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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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zaubernden Geschenk der Natur, welches nur mit seinem eignen Herzblut be¬
gossen, oder, um es poetischer auszudrücken, gleich der weißen Rose an einem
schönen Sommermorgen bethaut ist.

Ueber die Auster des Mittelmeers können wir uns kurz fassen. Möglich,
daß sie, wie andere Völker dieser Gestade, einst besser war als jetzt, wahr¬
scheinlich, daß sie es nicht war, trotz der Lobrede, die Horaz der Unübertreff¬
liche, Seneca der Weise und Plinius der Gelehrte ihr gehalten hoben. Man
kannte, als man die Lucriner und die von Circeji pries, noch keine andere,
und wo Ignoranz Segen ist, kann man recht glücklich leben. Bis der Türke
zufällig bei einer Feuersbrunst mit dem Geschmack gebratner Spanferkel be¬
kannt ward, gab es viel weniger Feuersbrünste in Stambul. Bis die Rö¬
mer mit den Rutupiern Bekanntschaft anknüpften, blühte die lucrinische und
die circejische Auster.

Dies bringt uns zu dem Schlußkapitel unsrer Betrachtung, zur Geschichte
der Auster.

Daß die alten Hebräer keine Austern aßen, ist schon berichtet, auch die
üble Folge, die dies nach sich zog. wurde erwähnt.

Wenig besser stand es lange Zeit mit den Athenern. Sie aßen zwar
Austern, verwendeten sie aber zugleich zu einem Zweck, welcher dem sanften
vaterlandsliebenden Charakter unsrer kleinen Freundin durchaus nicht ange-
messen war, und den wir deshalb mit Entrüstung einen unwürdigen nennen.
Wenn sie das Thier verspeist hatten -- etwa nachdem sie mit einem Austern-
srühstück aus Kosten solch eines tugendhaften vornehmen Bürgers wie Aristides
zu Ende waren -- schrieben sie auf die Schalen ihr Votum für die Ver¬
bannung des Wohlthäters, vielleicht unter dem Vorwand, daß er schlechte
Diners gebe, oder daß seine Austern verdorben gewesen seien.

Weit verstündiger verhielt sich das alte Rom zu den Austern. Horaz.
Martial. Juvenal, Cicero. Seneca und Plinius. alle großen Männer der Na¬
tion bis auf den alten Doctor Oribasius, den Julian der Abtrünnige so hoch¬
stellte, wußten sie zu schätzen. Sergius Orator richtete die ersten Austernparks
ein. Licinius Crassus. der reiche Sclavenhändler und Consul, und Domitian
der große Fliegenfänger und Kaiser nahmen sie unter ihre Protection. Vitel-
lius mit dem Mammuthsmagen aß mehr von ihnen als je ein Sterblicher
vor und nach ihm. Dieser Kaiser verspeiste, wenn seine Chronisten nicht
übertreiben, täglich viermal Austern und bet jeder Mahlzeit nicht weniger als
hundert Dutzend, was für den Monat dreitausend, für die Saison, die auch
damals schon auf die Monate ohne R beschränkt war, vierundzwanzigtau-
send Dutzend oder 288.000, sage und schreibe mit Buchstaben: zweihundert-
achtundachtzigtausend Stück, d. h. ungefähr soviel geben würde, als eine deutsche
Binnenlandsstadt wie Köln, Leipzig oder Breslau jährlich zu sich nehmen


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zaubernden Geschenk der Natur, welches nur mit seinem eignen Herzblut be¬
gossen, oder, um es poetischer auszudrücken, gleich der weißen Rose an einem
schönen Sommermorgen bethaut ist.

Ueber die Auster des Mittelmeers können wir uns kurz fassen. Möglich,
daß sie, wie andere Völker dieser Gestade, einst besser war als jetzt, wahr¬
scheinlich, daß sie es nicht war, trotz der Lobrede, die Horaz der Unübertreff¬
liche, Seneca der Weise und Plinius der Gelehrte ihr gehalten hoben. Man
kannte, als man die Lucriner und die von Circeji pries, noch keine andere,
und wo Ignoranz Segen ist, kann man recht glücklich leben. Bis der Türke
zufällig bei einer Feuersbrunst mit dem Geschmack gebratner Spanferkel be¬
kannt ward, gab es viel weniger Feuersbrünste in Stambul. Bis die Rö¬
mer mit den Rutupiern Bekanntschaft anknüpften, blühte die lucrinische und
die circejische Auster.

Dies bringt uns zu dem Schlußkapitel unsrer Betrachtung, zur Geschichte
der Auster.

Daß die alten Hebräer keine Austern aßen, ist schon berichtet, auch die
üble Folge, die dies nach sich zog. wurde erwähnt.

Wenig besser stand es lange Zeit mit den Athenern. Sie aßen zwar
Austern, verwendeten sie aber zugleich zu einem Zweck, welcher dem sanften
vaterlandsliebenden Charakter unsrer kleinen Freundin durchaus nicht ange-
messen war, und den wir deshalb mit Entrüstung einen unwürdigen nennen.
Wenn sie das Thier verspeist hatten — etwa nachdem sie mit einem Austern-
srühstück aus Kosten solch eines tugendhaften vornehmen Bürgers wie Aristides
zu Ende waren — schrieben sie auf die Schalen ihr Votum für die Ver¬
bannung des Wohlthäters, vielleicht unter dem Vorwand, daß er schlechte
Diners gebe, oder daß seine Austern verdorben gewesen seien.

Weit verstündiger verhielt sich das alte Rom zu den Austern. Horaz.
Martial. Juvenal, Cicero. Seneca und Plinius. alle großen Männer der Na¬
tion bis auf den alten Doctor Oribasius, den Julian der Abtrünnige so hoch¬
stellte, wußten sie zu schätzen. Sergius Orator richtete die ersten Austernparks
ein. Licinius Crassus. der reiche Sclavenhändler und Consul, und Domitian
der große Fliegenfänger und Kaiser nahmen sie unter ihre Protection. Vitel-
lius mit dem Mammuthsmagen aß mehr von ihnen als je ein Sterblicher
vor und nach ihm. Dieser Kaiser verspeiste, wenn seine Chronisten nicht
übertreiben, täglich viermal Austern und bet jeder Mahlzeit nicht weniger als
hundert Dutzend, was für den Monat dreitausend, für die Saison, die auch
damals schon auf die Monate ohne R beschränkt war, vierundzwanzigtau-
send Dutzend oder 288.000, sage und schreibe mit Buchstaben: zweihundert-
achtundachtzigtausend Stück, d. h. ungefähr soviel geben würde, als eine deutsche
Binnenlandsstadt wie Köln, Leipzig oder Breslau jährlich zu sich nehmen


Grenzboten IV. 1SL1. 59
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/475>, abgerufen am 23.07.2024.