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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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und sollte, obwol seine Anerkennung nicht gleich ausgemacht war*), doch bald der
Ausgangspunkt und das Vorbild einer ganzen Richtung werden. Das oberste
Gesetz der schönen Form und des würdevollen Ausdrucks war umgestoßen:
an seine Stelle war die Wahrheit der aufgeregten menschlichen Natur getreten
und der täuschende Schein der Wirklichkeit. Aber wolgemerkt: diese mußte
von einem mächtigen Trieb oder Leiden bewegt sein, es kam Gvricault vor
Allem auf den ergreifenden Ausdruck einer tiefen Empfindung und auf eine
ungewöhnliche Bewegung an. Nicht mehr die historische Stellung und Be¬
deutung der Person, sondern ledigUch ihr Pathos sollte den Ausschlag geben,
und ebenso sollten Bewegung und Anordnung nicht mehr nach akademischen
Regeln sich fügen, sondern lediglich als die natürliche Erscheinung dieses Pa>
thos sich darstellen. Daher kam es, daß Gvricault und seine Nachfolger vor
Allem den Menschen in der Aufrüttelung des leidenschaftlichen Affects zum
Gegenstande der Kunst machten; der ungezügelte Ausbruch der Natur in dem
furchtbaren Momente der Entzweiung und des Kampfes mit der Welt erschien
ihnen als die vollste und freieste Aeußerung des Lebens, die eben deshalb
dem Künstler am günstigsten sei. Hier war es wieder die bildende Kunst,
welche der dichtenden den Weg zeigte. Diese erste Stufe des Realismus,
die im bewußten Gegensatz zu der classischen Würde und Besonnenheit steht,
ist daher keineswegs die Darstellung der gewöhnlichen und zufälligen Wirklich¬
keit, sie nimmt vielmehr die gewaltig von innen heraus bewegte Realität zu
ihrem Object und schließt, da diese der Schönheit der Form und Anordnung
nicht gradezu entgegen ist, diese nicht grundsätzlich aus. Immerhin aber
bekennt sie sich zu der Natur, wie sie unmittelbar sich äußert, als zu ihrem
Vorbilde, wenn auch die künstlerische Auffassung das Gemeine meidet und
hinterher mit idealistrender Hand die Härten und Flecken zu verwischen sucht.
Indessen vollzieht sich schon hier der Uebergang zu der einfachen und ge¬
wöhnlichen Natur leicht aus den Gebieten, die außerhalb des menschlichen
Wesens liegen. Es ist gewiß nicht zufällig, daß G6ricault ein vortrefflicher
Pferdemaler war. Seine kleinen Thierstücke, -- einzelne Pferde, Jo t'our ü,
Mere, Stall von fünf Pferden u. f. f. -- sind nicht das Schlechteste, was
er gemacht hat. Es spricht sich in ihnen ein feiner Sinn für die malerische
Erscheinung des Thierlebens aus, das in der edleren Natur des Pferdes einen
Aufschwung zu nehmen scheint, ein Sinn, der die Realität in lebensvollster
Weise auffaßt und wiedergibt, und welchen in noch vollendeterer Weise höch¬
stens die Holländer haben.



') Merkwürdig ist das Schicksal des Bildes. Es fand in Paris keinen Käufer und ob-
wol der Director der Museen, der obengenannte Forbin. den Kauf bei der Regierung mehr¬
mals beantragte, wollte es auch diese nicht. Gmicault stellte es hierauf in London aus.
stach seinem Tode sollte es für 20.000 Frks. in 4 Stücke getheilt werden, als endlich die Re¬
gierung sich noch rechtzeitig für den Ankauf entschied.

und sollte, obwol seine Anerkennung nicht gleich ausgemacht war*), doch bald der
Ausgangspunkt und das Vorbild einer ganzen Richtung werden. Das oberste
Gesetz der schönen Form und des würdevollen Ausdrucks war umgestoßen:
an seine Stelle war die Wahrheit der aufgeregten menschlichen Natur getreten
und der täuschende Schein der Wirklichkeit. Aber wolgemerkt: diese mußte
von einem mächtigen Trieb oder Leiden bewegt sein, es kam Gvricault vor
Allem auf den ergreifenden Ausdruck einer tiefen Empfindung und auf eine
ungewöhnliche Bewegung an. Nicht mehr die historische Stellung und Be¬
deutung der Person, sondern ledigUch ihr Pathos sollte den Ausschlag geben,
und ebenso sollten Bewegung und Anordnung nicht mehr nach akademischen
Regeln sich fügen, sondern lediglich als die natürliche Erscheinung dieses Pa>
thos sich darstellen. Daher kam es, daß Gvricault und seine Nachfolger vor
Allem den Menschen in der Aufrüttelung des leidenschaftlichen Affects zum
Gegenstande der Kunst machten; der ungezügelte Ausbruch der Natur in dem
furchtbaren Momente der Entzweiung und des Kampfes mit der Welt erschien
ihnen als die vollste und freieste Aeußerung des Lebens, die eben deshalb
dem Künstler am günstigsten sei. Hier war es wieder die bildende Kunst,
welche der dichtenden den Weg zeigte. Diese erste Stufe des Realismus,
die im bewußten Gegensatz zu der classischen Würde und Besonnenheit steht,
ist daher keineswegs die Darstellung der gewöhnlichen und zufälligen Wirklich¬
keit, sie nimmt vielmehr die gewaltig von innen heraus bewegte Realität zu
ihrem Object und schließt, da diese der Schönheit der Form und Anordnung
nicht gradezu entgegen ist, diese nicht grundsätzlich aus. Immerhin aber
bekennt sie sich zu der Natur, wie sie unmittelbar sich äußert, als zu ihrem
Vorbilde, wenn auch die künstlerische Auffassung das Gemeine meidet und
hinterher mit idealistrender Hand die Härten und Flecken zu verwischen sucht.
Indessen vollzieht sich schon hier der Uebergang zu der einfachen und ge¬
wöhnlichen Natur leicht aus den Gebieten, die außerhalb des menschlichen
Wesens liegen. Es ist gewiß nicht zufällig, daß G6ricault ein vortrefflicher
Pferdemaler war. Seine kleinen Thierstücke, — einzelne Pferde, Jo t'our ü,
Mere, Stall von fünf Pferden u. f. f. — sind nicht das Schlechteste, was
er gemacht hat. Es spricht sich in ihnen ein feiner Sinn für die malerische
Erscheinung des Thierlebens aus, das in der edleren Natur des Pferdes einen
Aufschwung zu nehmen scheint, ein Sinn, der die Realität in lebensvollster
Weise auffaßt und wiedergibt, und welchen in noch vollendeterer Weise höch¬
stens die Holländer haben.



') Merkwürdig ist das Schicksal des Bildes. Es fand in Paris keinen Käufer und ob-
wol der Director der Museen, der obengenannte Forbin. den Kauf bei der Regierung mehr¬
mals beantragte, wollte es auch diese nicht. Gmicault stellte es hierauf in London aus.
stach seinem Tode sollte es für 20.000 Frks. in 4 Stücke getheilt werden, als endlich die Re¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/42>, abgerufen am 23.07.2024.