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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Jugend selbst von ungeschickten Whistspielern gespottet: er stellt sich beim
Kartenspiel wie eine Auster an! Sogar von dem aufgeweckten Italiener
finden wir bemerkt, daß er in servilen Nachahmungsgeist unsre Lieblinge
insultirt, indem er auf sie die Worte stuMg-oeig. und dö-dbaoeions an¬
wendet.

Aber ich habe schon zu viel von diesen Ünwürdigkeiten in den Mund
genommen, bin schon zu viel auf dem Wege der Spötter gewandelt. Hoffen
wir. daß Italien, wenn es eine freie und einige Nation geworden ist, in
dieser Hinsicht in sich geht und eine verbesserte Auslage seiner Sprichwörter
veranstaltet. Hoffen wir, daß auch der Franzose sich bekehrt. Wenn ich von
ihm äußerte, daß er es besser wissen sollte, so beziehe ich mich auf die wohl¬
bekannte Fabel seines Landsmanns Lafontaine, der in seiner anmuthigen
Weise erzählt, wie bei dem Abenteuer zwischen der Ratte und der Auster nicht
der gewandte Vierfüßler, sondern unsere angeblich so plumpe Freundin mehr
Geschick bewies, und das könnte man sich wol zur Lehre dienen lassen. Es
zeigt auf alle Fälle, daß die Auster List und Energie entwickeln kann, wenn
sie will. Die Ratte wurde, im Begriff die süße Frucht zu rauben, in der
gähnenden Falle der Schale gefangen. Wenn dies in der Regel nicht geschieht,
wenn man z. B. von Affen erzählt, daß sie der auf den Watten sich formenden
Auster die Spitze ihres Fingernagels in die Schale stecken und, sobald die
Klappe sich schließt, eilig landeinwärts laufen, das Thier mit sich schleppen
und bald Mittel und Wege finden, die Beute zu verzehren, so erkläre ich mir das
nicht als Ueberlistung, sondern als Folge reinen opferfreudigen Wohlwollens auf
Seiten der Auster. Wie dieses fromme Wesen dem Menschen gegenüber die
evangelische Regel verkörpert: wenn einer dir den Rock nimmt, so gieb ihm
auch den Mantel, so verfährt es hier auch gegen den Affen, indem es sich
seinem Mitgeschöpf nicht blos zur Speise darbietet, sondern ihm sogar be-
hülflich ist. sie statt im Schlamm der Ebbe und in Angst vor der wiederkeh¬
renden Fluth auf reinlichem und sicherm Boden zu genießen.

Sie werden mir einwerfen, daß die Auster ohne Kopf sei, daß man einen
Kopf haben müsse, um einen Platz für Augen und Hirn zu haben, daß in land¬
läufiger Rede Kopflosigkeit die Bedeutung von Dummheit habe, und ich ge¬
stehe, daß der Schein für Sie spricht. Die Natur, welche den Gegenstand
unsrer Betrachtung mit den meisten Gliedmaßen eines Fisches, mit Mund
und Bart. Kiemen. Magen. Herz, Leber, Muskeln und Adern ausgerüstet
hat. verlieh ihm -- Sie werden sagen, aus Grausamkeit oder Vergeßlichkeit
-- in der That keinen Kopf und folglich auch keine Augen. Daraus folgt
aber nicht entfernt, daß Austern ohne Gedanken und Gefühle sind. Michelet
berichtet, daß es eine ganze große Familie von Mollusken gibt, denen man
ohne Schaden für ihre Fortexistenz die Köpfe abschneiden könne. Ihre Le-


52 *

Jugend selbst von ungeschickten Whistspielern gespottet: er stellt sich beim
Kartenspiel wie eine Auster an! Sogar von dem aufgeweckten Italiener
finden wir bemerkt, daß er in servilen Nachahmungsgeist unsre Lieblinge
insultirt, indem er auf sie die Worte stuMg-oeig. und dö-dbaoeions an¬
wendet.

Aber ich habe schon zu viel von diesen Ünwürdigkeiten in den Mund
genommen, bin schon zu viel auf dem Wege der Spötter gewandelt. Hoffen
wir. daß Italien, wenn es eine freie und einige Nation geworden ist, in
dieser Hinsicht in sich geht und eine verbesserte Auslage seiner Sprichwörter
veranstaltet. Hoffen wir, daß auch der Franzose sich bekehrt. Wenn ich von
ihm äußerte, daß er es besser wissen sollte, so beziehe ich mich auf die wohl¬
bekannte Fabel seines Landsmanns Lafontaine, der in seiner anmuthigen
Weise erzählt, wie bei dem Abenteuer zwischen der Ratte und der Auster nicht
der gewandte Vierfüßler, sondern unsere angeblich so plumpe Freundin mehr
Geschick bewies, und das könnte man sich wol zur Lehre dienen lassen. Es
zeigt auf alle Fälle, daß die Auster List und Energie entwickeln kann, wenn
sie will. Die Ratte wurde, im Begriff die süße Frucht zu rauben, in der
gähnenden Falle der Schale gefangen. Wenn dies in der Regel nicht geschieht,
wenn man z. B. von Affen erzählt, daß sie der auf den Watten sich formenden
Auster die Spitze ihres Fingernagels in die Schale stecken und, sobald die
Klappe sich schließt, eilig landeinwärts laufen, das Thier mit sich schleppen
und bald Mittel und Wege finden, die Beute zu verzehren, so erkläre ich mir das
nicht als Ueberlistung, sondern als Folge reinen opferfreudigen Wohlwollens auf
Seiten der Auster. Wie dieses fromme Wesen dem Menschen gegenüber die
evangelische Regel verkörpert: wenn einer dir den Rock nimmt, so gieb ihm
auch den Mantel, so verfährt es hier auch gegen den Affen, indem es sich
seinem Mitgeschöpf nicht blos zur Speise darbietet, sondern ihm sogar be-
hülflich ist. sie statt im Schlamm der Ebbe und in Angst vor der wiederkeh¬
renden Fluth auf reinlichem und sicherm Boden zu genießen.

