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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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benskraft-. ihr Denken und Empfinden ist in ihre Eingeweide gelegt, und für
diese sorgen sie mit dem größten Eifer. Aehnliches finden Sie unter den
Creaturen unseres Geschlechts. Abgesehen von den zahlreichen Menschen,
denen der Magen mehr gilt als der Kopf, die mit dem Magen sich ihre Vor¬
stellungen und Vergleiche bilden -- was ich, wenn es im rechten Sinn ge¬
schieht, durchaus nicht zu mißbilligen vermag -- abgesehen von Bauchrednern
und andern des Kopfes nicht bedürfenden Künstlern, erlaube ich mir nur,
an verschiedene katholische Märtyrer zu erinnern, die nach ihrer Enthauptung
noch geraume Zeit Wunder und Zeichen thaten, von denen das erstaunlichste
war, daß sie reden konnten.

Ferner möchte ich Sie auf die bedeutungsvolle Rede des Aristophanes
beim Gastmahl Agathons aufmerksam machen, in welcher er sich über die
mannweiblichen Kugelmenschen der Urzeit verbreitet. Dieselben bestanden,
wie Sie wissen, vor den gewöhnlichen blos männlichen oder blos weiblichen
Sterblichen, und Manches, wie namentlich ihre androgyne Natur und ihre
runde Gestalt, läßt die Vermuthung nicht völlig unpassend erscheinen, daß
sie, genau besehen, ebenso viel Aehnlichkeit mit Austern als mit Menschen
hatten oder kurz ausgedrückt eine Art Austern waren. Nun spricht zwar der
Redner von einem Kopf derselben, es geht aber aus Allem hervor, daß der¬
selbe so platt an dem Kugellcibe lag, sich so wenig über denselben erhob,
daß wir diesem Geschlecht einen Kopf in unserm Sinn ebenso wenig zuschreiben
dürfen als dem Geschlecht der Austern. Hatten sie aber einen, so wird ihn
auch die Auster besitzen, und wenn wir lesen, daß diese Plattköpfe mit Ver¬
stand und Willen begabt waren und sogar den Himmel zu stürmen wagten,
so wird es gestattet sein, anzunehmen, daß die ihnen in so wesentlichen Din¬
gen gleiche und fast nur durch etwas geringere Sichtbarkeit des Kopfs von
ihnen verschiedene Auster ebenfalls denken und empfinden kann und gleicher
energischer Vorsätze sähig wäre, wofern sie nicht in ihrer Frömmigkeit den
Himmel in sich selber trüge.

Endlich aber muß ich Ihre Aufmerksamkeit auf die bekannten Streitig¬
keiten der Scholastiker lenken, die sich auf die Möglichkeiten der Welterlösung
bezogen, und die, so seltsame Fragen dabei auch aufs Tapet kamen, von der
Kirche keineswegs als ungebührlich verurtheilt wurden. Eine dieser Fragen.
-- Sie können's in jeder guten Geschichte der Philosophie nachlesen -- ging
darauf: ob Gott in seiner Allmacht die sündige Menschheit auch durch einen
Kürbis hätte erlösen lassen können, woran sich weitere tiefsinnige und geniale
Untersuchungen knüpften, die zum Beispiel: wie der Kürbis gepredigt haben
würde, wie er zu kreuzigen gewesen wäre. Das Detail dieser Erörterungen
ist sehr interessant, würde indeß hier zu weit führen. Genug, daß an der
Pariser Universität gewichtige Stimmen sich entschieden für die Bejahung der


benskraft-. ihr Denken und Empfinden ist in ihre Eingeweide gelegt, und für
diese sorgen sie mit dem größten Eifer. Aehnliches finden Sie unter den
Creaturen unseres Geschlechts. Abgesehen von den zahlreichen Menschen,
denen der Magen mehr gilt als der Kopf, die mit dem Magen sich ihre Vor¬
stellungen und Vergleiche bilden — was ich, wenn es im rechten Sinn ge¬
schieht, durchaus nicht zu mißbilligen vermag — abgesehen von Bauchrednern
und andern des Kopfes nicht bedürfenden Künstlern, erlaube ich mir nur,
an verschiedene katholische Märtyrer zu erinnern, die nach ihrer Enthauptung
noch geraume Zeit Wunder und Zeichen thaten, von denen das erstaunlichste
war, daß sie reden konnten.

Ferner möchte ich Sie auf die bedeutungsvolle Rede des Aristophanes
beim Gastmahl Agathons aufmerksam machen, in welcher er sich über die
mannweiblichen Kugelmenschen der Urzeit verbreitet. Dieselben bestanden,
wie Sie wissen, vor den gewöhnlichen blos männlichen oder blos weiblichen
Sterblichen, und Manches, wie namentlich ihre androgyne Natur und ihre
runde Gestalt, läßt die Vermuthung nicht völlig unpassend erscheinen, daß
sie, genau besehen, ebenso viel Aehnlichkeit mit Austern als mit Menschen
hatten oder kurz ausgedrückt eine Art Austern waren. Nun spricht zwar der
Redner von einem Kopf derselben, es geht aber aus Allem hervor, daß der¬
selbe so platt an dem Kugellcibe lag, sich so wenig über denselben erhob,
daß wir diesem Geschlecht einen Kopf in unserm Sinn ebenso wenig zuschreiben
dürfen als dem Geschlecht der Austern. Hatten sie aber einen, so wird ihn
auch die Auster besitzen, und wenn wir lesen, daß diese Plattköpfe mit Ver¬
stand und Willen begabt waren und sogar den Himmel zu stürmen wagten,
so wird es gestattet sein, anzunehmen, daß die ihnen in so wesentlichen Din¬
gen gleiche und fast nur durch etwas geringere Sichtbarkeit des Kopfs von
ihnen verschiedene Auster ebenfalls denken und empfinden kann und gleicher
energischer Vorsätze sähig wäre, wofern sie nicht in ihrer Frömmigkeit den
Himmel in sich selber trüge.

Endlich aber muß ich Ihre Aufmerksamkeit auf die bekannten Streitig¬
keiten der Scholastiker lenken, die sich auf die Möglichkeiten der Welterlösung
bezogen, und die, so seltsame Fragen dabei auch aufs Tapet kamen, von der
Kirche keineswegs als ungebührlich verurtheilt wurden. Eine dieser Fragen.
— Sie können's in jeder guten Geschichte der Philosophie nachlesen — ging
darauf: ob Gott in seiner Allmacht die sündige Menschheit auch durch einen
Kürbis hätte erlösen lassen können, woran sich weitere tiefsinnige und geniale
Untersuchungen knüpften, die zum Beispiel: wie der Kürbis gepredigt haben
würde, wie er zu kreuzigen gewesen wäre. Das Detail dieser Erörterungen
ist sehr interessant, würde indeß hier zu weit führen. Genug, daß an der
Pariser Universität gewichtige Stimmen sich entschieden für die Bejahung der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/422>, abgerufen am 29.12.2024.