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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Beziehungen und Auffassungen des ominösen Vorgangs; zwar lassen sich
keineswegs alle Probleme dieser Art mit jenem einzigen Schlüssel lösen, allein
ich fürchte sehr, wo keine symbolische, wird meist gar keine Erklärung möglich
sein. -- In dem praktischen Aberglauben, wo es gilt Erwünschtes herbeizu¬
führen, Unerwünschtes fern zu halten, glaube ick eine Hanptanwendnng des
symbolischen in Folgendem gefunden zu haben: der Mensch wählt ein Stell¬
vertretendes für das Object, um dessen Wohl oder Wehe es sich dabei han¬
delt, und nimmt nun selbst mit diesem stellvertretenden nach bestem Vermögen
dasjenige vor. was er dem eigeniliehen Object seiner Theilnahme zugewen¬
det wissen will: er zeigt den Kollern pantomimisch, eindringlicher, als er
durch bloße Gebetesworte könnte, was er von ihnen gethan wünscht. Ein
ganz schlagendes Beispiel für die Richtigkeit dieser Auffassung ist die Symbo¬
lik iss den Gebräuchen, mit welchen fast olle bekannten Völker -- keines¬
wegs etwa blos Germanen -- nach langer Trockenheit Regen vom Himmel
erflehen. Es wird nämlich bei Indern, Arabern.' Hellenen. Kelten, Germanen
und Slaven, wenn nach langer Dürre die Götter Regen auf die Erde nieder-
sendcn sollen, ein Mädchen oder ein Knabe entkleidet, daraus über und über'
in grüne Gräser und Kräuter gehüllt an den Brunnen, den Bach oder die
Meeresküste geführt und hier vollauf Mit Wasser bespritzt, begossen, beschüttet,
wohl auch schließlich hinein getaucht. Bei uns in Oberdeutschland ist die ur¬
sprüngliche Bedeutung des Festes durch die Verbindung mit dem Winteraus¬
treiben getrübt und verwischt. Der bairisch-schwäbische Psingstl oder Wasservogel
hat vielfach die überwiegende Bedeutung des Sieges des Sommers über den
Winter, welcher ausgetrieben und zuletzt ersäuft wird, angenommen. Aber
manche locale Variationen, "in denen das Bekleiden mit grünen Kräutern und
das Anspritzen -- ein Tauchen findet oft gar nicht statt -- die Hauptsache
ausmachen, zeigen auch bei uns deutlich den ursprünglichen Sinn des Spin
bois, welches in andern Gegenden Deutschlands, z. B. in Schlesien, in West¬
falen, in Holstein, noch ganz in der echten Weise mit dem ausgesprochenen
Zweck, Regen zu erbitten, geübt wird. Hier ist das mit Blättern grün beklei¬
dete Mädchen das stellvertretende Zeichen für die grün bekleidete Erde und
durch das Bespritzen und Beschütten wird den Göttern recht drastisch vorge¬
macht, was man von ihnen erwartet: sie sollen in Wirklichkeit thun an dem
Vertretnen. an der Erde, was die Menschen symbolisch an dem Vertretenden,
an dem Mädchen vornehmen.

Auf einer ähnlichen Symbolik beruht nun eine unübersehbare Menge von
sympathetischen Mitteln, von Aberglauben der Krankheit und der Heilung.
Wenn z. B. nach kymrischen wie nach semitischem, nach böhmischen wie nach
altbairischen Aberglauben Kranke, insbesondre Hautkranke, durch enge, kaum
für den Menschenleib zu passirende Spalten und Löcher, in Felsen. Höhlen


Beziehungen und Auffassungen des ominösen Vorgangs; zwar lassen sich
keineswegs alle Probleme dieser Art mit jenem einzigen Schlüssel lösen, allein
ich fürchte sehr, wo keine symbolische, wird meist gar keine Erklärung möglich
sein. — In dem praktischen Aberglauben, wo es gilt Erwünschtes herbeizu¬
führen, Unerwünschtes fern zu halten, glaube ick eine Hanptanwendnng des
symbolischen in Folgendem gefunden zu haben: der Mensch wählt ein Stell¬
vertretendes für das Object, um dessen Wohl oder Wehe es sich dabei han¬
delt, und nimmt nun selbst mit diesem stellvertretenden nach bestem Vermögen
dasjenige vor. was er dem eigeniliehen Object seiner Theilnahme zugewen¬
det wissen will: er zeigt den Kollern pantomimisch, eindringlicher, als er
durch bloße Gebetesworte könnte, was er von ihnen gethan wünscht. Ein
ganz schlagendes Beispiel für die Richtigkeit dieser Auffassung ist die Symbo¬
lik iss den Gebräuchen, mit welchen fast olle bekannten Völker — keines¬
wegs etwa blos Germanen — nach langer Trockenheit Regen vom Himmel
erflehen. Es wird nämlich bei Indern, Arabern.' Hellenen. Kelten, Germanen
und Slaven, wenn nach langer Dürre die Götter Regen auf die Erde nieder-
sendcn sollen, ein Mädchen oder ein Knabe entkleidet, daraus über und über'
in grüne Gräser und Kräuter gehüllt an den Brunnen, den Bach oder die
Meeresküste geführt und hier vollauf Mit Wasser bespritzt, begossen, beschüttet,
wohl auch schließlich hinein getaucht. Bei uns in Oberdeutschland ist die ur¬
sprüngliche Bedeutung des Festes durch die Verbindung mit dem Winteraus¬
treiben getrübt und verwischt. Der bairisch-schwäbische Psingstl oder Wasservogel
hat vielfach die überwiegende Bedeutung des Sieges des Sommers über den
Winter, welcher ausgetrieben und zuletzt ersäuft wird, angenommen. Aber
manche locale Variationen, «in denen das Bekleiden mit grünen Kräutern und
das Anspritzen — ein Tauchen findet oft gar nicht statt — die Hauptsache
ausmachen, zeigen auch bei uns deutlich den ursprünglichen Sinn des Spin
bois, welches in andern Gegenden Deutschlands, z. B. in Schlesien, in West¬
falen, in Holstein, noch ganz in der echten Weise mit dem ausgesprochenen
Zweck, Regen zu erbitten, geübt wird. Hier ist das mit Blättern grün beklei¬
dete Mädchen das stellvertretende Zeichen für die grün bekleidete Erde und
durch das Bespritzen und Beschütten wird den Göttern recht drastisch vorge¬
macht, was man von ihnen erwartet: sie sollen in Wirklichkeit thun an dem
Vertretnen. an der Erde, was die Menschen symbolisch an dem Vertretenden,
an dem Mädchen vornehmen.

