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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Zustandes überzeugen, daß es nüchterner Ernst ist. Ich ziehe indeß vor, Ihnen
ein schlagendes Beispiel vom Gegentheil aus der Geschichte zur Beherzigung
zu empfehlen. So wissen Sie denn, Freund: Die alten Juden sind haupt¬
sächlich deshalb untergegangen, weil ihr Gesetz ihnen verbot, sich zur Kur
ihrer leidenschaftlichen Empfindungen auf das Austermesser zu legen. Lesen
Sie Moses und Josephus, und Sie werden mir Recht geben."

Ich lächelte wieder. "Noch nicht gewonnen?" fragte er. "Wohlan denn,
versuchen wir dem Unglauben auf einem andern Wege beizukommen. Ich führte
vorhin als zweiten Hauptquell des Unheils für die Menschheit den schlechten Magen
an, und Sie werden einräumen, daß ein solcher Hypochonder erzeugt und daß
Hypochondrie die Ursache vieler und schwerer Uebel ist. Ein kranker Magen aber
wird durch leicht verdauliche Speise gebessert, ein gesunder dadurch gesund erhalten,
und ich rede aus gründlichster Erfahrung, wenn ich sage, daß die Auster die
verdaulichste aller Speisen, ja daß sie überhaupt die Speise der Speisen ist.
Trüffeln, Schildkrötensuppe^ Gänseleberpastete, Fasan, Hummersalat, Stein¬
butt -- Alles gut in seiner Art. aber was sind sie gegen ein wohlgeordnetes
Austernfrühstück! Ein gelehrter und beredter Franzose hat bemerkt (hier zog
er ein kleines Buch aus der Tasche, welches er sein Brevier nannte und stets
bei sich trug): ""So viel ist sicher, daß die Auster eine Nahrung liefert, die
alle Eigenschaften in sich vereint, welche wir an Speisen schätzen. Ihr
Fleisch ist süß, sein und zart, es hat Wohlgeschmack genug, um die Zunge
zu vergnügen, aber nicht genug, um sie zu reizen und abzustumpfen oder sie
jene dem Gastronomen schreckliche Grenze überschreiten zulassen, die mit den
Worten zu viel bezeichnet ist. Sie leiht durch eine ihr eigenthümliche Ei¬
genschaft fernerhin zur Beförderung des Verdauungsprocesses ihre Beihülfe.
Indem sie sich leicht mit andern Nahrungsstoffen verbindet und sich ohne
Schwierigkeit dem Magensaft assimilirt, fördert sie das Zersetzungsgeschäft
desselben auf die dankenswertheste Weise. Mit Ausnahme des Brotes gibt
es kein einziges Nahrungsmittel, welches nicht unter den oder jenen Verhält¬
nissen schädlich auf den Berdauungsproceß einwirkte, und die. welche wir für
die besten halten, thun dies am meisten. Die Auster macht sich dessen nie¬
mals schuldig."" -- Dieses Lob ist vollkommen begründet. Sie können
Austern essen heute, morgen, in alle Ewigkeit, soviel Sie mögen. Ihre Ge-
genwart im Magen ist kaum zu merken, und doch befriedigen sie den Ge¬
schmackssinn, stillen sie jene Aufregung der Nerven, die den Hunger hervor¬
ruft. Sie sind die Zrats. iriAwviss des Horaz in all ihrer erhabnen Beschei¬
denheit, welche keine Uebersättigung, keine Kolik, keine Vorwürfe, keine
Gewissensbisse nach sich zieht. Wenn Malherbe sagt, daß er nichts Edleres
kennt, als Frauen und Melonen, so ist schwer zu begreifen, wie er. ein Poet
der Normandie, der so nahe bei den besten Austernbänken dichtete, die Austern


Grenzboten IV. 1S61, 52

Zustandes überzeugen, daß es nüchterner Ernst ist. Ich ziehe indeß vor, Ihnen
ein schlagendes Beispiel vom Gegentheil aus der Geschichte zur Beherzigung
zu empfehlen. So wissen Sie denn, Freund: Die alten Juden sind haupt¬
sächlich deshalb untergegangen, weil ihr Gesetz ihnen verbot, sich zur Kur
ihrer leidenschaftlichen Empfindungen auf das Austermesser zu legen. Lesen
Sie Moses und Josephus, und Sie werden mir Recht geben."

Ich lächelte wieder. „Noch nicht gewonnen?" fragte er. „Wohlan denn,
versuchen wir dem Unglauben auf einem andern Wege beizukommen. Ich führte
vorhin als zweiten Hauptquell des Unheils für die Menschheit den schlechten Magen
an, und Sie werden einräumen, daß ein solcher Hypochonder erzeugt und daß
Hypochondrie die Ursache vieler und schwerer Uebel ist. Ein kranker Magen aber
wird durch leicht verdauliche Speise gebessert, ein gesunder dadurch gesund erhalten,
und ich rede aus gründlichster Erfahrung, wenn ich sage, daß die Auster die
verdaulichste aller Speisen, ja daß sie überhaupt die Speise der Speisen ist.
Trüffeln, Schildkrötensuppe^ Gänseleberpastete, Fasan, Hummersalat, Stein¬
butt — Alles gut in seiner Art. aber was sind sie gegen ein wohlgeordnetes
Austernfrühstück! Ein gelehrter und beredter Franzose hat bemerkt (hier zog
er ein kleines Buch aus der Tasche, welches er sein Brevier nannte und stets
bei sich trug): „„So viel ist sicher, daß die Auster eine Nahrung liefert, die
alle Eigenschaften in sich vereint, welche wir an Speisen schätzen. Ihr
Fleisch ist süß, sein und zart, es hat Wohlgeschmack genug, um die Zunge
zu vergnügen, aber nicht genug, um sie zu reizen und abzustumpfen oder sie
jene dem Gastronomen schreckliche Grenze überschreiten zulassen, die mit den
Worten zu viel bezeichnet ist. Sie leiht durch eine ihr eigenthümliche Ei¬
genschaft fernerhin zur Beförderung des Verdauungsprocesses ihre Beihülfe.
Indem sie sich leicht mit andern Nahrungsstoffen verbindet und sich ohne
Schwierigkeit dem Magensaft assimilirt, fördert sie das Zersetzungsgeschäft
desselben auf die dankenswertheste Weise. Mit Ausnahme des Brotes gibt
es kein einziges Nahrungsmittel, welches nicht unter den oder jenen Verhält¬
nissen schädlich auf den Berdauungsproceß einwirkte, und die. welche wir für
die besten halten, thun dies am meisten. Die Auster macht sich dessen nie¬
mals schuldig."" — Dieses Lob ist vollkommen begründet. Sie können
Austern essen heute, morgen, in alle Ewigkeit, soviel Sie mögen. Ihre Ge-
genwart im Magen ist kaum zu merken, und doch befriedigen sie den Ge¬
schmackssinn, stillen sie jene Aufregung der Nerven, die den Hunger hervor¬
ruft. Sie sind die Zrats. iriAwviss des Horaz in all ihrer erhabnen Beschei¬
denheit, welche keine Uebersättigung, keine Kolik, keine Vorwürfe, keine
Gewissensbisse nach sich zieht. Wenn Malherbe sagt, daß er nichts Edleres
kennt, als Frauen und Melonen, so ist schwer zu begreifen, wie er. ein Poet
der Normandie, der so nahe bei den besten Austernbänken dichtete, die Austern


Grenzboten IV. 1S61, 52
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/419>, abgerufen am 29.12.2024.