trommeln, mir<lb/>
hätte das alte preußische Soldatenherz die Brust zersprengen mögen. Es war<lb/>
auch ein Zug Dragoner unter dem Lieutenant v. Seidlitz dem Commando<lb/>
beigegeben, ich verpflegte die Truppen alle bei mir, sie bezogen die Scheuern,<lb/>
die schon immer als Alarmhüuser gedient hatten, And stellten nur die aller-<lb/>
nöthigsten Posten aus. Ich ließ meine Leute noch auf den Wachen, damit<lb/>
die Soldaten ausruhen konnten.  Am andern Morgen besahen wir das</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0175] günstig, auch die Pferde durch den scharfen Ritt noch zu sehr auseinander. Ich ließ es daher nicht zu. Die Hosthore hatte ich mit Schlempckufc-n und Kartosselkastcn zugefahren, ick gab den Posten Befehl, den Feind auf Schuß- weite zu empfangen, und ging ihm mit einer Abtheilung Schützen bis ans Stadtthor entgegen. Der feindliche Anführer winkte und wollte mich spre- chen. ich ging ihm entgegen, aber ehe ich zu ihm herankam, rief Kleist: „Scho¬ nen Sie Ihr Leben, es sind Vcrra'eher," und sprengte auf seinem Hengst mit gezogenem Degen vor mich hin. Ich eilte ihm nach. Bald stand ich den Polen gegenüber. Ein Herr v. Mollusk'y bat lsehr höflich, ihm den Durch, marsch durch die Stadt nach dem Kloster zu gestatten, wo für seine Leute ein Mittagsbrod bereitet sei. Ich versicherte ihm. daß ich den Befehl zurückge¬ lassen, aus Jeden zu feuern, der sich in Schußweite zeige, und diesen Befehl würde ich nicht zurücknehmen; es bleibe ihm aber überlassen, die Stadt aus Schußweite zu umgehen. Das geschah denn auch, ich wollte mich nur ver¬ theidigen, und so zogen sie ab. Am Abend sahen wir wieder mehrere Fanale brennen, an der ganzen Waldgrenze wurde von Zeit zu Zeit geschossen. Alles mußte in den Kleidern schlafen, wir Männer blieben auf den Wachen. Die besorglichen Nachrichten häuften sich. Bon Tzemesno, wo ein Jnsurgentcnlager war, wollte man uns überfallen, auf meinen Kopf waren hundert Rubel gesetzt, man versuchte mich durch Drohbriefe zu schrecken, ich verbrannte sie, ohne sie Jemandem zu zeigen. Meinen Leuten begann der Muth zu sinken. Biele flüchteten nach Thorn in die Festung. Da in der höchsten Noth erhielt ich die Nachricht, daß eine Compagnie des 33. Regiments von Thorn auf dem Marsche nach hier sei, ich schickte ihnen eine Staffette entgegen und schilderte kurz die ganze Lage. Der Hauptmann v. Brunitorsky befragte seine Leute, ob sie wohl drei Märsche in Einem Tage zu machen im Stande seien; ein lautes Ja war die Antwort der braven Compagnie. Die ganze Antwort des Hauptmanns lau¬ tete daher: Noch heute Abend treffe ich bei Ihnen ein. Die Nachricht schon belebte Alles. Ich schickte meine Wagen nach Jnowaclaw zum Fahren.des Gepäcks entgegen, aber es war Nacht, ehe die Truppen ankamen. Ich hatte befohlen, beim ersten Trommelschlag die ganze Stadt zu erleuchten. Um 11 Uhr meldeten die Posten preußische Truppen. Wer kann unsere Freude be¬ schreiben. Das laute Commando. der feste Tritt und die Trommeln, mir hätte das alte preußische Soldatenherz die Brust zersprengen mögen. Es war auch ein Zug Dragoner unter dem Lieutenant v. Seidlitz dem Commando beigegeben, ich verpflegte die Truppen alle bei mir, sie bezogen die Scheuern, die schon immer als Alarmhüuser gedient hatten, And stellten nur die aller- nöthigsten Posten aus. Ich ließ meine Leute noch auf den Wachen, damit die Soldaten ausruhen konnten. Am andern Morgen besahen wir das

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/175
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/175>, abgerufen am 23.07.2024.