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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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und Bäumen schlüpfen müssen oder gezogen werden, so soll die Krankheit
an den schürfenden Kanten des spätes hängen bleiben, an sie hin abgestreift
werden: man will den Göttern handgreiflich vormachen, w<rs man von ihnen
erwartet. Es versteht sich, daß mit dem Untergang der Götterwelt, der diese
Bräuche angehören, auch das Bewußtsein einer Beziehung zu helfenden Göt¬
ter" erlischt und daß heut zu Tage die Sitte nicht mehr als Symbol, sondern
nur als Sympathie gilt. Nicht anders ist es mit der i/tzt nur noch sympa¬
thetisch, kaum noch symbolisch gemeinten Uebung, Körpertheilchen des Kran¬
ken. Haare, Nägelschnitzel, Blutstropfen in die Erde zu verscharren: mit die¬
sen Zeichen und wie diese Zeichen s^ni die Krankheit abgethan, gelöst, begra¬
ben sein. Eine complicirtere Symbolik liegt der Sitte des niederbairischen
Bauern zu Grunde, um chronisches Kopfweh zu heilen, eine gebrannte Tbon-
kugel, kopfähnlich gebildet, mit einem eingebrannten Gerstenkorn oder Schrot-
kügelchen zu opfern, und zwar einem Heiligen, der mittelst Enthauptung zum
Märtyrer geworden. Hier sind die symbolischen Beziehungen mannigfach: der
enthauptete Heilige ist der Specialsachverständige für Kopfweh, durch eigne
Erfahrung aä es-usam legitimirt, und mit dem fremden Körper in dem Thon-^
kopf wird der fremde Krankheitsstoff aus dem Bauernkopf in den geopferten
übertragen. Ganz charakteristisch ist die Symbolik des schon erwähnten Aber¬
glaubens bezüglich des Mühlradwasiers, das prophylaktisch wider alle Anfälle
von Krankheiten hilft; so sicher und kräftig soll die anspringende Krankheit --
alle Krankheiten werden als uns überfallende Elben und Dämonen gedacht
-- vom Körper abprallen als die Wassertropfen von den Schaufel" des Mühl¬
rads, und so allgemein germanisch ist diese Borstellung, daß man an den
Mühlrädern am sächsischen Teviot und Hunrber^wie an den alemannischen
Mühlen in Baden und den bajuvarischen im Jnnthal geradezu die gleichen
Borrichtungen findet, das heilbringende Trvpfenwasser an den Schaufeln auf¬
zufangen. Uebrigens kann sich auch die Homöopathie -- sie hat meines Wis¬
sens von diesem Argument noch keinen Gebrauch gemocht -- auf uralte
Symbolik berufen und sich als eine schon in-den germanischen Urwäldern herr¬
schende Heilmethode darthun. Denn eine dem homöopathischen Princip ent-
sprungne Symbolik ist es doch, wenn rothe Exantheme geheilt werden durch
Berührung mit eurem noch intensiverer Noth: wenn Masern, Scharlach, Gesichts¬
rose geheilt werden durch Auflegen von Schalen gekochter Krebse oder von
Hagebutten oder von Fuchshaaren oder der Feder des Rothschwänzchens..
Hier wird der Teufel ausgetrieben durch der Teufel Obersten: dem feind¬
lichen rothen Stoff wird mit einem mächtigeren und befreundeten Roth be>
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Eine dagegen arr das allopathische Princip streifende Borstellung ist es.
wenn ein schiefer Hals, der etwa nach rechts gedreht ist, geheilt wird, indem


und Bäumen schlüpfen müssen oder gezogen werden, so soll die Krankheit
an den schürfenden Kanten des spätes hängen bleiben, an sie hin abgestreift
werden: man will den Göttern handgreiflich vormachen, w<rs man von ihnen
erwartet. Es versteht sich, daß mit dem Untergang der Götterwelt, der diese
Bräuche angehören, auch das Bewußtsein einer Beziehung zu helfenden Göt¬
ter» erlischt und daß heut zu Tage die Sitte nicht mehr als Symbol, sondern
nur als Sympathie gilt. Nicht anders ist es mit der i/tzt nur noch sympa¬
thetisch, kaum noch symbolisch gemeinten Uebung, Körpertheilchen des Kran¬
ken. Haare, Nägelschnitzel, Blutstropfen in die Erde zu verscharren: mit die¬
sen Zeichen und wie diese Zeichen s^ni die Krankheit abgethan, gelöst, begra¬
ben sein. Eine complicirtere Symbolik liegt der Sitte des niederbairischen
Bauern zu Grunde, um chronisches Kopfweh zu heilen, eine gebrannte Tbon-
kugel, kopfähnlich gebildet, mit einem eingebrannten Gerstenkorn oder Schrot-
kügelchen zu opfern, und zwar einem Heiligen, der mittelst Enthauptung zum
Märtyrer geworden. Hier sind die symbolischen Beziehungen mannigfach: der
enthauptete Heilige ist der Specialsachverständige für Kopfweh, durch eigne
Erfahrung aä es-usam legitimirt, und mit dem fremden Körper in dem Thon-^
kopf wird der fremde Krankheitsstoff aus dem Bauernkopf in den geopferten
übertragen. Ganz charakteristisch ist die Symbolik des schon erwähnten Aber¬
glaubens bezüglich des Mühlradwasiers, das prophylaktisch wider alle Anfälle
von Krankheiten hilft; so sicher und kräftig soll die anspringende Krankheit —
alle Krankheiten werden als uns überfallende Elben und Dämonen gedacht
— vom Körper abprallen als die Wassertropfen von den Schaufel» des Mühl¬
rads, und so allgemein germanisch ist diese Borstellung, daß man an den
Mühlrädern am sächsischen Teviot und Hunrber^wie an den alemannischen
Mühlen in Baden und den bajuvarischen im Jnnthal geradezu die gleichen
Borrichtungen findet, das heilbringende Trvpfenwasser an den Schaufeln auf¬
zufangen. Uebrigens kann sich auch die Homöopathie — sie hat meines Wis¬
sens von diesem Argument noch keinen Gebrauch gemocht — auf uralte
Symbolik berufen und sich als eine schon in-den germanischen Urwäldern herr¬
schende Heilmethode darthun. Denn eine dem homöopathischen Princip ent-
sprungne Symbolik ist es doch, wenn rothe Exantheme geheilt werden durch
Berührung mit eurem noch intensiverer Noth: wenn Masern, Scharlach, Gesichts¬
rose geheilt werden durch Auflegen von Schalen gekochter Krebse oder von
Hagebutten oder von Fuchshaaren oder der Feder des Rothschwänzchens..
