Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Hauptfrage erklärten, und daß einige besonders phantasievolle Geister in ihrem
Trieb nach Gründlichkeit sogar zu klaren Vorstellungen über die Methode ge¬
langten, in welcher die Predigt zu ermöglichen gewesen wäre. Schlußfolge¬
rungen daraus zu ziehen, die Nutzanwendung davon zu machen, den Ueber¬
gang vom kopflosen Kürbis zur kopflosen Auster zu finden, kann ich getrost
Ihrem Scharfsinn überlassen. Nur einige Mittelglieder des Schlusses erlauben
Sie mir noch anzudeuten. Entweder hatten jene erleuchteten Theologen Recht,
und dann bedürfte es zu den höchsten Thaten keines Kopfes, oder sie hatten
Unrecht, und dann war ihr Urtheil kopflos, aber doch immerhin ein Urtheil
und damit ein Beweisj. daß man wenigstens zum Urtheilen keinen Kopf
nöthig hat. Ich meinestheils habe mich gegen die Zulässigkeit jener schola¬
stischen Behauptung entschieden. Welche Stellung Sie zu dem Dilemma ein¬
nehmen wollen, sei Ihrer Wahl anheimgegeben. Herausschlüpfen können Sie
mir nicht. So oder so, artig gegen unsre Pariser oder nicht, in beiden
Fällen müssen Sie bekennen, daß die Kopflosigkeit kein Mangel an dem Ob¬
ject unsrer Disputation ist.

"Nach dem Gesagten," so fuhr mein Freund, vom Genuß seines dritten
Dutzends ausathmend, mit der Miene des heiteren Weisen fort, "bedarf es
keines langen Beweises, daß es kein Unglück für die Auster ist, wenn sie
keine Augen hat; denn wer keinen Kopf braucht, um große Dinge zu thun,
bedarf dazu auch keiner Augen. Das wird Ihnen unter andern schon Justi-
nus Kerner zeigen können, dessen Hellseherinnen mit dem Nabel lesen und
viel schärfer und weiter schauen als wir mit der besten Lupe und mit dem
schärfsten Frauenhofer."

Er nippte mit einem würdevollen Schlückchen den Rest seines Glases aus
und bestellte mit der anmuthigen Ruhe des Stammgastes durch eine bloße
Daumenbewegung nach dem Büffet hin ein viertes Dutzend und eine zweite
Flasche. Dann wieder zu seinem Thema zurückkehrend, schickte er sich an.
seine Rede zu schließen.

"Es erübrigt noch Eins, was indeß nicht von Bedeutung für den Weisen
ist. Wollen Sie an der Organisation der Auster tadeln, daß sie sich nicht
bewegen kann, so bin ich in der angenehmen Lage, Ihnen hundert Beispiele
für die Meinung vorführen zu können, daß es ein Borurtheil ist. wenn man
sagt. Reisen mache den Menschen klüger und glücklicher. Schon die Verbin¬
dung der beiden Worte ist ein Widerspruch; denn die Erfahrung zeigt, daß
die Einfalt meist mehr Glück hat. sich auf alle Fälle glücklicher fühlt, als die
Klugheit. Daun aber .erinnern Sie sich an das Matrosengrav auf dem Kirch¬
hof von Ottensen draußen. Denken Sie an Kant, der nie aus Königsberg
gekommen ist, an den alten Satz, daß Umherziehen in der Welt blasirt macht,
an die Erzählung von Kam, der für seinen Brudermord nicht härter^bestraft


Hauptfrage erklärten, und daß einige besonders phantasievolle Geister in ihrem
Trieb nach Gründlichkeit sogar zu klaren Vorstellungen über die Methode ge¬
langten, in welcher die Predigt zu ermöglichen gewesen wäre. Schlußfolge¬
rungen daraus zu ziehen, die Nutzanwendung davon zu machen, den Ueber¬
gang vom kopflosen Kürbis zur kopflosen Auster zu finden, kann ich getrost
Ihrem Scharfsinn überlassen. Nur einige Mittelglieder des Schlusses erlauben
Sie mir noch anzudeuten. Entweder hatten jene erleuchteten Theologen Recht,
und dann bedürfte es zu den höchsten Thaten keines Kopfes, oder sie hatten
Unrecht, und dann war ihr Urtheil kopflos, aber doch immerhin ein Urtheil
und damit ein Beweisj. daß man wenigstens zum Urtheilen keinen Kopf
nöthig hat. Ich meinestheils habe mich gegen die Zulässigkeit jener schola¬
stischen Behauptung entschieden. Welche Stellung Sie zu dem Dilemma ein¬
nehmen wollen, sei Ihrer Wahl anheimgegeben. Herausschlüpfen können Sie
mir nicht. So oder so, artig gegen unsre Pariser oder nicht, in beiden
Fällen müssen Sie bekennen, daß die Kopflosigkeit kein Mangel an dem Ob¬
ject unsrer Disputation ist.

