Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.der Kranke Weidenbündel. Faschinen u. a. von rechts nach links dreht: hier Den Uebergang vom praktischen activen Aberglauben der Heilkunde zu der Kranke Weidenbündel. Faschinen u. a. von rechts nach links dreht: hier Den Uebergang vom praktischen activen Aberglauben der Heilkunde zu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0119" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113361"/> <p xml:id="ID_332" prev="#ID_331"> der Kranke Weidenbündel. Faschinen u. a. von rechts nach links dreht: hier<lb/> wird wieder mit dem Zeichen vorgenommen, was an den, Bezeichneten ge¬<lb/> schehen soll. Dieser Aberglaube vom Weidendrehen begegnet aber auch noch<lb/> unter einer andern Kategorie, nämlich bei jenem Heilaberglauben, welcher die<lb/> Beschäftigung des Kranken oder seiner Umgebung oder sogar die Beschaffen¬<lb/> heit des Geräthes in der Krankenstube auf die Krankheit bezieht. Wenn in<lb/> Gegenwart eines an Bauchgrimmen Erkrankten Weiden gedreht. Faschinen<lb/> geflochten werden, so wird dadurch das Leiden aufs Höchste gesteigert; es müs¬<lb/> set» vielmehr alle Dinge, Geräthe und Beschäftigungen um den Kranken mög¬<lb/> lichst seinein Leiden entgegengesetzt eingerichtet werden; daher erklärt sich, daß<lb/> die Entbindung einer Kreisenden erschwert wird, wenn irgend ein Band an<lb/> ihrem Anzug gebunden, irgend ein Knopf, eine Oese zugeknöpft ist: erleichtert<lb/> wird die auf Oeffnung, Lösung, Losgebung zielende Krisis, wenn alle Ka¬<lb/> sten und Kisten im Zimmer geöffnet und ausgezogen, alle Nägel gelockert, alle<lb/> gebundenen Dinge aufgebunden werden. Hier ist theils allopathische Sym¬<lb/> bolik wirksam, theils jene häufigste Beziehung von dem Zeichen auf das Be¬<lb/> zeichnete. Ganz analog gedacht ist der vcrhHrWiißvolle Zauber des Nestel-<lb/> knüpsens und Schloß-Schlagens d. l). die feindseligen Hexereien, wodurch<lb/> Neuvermählte um der Vollziehung der Ehe behindert werden. Das Nestel¬<lb/> knüpfen ist zunächst gegen den Mann (häufig gegen beide Gatten) gerichtet<lb/> und besteht in einer äußerst kunstvollen Berschlingung und Verflechtung eines<lb/> Knäuels von Bindfaden: das Princip der Schürzung ist dabei, daß der eine<lb/> starke durchlaufende Faden durch eine Unmasse von Knoten unterbunden und<lb/> behindert wird: bei jedem Knoten wird ein besondrer Spruch gemurmelt, und<lb/> der Zauber ist nur lösbar, wenn die Knoten von derselben Hand in derselben<lb/> umgekehrten Reihenfolge und jeder Knoten mit seinem „Gegenspruch" aufge¬<lb/> schürzt wird. Das Schloßschlagen, welches die Empfänglich des Weibes<lb/> hindert, besteht darin, daß man während der Trauung öder wenn die Braut¬<lb/> leute sich vom Mahl zurückziehen, ein Vorlegeschloß mit einem bezüglichen<lb/> Spruch zuschnappen läßt und Schloß und Schlüssel in zwei nach entgegenge¬<lb/> setzter Richtung rinnende Wasser wirst : nicht eher wird der Schooß der Braut<lb/> geöffnet, bis derselbe Schlüssel dasselbe Schloß aufthut.</p><lb/> <p xml:id="ID_333" next="#ID_334"> Den Uebergang vom praktischen activen Aberglauben der Heilkunde zu<lb/> dem passiven, theoretischen, des Umgangs bildet die Vorstellung, daß ein<lb/> Gelbsüchtiger unheilbar wird, wenn eine gelbe Henne über seinen Weg fliegt :<lb/> die gelbe Farbe der Krankheit wird fortan so unauslöschlich an ihm haften,<lb/> wie'an dem Huhn dessen Naturfarbe. Es wird' also hrer das begegnende<lb/> Thier symbolisch identificirt mit dem 'Menschen. Diese Art von Symbolik ist<lb/> nun aber eines der besten Erklärungsrmttel für einen großen Theil der Alrer-<lb/> glaubenssülle des Umgangs. Der Grundgedanke des Umgangs ist, daß es bei</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0119]
