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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Philosophen. Jener sagt einmal: Nur zwei Creaturen gibt es, die ich be¬
neide, ein Roß im wilden Mstand, das durch die Wälder Asiens schweift,
und eine Auster an einem der einsamen Gestade Europas. Jenes hat keinen
Wunsch, den es nicht befriedigte, diese hegt Nieder Wunsch noch Furcht. Nun
merken Sie auf: Burns hat es vorgezogen, das Leben des wilden Rosses zu
führen, und ist schlecht dabei gefahren. Ändere haben das bessere Theil er¬
wählt, aber nur Wenigen ward beschicken, zu erkennen, wie wir es schnell und
bequem erreichen. Der Eine versuchte, um das Leben ohne Wunsch und
Furcht, mit andern Worten, die Seligkeit zu gewinnen, die Straße von Ba¬
bylon nach Jerusalem, aus der Welt ins Kloster, der Andere setzte sich zu
gleichem Zweck auf eine andere gottselige Austernbank. Ich meinestheils bin
durch Nachdenken über gewisse Grundsätze jener Naturphilosophen in die glück¬
liche Lage gekommen, ohne die Kirche und ohne Flucht aus der Welt den
nächsten Weg zum Rechten zu finden, und ich will Ihnen denselben in der
Hoffnung, Sie ihn ebenfalls betreten zu sehen, nicht vorenthalten.

Axiom meiner Philosophie ist: Sage mir, was Du issest, und ich will
Dir sagen, was Du bist. Beispiele dafür der Strandbewohner, der Mensch
der Steppe und hundert Andere. Der Strandbewohner, der sich von Fischen
nährt, ist der beste Seemann, gleichsam selbst ein Fisch, der gelbe Kirgise und
Kalmücke, der von dem Fleisch und der Milch seiner Pferde lebt, der trefflichste
Reiter, gleichsam selbst ein Pferd. Völker, die viel Kartoffeln essen, arten
zuletzt in lebende Kartoffelfelder aus, die im Hungertyphus auch ihre Kartoffel-
krankheit haben. Das Roastbeef der Briten bekundet sich deutlich als den
Grund ihrrs Charakters. Ein weintrinkender Stamm spricht und handelt
wie der Geist der Traube sprechen und handeln würde, falls er ein Menschen-
gehüuse anziehen könnte, und der Biergeist Altbayerns ist auch bekannt. Und
jetzt widerlegen Sie mich, wenn ich behaupte, die wohlgeregelte, gelassene, be¬
hagliche, von unsern conservativen Zeitungen so angelegentlich empfohlene
Gemüthsverfassung, deren Typus am reinsten durch die Auster ausgeprägt ist,
dieser renkte ruhige Sinn, den weder der Ehrgeiz, welcher die Engel vom
Himmel stürzte, noch die Neugier, welche den Apfelbiß Adams verschuldete,
noch die Eifersucht, welche Desdemona umbrachte, noch die unverständige
Liebeshitze, welche Romeo und Julie tödtete, noch irgend eine andere Leiden¬
schaft bewegt, diese von unserm schottischen Barden so hochgepriesene Seelen-
stimmung ohne Wunsch und Furcht wird auf die sicherste und zugleich ange¬
nehmste Weise durch fleißigen und gesinnungsvollen Genuß von Austern erlangt.
Alle sieben Seligkeiten des Confucius sprechen dafür, auch die achte: Selig
sind, die da nichts hoffen; denn sie sollen nicht getäuscht werden!