Sie werden mir einwerfen, daß die Auster ohne Kopf sei, daß man einen
Kopf haben müsse, um einen Platz für Augen und Hirn zu haben, daß in land¬
läufiger Rede Kopflosigkeit die Bedeutung von Dummheit habe, und ich ge¬
stehe, daß der Schein für Sie spricht. Die Natur, welche den Gegenstand
unsrer Betrachtung mit den meisten Gliedmaßen eines Fisches, mit Mund
und Bart. Kiemen. Magen. Herz, Leber, Muskeln und Adern ausgerüstet
hat. verlieh ihm — Sie werden sagen, aus Grausamkeit oder Vergeßlichkeit
— in der That keinen Kopf und folglich auch keine Augen. Daraus folgt
aber nicht entfernt, daß Austern ohne Gedanken und Gefühle sind. Michelet
berichtet, daß es eine ganze große Familie von Mollusken gibt, denen man
ohne Schaden für ihre Fortexistenz die Köpfe abschneiden könne. Ihre Le-


52 *
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[0421] Jugend selbst von ungeschickten Whistspielern gespottet: er stellt sich beim Kartenspiel wie eine Auster an! Sogar von dem aufgeweckten Italiener finden wir bemerkt, daß er in servilen Nachahmungsgeist unsre Lieblinge insultirt, indem er auf sie die Worte stuMg-oeig. und dö-dbaoeions an¬ wendet. Aber ich habe schon zu viel von diesen Ünwürdigkeiten in den Mund genommen, bin schon zu viel auf dem Wege der Spötter gewandelt. Hoffen wir. daß Italien, wenn es eine freie und einige Nation geworden ist, in dieser Hinsicht in sich geht und eine verbesserte Auslage seiner Sprichwörter veranstaltet. Hoffen wir, daß auch der Franzose sich bekehrt. Wenn ich von ihm äußerte, daß er es besser wissen sollte, so beziehe ich mich auf die wohl¬ bekannte Fabel seines Landsmanns Lafontaine, der in seiner anmuthigen Weise erzählt, wie bei dem Abenteuer zwischen der Ratte und der Auster nicht der gewandte Vierfüßler, sondern unsere angeblich so plumpe Freundin mehr Geschick bewies, und das könnte man sich wol zur Lehre dienen lassen. Es zeigt auf alle Fälle, daß die Auster List und Energie entwickeln kann, wenn sie will. Die Ratte wurde, im Begriff die süße Frucht zu rauben, in der gähnenden Falle der Schale gefangen. Wenn dies in der Regel nicht geschieht, wenn man z. B. von Affen erzählt, daß sie der auf den Watten sich formenden Auster die Spitze ihres Fingernagels in die Schale stecken und, sobald die Klappe sich schließt, eilig landeinwärts laufen, das Thier mit sich schleppen und bald Mittel und Wege finden, die Beute zu verzehren, so erkläre ich mir das nicht als Ueberlistung, sondern als Folge reinen opferfreudigen Wohlwollens auf Seiten der Auster. Wie dieses fromme Wesen dem Menschen gegenüber die evangelische Regel verkörpert: wenn einer dir den Rock nimmt, so gieb ihm auch den Mantel, so verfährt es hier auch gegen den Affen, indem es sich seinem Mitgeschöpf nicht blos zur Speise darbietet, sondern ihm sogar be- hülflich ist. sie statt im Schlamm der Ebbe und in Angst vor der wiederkeh¬ renden Fluth auf reinlichem und sicherm Boden zu genießen. Sie werden mir einwerfen, daß die Auster ohne Kopf sei, daß man einen Kopf haben müsse, um einen Platz für Augen und Hirn zu haben, daß in land¬ läufiger Rede Kopflosigkeit die Bedeutung von Dummheit habe, und ich ge¬ stehe, daß der Schein für Sie spricht. Die Natur, welche den Gegenstand unsrer Betrachtung mit den meisten Gliedmaßen eines Fisches, mit Mund und Bart. Kiemen. Magen. Herz, Leber, Muskeln und Adern ausgerüstet hat. verlieh ihm — Sie werden sagen, aus Grausamkeit oder Vergeßlichkeit — in der That keinen Kopf und folglich auch keine Augen. Daraus folgt aber nicht entfernt, daß Austern ohne Gedanken und Gefühle sind. Michelet berichtet, daß es eine ganze große Familie von Mollusken gibt, denen man ohne Schaden für ihre Fortexistenz die Köpfe abschneiden könne. Ihre Le- 52 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/421>, abgerufen am 29.12.2024.