der Kranke Weidenbündel. Faschinen u. a. von rechts nach links dreht: hier
wird wieder mit dem Zeichen vorgenommen, was an den, Bezeichneten ge¬
schehen soll. Dieser Aberglaube vom Weidendrehen begegnet aber auch noch
unter einer andern Kategorie, nämlich bei jenem Heilaberglauben, welcher die
Beschäftigung des Kranken oder seiner Umgebung oder sogar die Beschaffen¬
heit des Geräthes in der Krankenstube auf die Krankheit bezieht. Wenn in
Gegenwart eines an Bauchgrimmen Erkrankten Weiden gedreht. Faschinen
geflochten werden, so wird dadurch das Leiden aufs Höchste gesteigert; es müs¬
set» vielmehr alle Dinge, Geräthe und Beschäftigungen um den Kranken mög¬
lichst seinein Leiden entgegengesetzt eingerichtet werden; daher erklärt sich, daß
die Entbindung einer Kreisenden erschwert wird, wenn irgend ein Band an
ihrem Anzug gebunden, irgend ein Knopf, eine Oese zugeknöpft ist: erleichtert
wird die auf Oeffnung, Lösung, Losgebung zielende Krisis, wenn alle Ka¬
sten und Kisten im Zimmer geöffnet und ausgezogen, alle Nägel gelockert, alle
gebundenen Dinge aufgebunden werden. Hier ist theils allopathische Sym¬
bolik wirksam, theils jene häufigste Beziehung von dem Zeichen auf das Be¬
zeichnete. Ganz analog gedacht ist der vcrhHrWiißvolle Zauber des Nestel-
knüpsens und Schloß-Schlagens d. l). die feindseligen Hexereien, wodurch
Neuvermählte um der Vollziehung der Ehe behindert werden. Das Nestel¬
knüpfen ist zunächst gegen den Mann (häufig gegen beide Gatten) gerichtet
und besteht in einer äußerst kunstvollen Berschlingung und Verflechtung eines
Knäuels von Bindfaden: das Princip der Schürzung ist dabei, daß der eine
starke durchlaufende Faden durch eine Unmasse von Knoten unterbunden und
behindert wird: bei jedem Knoten wird ein besondrer Spruch gemurmelt, und
der Zauber ist nur lösbar, wenn die Knoten von derselben Hand in derselben
umgekehrten Reihenfolge und jeder Knoten mit seinem „Gegenspruch" aufge¬
schürzt wird. Das Schloßschlagen, welches die Empfänglich des Weibes
hindert, besteht darin, daß man während der Trauung öder wenn die Braut¬
leute sich vom Mahl zurückziehen, ein Vorlegeschloß mit einem bezüglichen
Spruch zuschnappen läßt und Schloß und Schlüssel in zwei nach entgegenge¬
setzter Richtung rinnende Wasser wirst : nicht eher wird der Schooß der Braut
geöffnet, bis derselbe Schlüssel dasselbe Schloß aufthut.
Den Uebergang vom praktischen activen Aberglauben der Heilkunde zu
dem passiven, theoretischen, des Umgangs bildet die Vorstellung, daß ein
Gelbsüchtiger unheilbar wird, wenn eine gelbe Henne über seinen Weg fliegt :
die gelbe Farbe der Krankheit wird fortan so unauslöschlich an ihm haften,
wie'an dem Huhn dessen Naturfarbe. Es wird' also hrer das begegnende
Thier symbolisch identificirt mit dem 'Menschen. Diese Art von Symbolik ist
nun aber eines der besten Erklärungsrmttel für einen großen Theil der Alrer-
glaubenssülle des Umgangs. Der Grundgedanke des Umgangs ist, daß es bei
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