Hier wird der Teufel ausgetrieben durch der Teufel Obersten: dem feind¬
lichen rothen Stoff wird mit einem mächtigeren und befreundeten Roth be>
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[0118] und Bäumen schlüpfen müssen oder gezogen werden, so soll die Krankheit an den schürfenden Kanten des spätes hängen bleiben, an sie hin abgestreift werden: man will den Göttern handgreiflich vormachen, w<rs man von ihnen erwartet. Es versteht sich, daß mit dem Untergang der Götterwelt, der diese Bräuche angehören, auch das Bewußtsein einer Beziehung zu helfenden Göt¬ ter» erlischt und daß heut zu Tage die Sitte nicht mehr als Symbol, sondern nur als Sympathie gilt. Nicht anders ist es mit der i/tzt nur noch sympa¬ thetisch, kaum noch symbolisch gemeinten Uebung, Körpertheilchen des Kran¬ ken. Haare, Nägelschnitzel, Blutstropfen in die Erde zu verscharren: mit die¬ sen Zeichen und wie diese Zeichen s^ni die Krankheit abgethan, gelöst, begra¬ ben sein. Eine complicirtere Symbolik liegt der Sitte des niederbairischen Bauern zu Grunde, um chronisches Kopfweh zu heilen, eine gebrannte Tbon- kugel, kopfähnlich gebildet, mit einem eingebrannten Gerstenkorn oder Schrot- kügelchen zu opfern, und zwar einem Heiligen, der mittelst Enthauptung zum Märtyrer geworden. Hier sind die symbolischen Beziehungen mannigfach: der enthauptete Heilige ist der Specialsachverständige für Kopfweh, durch eigne Erfahrung aä es-usam legitimirt, und mit dem fremden Körper in dem Thon-^ kopf wird der fremde Krankheitsstoff aus dem Bauernkopf in den geopferten übertragen. Ganz charakteristisch ist die Symbolik des schon erwähnten Aber¬ glaubens bezüglich des Mühlradwasiers, das prophylaktisch wider alle Anfälle von Krankheiten hilft; so sicher und kräftig soll die anspringende Krankheit — alle Krankheiten werden als uns überfallende Elben und Dämonen gedacht — vom Körper abprallen als die Wassertropfen von den Schaufel» des Mühl¬ rads, und so allgemein germanisch ist diese Borstellung, daß man an den Mühlrädern am sächsischen Teviot und Hunrber^wie an den alemannischen Mühlen in Baden und den bajuvarischen im Jnnthal geradezu die gleichen Borrichtungen findet, das heilbringende Trvpfenwasser an den Schaufeln auf¬ zufangen. Uebrigens kann sich auch die Homöopathie — sie hat meines Wis¬ sens von diesem Argument noch keinen Gebrauch gemocht — auf uralte Symbolik berufen und sich als eine schon in-den germanischen Urwäldern herr¬ schende Heilmethode darthun. Denn eine dem homöopathischen Princip ent- sprungne Symbolik ist es doch, wenn rothe Exantheme geheilt werden durch Berührung mit eurem noch intensiverer Noth: wenn Masern, Scharlach, Gesichts¬ rose geheilt werden durch Auflegen von Schalen gekochter Krebse oder von Hagebutten oder von Fuchshaaren oder der Feder des Rothschwänzchens.. Hier wird der Teufel ausgetrieben durch der Teufel Obersten: dem feind¬ lichen rothen Stoff wird mit einem mächtigeren und befreundeten Roth be> gSWkt-<jm dei'ich''in,'!5'l »i u n>'i?dftN!!i>s cdr»s, ?im i ' ' ^ ' Eine dagegen arr das allopathische Princip streifende Borstellung ist es. wenn ein schiefer Hals, der etwa nach rechts gedreht ist, geheilt wird, indem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/118>, abgerufen am 23.07.2024.