„Nach dem Gesagten," so fuhr mein Freund, vom Genuß seines dritten
Dutzends ausathmend, mit der Miene des heiteren Weisen fort, „bedarf es
keines langen Beweises, daß es kein Unglück für die Auster ist, wenn sie
keine Augen hat; denn wer keinen Kopf braucht, um große Dinge zu thun,
bedarf dazu auch keiner Augen. Das wird Ihnen unter andern schon Justi-
nus Kerner zeigen können, dessen Hellseherinnen mit dem Nabel lesen und
viel schärfer und weiter schauen als wir mit der besten Lupe und mit dem
schärfsten Frauenhofer."

Er nippte mit einem würdevollen Schlückchen den Rest seines Glases aus
und bestellte mit der anmuthigen Ruhe des Stammgastes durch eine bloße
Daumenbewegung nach dem Büffet hin ein viertes Dutzend und eine zweite
Flasche. Dann wieder zu seinem Thema zurückkehrend, schickte er sich an.
seine Rede zu schließen.

„Es erübrigt noch Eins, was indeß nicht von Bedeutung für den Weisen
ist. Wollen Sie an der Organisation der Auster tadeln, daß sie sich nicht
bewegen kann, so bin ich in der angenehmen Lage, Ihnen hundert Beispiele
für die Meinung vorführen zu können, daß es ein Borurtheil ist. wenn man
sagt. Reisen mache den Menschen klüger und glücklicher. Schon die Verbin¬
dung der beiden Worte ist ein Widerspruch; denn die Erfahrung zeigt, daß
die Einfalt meist mehr Glück hat. sich auf alle Fälle glücklicher fühlt, als die
Klugheit. Daun aber .erinnern Sie sich an das Matrosengrav auf dem Kirch¬
hof von Ottensen draußen. Denken Sie an Kant, der nie aus Königsberg
gekommen ist, an den alten Satz, daß Umherziehen in der Welt blasirt macht,
an die Erzählung von Kam, der für seinen Brudermord nicht härter^bestraft


