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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Gericault unterscheidet sich zu seinem Vortheile dadurch von den andern
Meistern seiner Richtung, daß er das Furchtbare darstellte, weil ihn seine Natur
dazu trieb. Sein wild bewegtes Leben hatte ihn oft an den Abgrund der
Verzweiflung geführt und der Gedanke des Todes war ihm nicht neu.

Es gewährte ihm eine Art von Genugthuung, sich die Schrecken desselben
in lebendigster Weise anschaulich zu machen und doch wieder an der Hoffnung
auf die "süße Gewohnheit des Daseins" sich zu erheben. Insofern scheint
es fast, als ob er mit dem Bilde des raöeau den höchsten Ausdruck seines
Wesens gegeben hätte. Aber wer kann bemessen, zu welchen neuen Ausgaben
sich seine jugendliche und trotz aller Ausschweifung noch kräftige Natur bei
seiner ausgezeichneten künstlerischen Bildung aufgeschwungen hätte! Unachtsam
auf semen schon zerrütteten Körper sein leidenschaftliches Treiben fortsetzend,
starb er schon im 34. Jahre.

Der Sprung von der classischen Richtung auf diesen neuen Naturalis¬
mus, von David auf Göricault ist nicht so unvermittelt, als es auf den ersten
Blick den Anschein hat. Zwischen beiden steht wechselsweise bald dem Einen
bald dem Andern zugewendet Gros mit seinen historischen Bildern. Die
Pestkranken von Jaffa, die Verwundeten von Abukir weisen, wie wir gesehen,
in ihrer der bewegten Natur entnommenen Erscheinungsweise und in dem er¬
greifenden Ausdruck des Leidens schon aus den neuen Realismus hin. In¬
dessen erhielt die Auffassung von Gros eine eigenthümliche Ausbildung, die
beide Richtungen in der Schlachtenmalerei inniger zu verbinden strebte: näm¬
lich durch Horace Vernet, der sich in seinem ersten bekannten Bilde, "die
Schlacht von Tolosa" (vom Jahre 1817) an jenen Meister anschloß. Auf
die fruchtbare Thätigkeit dieses Malers ist an einer andern Stelle einzu¬
gehen.

Göriccmlt war gestorben, als mau ihn zum Anführer einer neuen Schule
erklärte. Er hatte das Zeichen zum Abfall von der classischen Kunst gegeben.
Seine beiden Mitschüler Eugene Delacroix und Ary Scheffer folgten demselben,
wenn auch Gencault auf Jeden verschieden und nur aus den Ersteren un¬
mittelbar einwirkte. Aber während beide Richtungen, die romantische sowol,
als die realistische, in ihrem Kampfe gegen die ideale Formenwelt gemein¬
schaftliche Sache machend immer weiter um sich griffen und jener das Terrain
völlig streitig zu machen drohten, erhob sich innerhalb der classischen Schule
selber eine neue Kraft, die das schon erstarrende Ideal-neu zu 'beleben suchte.

In demselben Salon von 1819, in welchem Hersents Gustav Wasa und
G6ncaults raäe-in Künstler und Beschauer lebhaft beschäftigten, regten zwei
Bilder von einem Schüler Davids, denen ein guter Ruf von Rom voraus¬
gegangen war. die Kritik zu den entgegengesetzten Urtheilen auf. Es waren
die Odaliste und die Befreiung Angclikas durch Rüdiger (letzteres in >r


GrenMcn IV. 1861. 5

Gericault unterscheidet sich zu seinem Vortheile dadurch von den andern
Meistern seiner Richtung, daß er das Furchtbare darstellte, weil ihn seine Natur
dazu trieb. Sein wild bewegtes Leben hatte ihn oft an den Abgrund der
Verzweiflung geführt und der Gedanke des Todes war ihm nicht neu.

Es gewährte ihm eine Art von Genugthuung, sich die Schrecken desselben
in lebendigster Weise anschaulich zu machen und doch wieder an der Hoffnung
auf die „süße Gewohnheit des Daseins" sich zu erheben. Insofern scheint
es fast, als ob er mit dem Bilde des raöeau den höchsten Ausdruck seines
Wesens gegeben hätte. Aber wer kann bemessen, zu welchen neuen Ausgaben
sich seine jugendliche und trotz aller Ausschweifung noch kräftige Natur bei
seiner ausgezeichneten künstlerischen Bildung aufgeschwungen hätte! Unachtsam
auf semen schon zerrütteten Körper sein leidenschaftliches Treiben fortsetzend,
starb er schon im 34. Jahre.

Der Sprung von der classischen Richtung auf diesen neuen Naturalis¬
mus, von David auf Göricault ist nicht so unvermittelt, als es auf den ersten
Blick den Anschein hat. Zwischen beiden steht wechselsweise bald dem Einen
bald dem Andern zugewendet Gros mit seinen historischen Bildern. Die
Pestkranken von Jaffa, die Verwundeten von Abukir weisen, wie wir gesehen,
in ihrer der bewegten Natur entnommenen Erscheinungsweise und in dem er¬
greifenden Ausdruck des Leidens schon aus den neuen Realismus hin. In¬
dessen erhielt die Auffassung von Gros eine eigenthümliche Ausbildung, die
beide Richtungen in der Schlachtenmalerei inniger zu verbinden strebte: näm¬
lich durch Horace Vernet, der sich in seinem ersten bekannten Bilde, „die
Schlacht von Tolosa" (vom Jahre 1817) an jenen Meister anschloß. Auf
die fruchtbare Thätigkeit dieses Malers ist an einer andern Stelle einzu¬
gehen.