Auf einer ähnlichen Symbolik beruht nun eine unübersehbare Menge von
sympathetischen Mitteln, von Aberglauben der Krankheit und der Heilung.
Wenn z. B. nach kymrischen wie nach semitischem, nach böhmischen wie nach
altbairischen Aberglauben Kranke, insbesondre Hautkranke, durch enge, kaum
für den Menschenleib zu passirende Spalten und Löcher, in Felsen. Höhlen


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[0117] Beziehungen und Auffassungen des ominösen Vorgangs; zwar lassen sich keineswegs alle Probleme dieser Art mit jenem einzigen Schlüssel lösen, allein ich fürchte sehr, wo keine symbolische, wird meist gar keine Erklärung möglich sein. — In dem praktischen Aberglauben, wo es gilt Erwünschtes herbeizu¬ führen, Unerwünschtes fern zu halten, glaube ick eine Hanptanwendnng des symbolischen in Folgendem gefunden zu haben: der Mensch wählt ein Stell¬ vertretendes für das Object, um dessen Wohl oder Wehe es sich dabei han¬ delt, und nimmt nun selbst mit diesem stellvertretenden nach bestem Vermögen dasjenige vor. was er dem eigeniliehen Object seiner Theilnahme zugewen¬ det wissen will: er zeigt den Kollern pantomimisch, eindringlicher, als er durch bloße Gebetesworte könnte, was er von ihnen gethan wünscht. Ein ganz schlagendes Beispiel für die Richtigkeit dieser Auffassung ist die Symbo¬ lik iss den Gebräuchen, mit welchen fast olle bekannten Völker — keines¬ wegs etwa blos Germanen — nach langer Trockenheit Regen vom Himmel erflehen. Es wird nämlich bei Indern, Arabern.' Hellenen. Kelten, Germanen und Slaven, wenn nach langer Dürre die Götter Regen auf die Erde nieder- sendcn sollen, ein Mädchen oder ein Knabe entkleidet, daraus über und über' in grüne Gräser und Kräuter gehüllt an den Brunnen, den Bach oder die Meeresküste geführt und hier vollauf Mit Wasser bespritzt, begossen, beschüttet, wohl auch schließlich hinein getaucht. Bei uns in Oberdeutschland ist die ur¬ sprüngliche Bedeutung des Festes durch die Verbindung mit dem Winteraus¬ treiben getrübt und verwischt. Der bairisch-schwäbische Psingstl oder Wasservogel hat vielfach die überwiegende Bedeutung des Sieges des Sommers über den Winter, welcher ausgetrieben und zuletzt ersäuft wird, angenommen. Aber manche locale Variationen, «in denen das Bekleiden mit grünen Kräutern und das Anspritzen — ein Tauchen findet oft gar nicht statt — die Hauptsache ausmachen, zeigen auch bei uns deutlich den ursprünglichen Sinn des Spin bois, welches in andern Gegenden Deutschlands, z. B. in Schlesien, in West¬ falen, in Holstein, noch ganz in der echten Weise mit dem ausgesprochenen Zweck, Regen zu erbitten, geübt wird. Hier ist das mit Blättern grün beklei¬ dete Mädchen das stellvertretende Zeichen für die grün bekleidete Erde und durch das Bespritzen und Beschütten wird den Göttern recht drastisch vorge¬ macht, was man von ihnen erwartet: sie sollen in Wirklichkeit thun an dem Vertretnen. an der Erde, was die Menschen symbolisch an dem Vertretenden, an dem Mädchen vornehmen. Auf einer ähnlichen Symbolik beruht nun eine unübersehbare Menge von sympathetischen Mitteln, von Aberglauben der Krankheit und der Heilung. Wenn z. B. nach kymrischen wie nach semitischem, nach böhmischen wie nach altbairischen Aberglauben Kranke, insbesondre Hautkranke, durch enge, kaum für den Menschenleib zu passirende Spalten und Löcher, in Felsen. Höhlen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/117>, abgerufen am 23.07.2024.