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0423" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112931"/>
            <p xml:id="ID_1266" prev="#ID_1265"> Hauptfrage erklärten, und daß einige besonders phantasievolle Geister in ihrem<lb/>
Trieb nach Gründlichkeit sogar zu klaren Vorstellungen über die Methode ge¬<lb/>
langten, in welcher die Predigt zu ermöglichen gewesen wäre. Schlußfolge¬<lb/>
rungen daraus zu ziehen, die Nutzanwendung davon zu machen, den Ueber¬<lb/>
gang vom kopflosen Kürbis zur kopflosen Auster zu finden, kann ich getrost<lb/>
Ihrem Scharfsinn überlassen. Nur einige Mittelglieder des Schlusses erlauben<lb/>
Sie mir noch anzudeuten. Entweder hatten jene erleuchteten Theologen Recht,<lb/>
und dann bedürfte es zu den höchsten Thaten keines Kopfes, oder sie hatten<lb/>
Unrecht, und dann war ihr Urtheil kopflos, aber doch immerhin ein Urtheil<lb/>
und damit ein Beweisj. daß man wenigstens zum Urtheilen keinen Kopf<lb/>
nöthig hat. Ich meinestheils habe mich gegen die Zulässigkeit jener schola¬<lb/>
stischen Behauptung entschieden. Welche Stellung Sie zu dem Dilemma ein¬<lb/>
nehmen wollen, sei Ihrer Wahl anheimgegeben. Herausschlüpfen können Sie<lb/>
mir nicht. So oder so, artig gegen unsre Pariser oder nicht, in beiden<lb/>
Fällen müssen Sie bekennen, daß die Kopflosigkeit kein Mangel an dem Ob¬<lb/>
ject unsrer Disputation ist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1267"> &#x201E;Nach dem Gesagten," so fuhr mein Freund, vom Genuß seines dritten<lb/>
Dutzends ausathmend, mit der Miene des heiteren Weisen fort, &#x201E;bedarf es<lb/>
keines langen Beweises, daß es kein Unglück für die Auster ist, wenn sie<lb/>
keine Augen hat; denn wer keinen Kopf braucht, um große Dinge zu thun,<lb/>
bedarf dazu auch keiner Augen. Das wird Ihnen unter andern schon Justi-<lb/>
nus Kerner zeigen können, dessen Hellseherinnen mit dem Nabel lesen und<lb/>
viel schärfer und weiter schauen als wir mit der besten Lupe und mit dem<lb/>
schärfsten Frauenhofer."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1268"> Er nippte mit einem würdevollen Schlückchen den Rest seines Glases aus<lb/>
und bestellte mit der anmuthigen Ruhe des Stammgastes durch eine bloße<lb/>
Daumenbewegung nach dem Büffet hin ein viertes Dutzend und eine zweite<lb/>
Flasche. Dann wieder zu seinem Thema zurückkehrend, schickte er sich an.<lb/>
seine Rede zu schließen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1269" next="#ID_1270"> &#x201E;Es erübrigt noch Eins, was indeß nicht von Bedeutung für den Weisen<lb/>
ist. Wollen Sie an der Organisation der Auster tadeln, daß sie sich nicht<lb/>
bewegen kann, so bin ich in der angenehmen Lage, Ihnen hundert Beispiele<lb/>
für die Meinung vorführen zu können, daß es ein Borurtheil ist. wenn man<lb/>
sagt. Reisen mache den Menschen klüger und glücklicher. Schon die Verbin¬<lb/>
dung der beiden Worte ist ein Widerspruch; denn die Erfahrung zeigt, daß<lb/>
die Einfalt meist mehr Glück hat. sich auf alle Fälle glücklicher fühlt, als die<lb/>
Klugheit. Daun aber .erinnern Sie sich an das Matrosengrav auf dem Kirch¬<lb/>
hof von Ottensen draußen. Denken Sie an Kant, der nie aus Königsberg<lb/>
gekommen ist, an den alten Satz, daß Umherziehen in der Welt blasirt macht,<lb/>
an die Erzählung von Kam, der für seinen Brudermord nicht härter^bestraft</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0423] Hauptfrage erklärten, und daß einige besonders phantasievolle Geister in ihrem Trieb nach Gründlichkeit sogar zu klaren Vorstellungen über die Methode ge¬ langten, in welcher die Predigt zu ermöglichen gewesen wäre. Schlußfolge¬ rungen daraus zu ziehen, die Nutzanwendung davon zu machen, den Ueber¬ gang vom kopflosen Kürbis zur kopflosen Auster zu finden, kann ich getrost Ihrem Scharfsinn überlassen. Nur einige Mittelglieder des Schlusses erlauben Sie mir noch anzudeuten. Entweder hatten jene erleuchteten Theologen Recht, und dann bedürfte es zu den höchsten Thaten keines Kopfes, oder sie hatten Unrecht, und dann war ihr Urtheil kopflos, aber doch immerhin ein Urtheil und damit ein Beweisj. daß man wenigstens zum Urtheilen keinen Kopf nöthig hat. Ich meinestheils habe mich gegen die Zulässigkeit jener schola¬ stischen Behauptung entschieden. Welche Stellung Sie zu dem Dilemma ein¬ nehmen wollen, sei Ihrer Wahl anheimgegeben. Herausschlüpfen können Sie mir nicht. So oder so, artig gegen unsre Pariser oder nicht, in beiden Fällen müssen Sie bekennen, daß die Kopflosigkeit kein Mangel an dem Ob¬ ject unsrer Disputation ist. „Nach dem Gesagten," so fuhr mein Freund, vom Genuß seines dritten Dutzends ausathmend, mit der Miene des heiteren Weisen fort, „bedarf es keines langen Beweises, daß es kein Unglück für die Auster ist, wenn sie keine Augen hat; denn wer keinen Kopf braucht, um große Dinge zu thun, bedarf dazu auch keiner Augen. Das wird Ihnen unter andern schon Justi- nus Kerner zeigen können, dessen Hellseherinnen mit dem Nabel lesen und viel schärfer und weiter schauen als wir mit der besten Lupe und mit dem schärfsten Frauenhofer." Er nippte mit einem würdevollen Schlückchen den Rest seines Glases aus und bestellte mit der anmuthigen Ruhe des Stammgastes durch eine bloße Daumenbewegung nach dem Büffet hin ein viertes Dutzend und eine zweite Flasche. Dann wieder zu seinem Thema zurückkehrend, schickte er sich an. seine Rede zu schließen. „Es erübrigt noch Eins, was indeß nicht von Bedeutung für den Weisen ist. Wollen Sie an der Organisation der Auster tadeln, daß sie sich nicht bewegen kann, so bin ich in der angenehmen Lage, Ihnen hundert Beispiele für die Meinung vorführen zu können, daß es ein Borurtheil ist. wenn man sagt. Reisen mache den Menschen klüger und glücklicher. Schon die Verbin¬ dung der beiden Worte ist ein Widerspruch; denn die Erfahrung zeigt, daß die Einfalt meist mehr Glück hat. sich auf alle Fälle glücklicher fühlt, als die Klugheit. Daun aber .erinnern Sie sich an das Matrosengrav auf dem Kirch¬ hof von Ottensen draußen. Denken Sie an Kant, der nie aus Königsberg gekommen ist, an den alten Satz, daß Umherziehen in der Welt blasirt macht, an die Erzählung von Kam, der für seinen Brudermord nicht härter^bestraft

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/423
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/423>, abgerufen am 23.07.2024.