Göriccmlt war gestorben, als mau ihn zum Anführer einer neuen Schule
erklärte. Er hatte das Zeichen zum Abfall von der classischen Kunst gegeben.
Seine beiden Mitschüler Eugene Delacroix und Ary Scheffer folgten demselben,
wenn auch Gencault auf Jeden verschieden und nur aus den Ersteren un¬
mittelbar einwirkte. Aber während beide Richtungen, die romantische sowol,
als die realistische, in ihrem Kampfe gegen die ideale Formenwelt gemein¬
schaftliche Sache machend immer weiter um sich griffen und jener das Terrain
völlig streitig zu machen drohten, erhob sich innerhalb der classischen Schule
selber eine neue Kraft, die das schon erstarrende Ideal-neu zu 'beleben suchte.

In demselben Salon von 1819, in welchem Hersents Gustav Wasa und
G6ncaults raäe-in Künstler und Beschauer lebhaft beschäftigten, regten zwei
Bilder von einem Schüler Davids, denen ein guter Ruf von Rom voraus¬
gegangen war. die Kritik zu den entgegengesetzten Urtheilen auf. Es waren
die Odaliste und die Befreiung Angclikas durch Rüdiger (letzteres in >r


GrenMcn IV. 1861. 5
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[0043] Gericault unterscheidet sich zu seinem Vortheile dadurch von den andern Meistern seiner Richtung, daß er das Furchtbare darstellte, weil ihn seine Natur dazu trieb. Sein wild bewegtes Leben hatte ihn oft an den Abgrund der Verzweiflung geführt und der Gedanke des Todes war ihm nicht neu. Es gewährte ihm eine Art von Genugthuung, sich die Schrecken desselben in lebendigster Weise anschaulich zu machen und doch wieder an der Hoffnung auf die „süße Gewohnheit des Daseins" sich zu erheben. Insofern scheint es fast, als ob er mit dem Bilde des raöeau den höchsten Ausdruck seines Wesens gegeben hätte. Aber wer kann bemessen, zu welchen neuen Ausgaben sich seine jugendliche und trotz aller Ausschweifung noch kräftige Natur bei seiner ausgezeichneten künstlerischen Bildung aufgeschwungen hätte! Unachtsam auf semen schon zerrütteten Körper sein leidenschaftliches Treiben fortsetzend, starb er schon im 34. Jahre. Der Sprung von der classischen Richtung auf diesen neuen Naturalis¬ mus, von David auf Göricault ist nicht so unvermittelt, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Zwischen beiden steht wechselsweise bald dem Einen bald dem Andern zugewendet Gros mit seinen historischen Bildern. Die Pestkranken von Jaffa, die Verwundeten von Abukir weisen, wie wir gesehen, in ihrer der bewegten Natur entnommenen Erscheinungsweise und in dem er¬ greifenden Ausdruck des Leidens schon aus den neuen Realismus hin. In¬ dessen erhielt die Auffassung von Gros eine eigenthümliche Ausbildung, die beide Richtungen in der Schlachtenmalerei inniger zu verbinden strebte: näm¬ lich durch Horace Vernet, der sich in seinem ersten bekannten Bilde, „die Schlacht von Tolosa" (vom Jahre 1817) an jenen Meister anschloß. Auf die fruchtbare Thätigkeit dieses Malers ist an einer andern Stelle einzu¬ gehen. Göriccmlt war gestorben, als mau ihn zum Anführer einer neuen Schule erklärte. Er hatte das Zeichen zum Abfall von der classischen Kunst gegeben. Seine beiden Mitschüler Eugene Delacroix und Ary Scheffer folgten demselben, wenn auch Gencault auf Jeden verschieden und nur aus den Ersteren un¬ mittelbar einwirkte. Aber während beide Richtungen, die romantische sowol, als die realistische, in ihrem Kampfe gegen die ideale Formenwelt gemein¬ schaftliche Sache machend immer weiter um sich griffen und jener das Terrain völlig streitig zu machen drohten, erhob sich innerhalb der classischen Schule selber eine neue Kraft, die das schon erstarrende Ideal-neu zu 'beleben suchte. In demselben Salon von 1819, in welchem Hersents Gustav Wasa und G6ncaults raäe-in Künstler und Beschauer lebhaft beschäftigten, regten zwei Bilder von einem Schüler Davids, denen ein guter Ruf von Rom voraus¬ gegangen war. die Kritik zu den entgegengesetzten Urtheilen auf. Es waren die Odaliste und die Befreiung Angclikas durch Rüdiger (letzteres in >r GrenMcn IV. 1861. 5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/43>, abgerufen am 23.07.2024.