Sie lächeln, sagte er, "und denken an Scherz. Ich konnte Sie durch eine
vergleichende Schilderung meines frühern und meines gegenwärtigen Gemüths-


Philosophen. Jener sagt einmal: Nur zwei Creaturen gibt es, die ich be¬
neide, ein Roß im wilden Mstand, das durch die Wälder Asiens schweift,
und eine Auster an einem der einsamen Gestade Europas. Jenes hat keinen
Wunsch, den es nicht befriedigte, diese hegt Nieder Wunsch noch Furcht. Nun
merken Sie auf: Burns hat es vorgezogen, das Leben des wilden Rosses zu
führen, und ist schlecht dabei gefahren. Ändere haben das bessere Theil er¬
wählt, aber nur Wenigen ward beschicken, zu erkennen, wie wir es schnell und
bequem erreichen. Der Eine versuchte, um das Leben ohne Wunsch und
Furcht, mit andern Worten, die Seligkeit zu gewinnen, die Straße von Ba¬
bylon nach Jerusalem, aus der Welt ins Kloster, der Andere setzte sich zu
gleichem Zweck auf eine andere gottselige Austernbank. Ich meinestheils bin
durch Nachdenken über gewisse Grundsätze jener Naturphilosophen in die glück¬
liche Lage gekommen, ohne die Kirche und ohne Flucht aus der Welt den
nächsten Weg zum Rechten zu finden, und ich will Ihnen denselben in der
Hoffnung, Sie ihn ebenfalls betreten zu sehen, nicht vorenthalten.

Axiom meiner Philosophie ist: Sage mir, was Du issest, und ich will
Dir sagen, was Du bist. Beispiele dafür der Strandbewohner, der Mensch
der Steppe und hundert Andere. Der Strandbewohner, der sich von Fischen
nährt, ist der beste Seemann, gleichsam selbst ein Fisch, der gelbe Kirgise und
Kalmücke, der von dem Fleisch und der Milch seiner Pferde lebt, der trefflichste
Reiter, gleichsam selbst ein Pferd. Völker, die viel Kartoffeln essen, arten
zuletzt in lebende Kartoffelfelder aus, die im Hungertyphus auch ihre Kartoffel-
krankheit haben. Das Roastbeef der Briten bekundet sich deutlich als den
Grund ihrrs Charakters. Ein weintrinkender Stamm spricht und handelt
wie der Geist der Traube sprechen und handeln würde, falls er ein Menschen-
gehüuse anziehen könnte, und der Biergeist Altbayerns ist auch bekannt. Und
jetzt widerlegen Sie mich, wenn ich behaupte, die wohlgeregelte, gelassene, be¬
hagliche, von unsern conservativen Zeitungen so angelegentlich empfohlene
Gemüthsverfassung, deren Typus am reinsten durch die Auster ausgeprägt ist,
dieser renkte ruhige Sinn, den weder der Ehrgeiz, welcher die Engel vom
Himmel stürzte, noch die Neugier, welche den Apfelbiß Adams verschuldete,
noch die Eifersucht, welche Desdemona umbrachte, noch die unverständige
Liebeshitze, welche Romeo und Julie tödtete, noch irgend eine andere Leiden¬
schaft bewegt, diese von unserm schottischen Barden so hochgepriesene Seelen-
stimmung ohne Wunsch und Furcht wird auf die sicherste und zugleich ange¬
nehmste Weise durch fleißigen und gesinnungsvollen Genuß von Austern erlangt.
Alle sieben Seligkeiten des Confucius sprechen dafür, auch die achte: Selig
sind, die da nichts hoffen; denn sie sollen nicht getäuscht werden!

Sie lächeln, sagte er, „und denken an Scherz. Ich konnte Sie durch eine
vergleichende Schilderung meines frühern und meines gegenwärtigen Gemüths-


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[0418] Philosophen. Jener sagt einmal: Nur zwei Creaturen gibt es, die ich be¬ neide, ein Roß im wilden Mstand, das durch die Wälder Asiens schweift, und eine Auster an einem der einsamen Gestade Europas. Jenes hat keinen Wunsch, den es nicht befriedigte, diese hegt Nieder Wunsch noch Furcht. Nun merken Sie auf: Burns hat es vorgezogen, das Leben des wilden Rosses zu führen, und ist schlecht dabei gefahren. Ändere haben das bessere Theil er¬ wählt, aber nur Wenigen ward beschicken, zu erkennen, wie wir es schnell und bequem erreichen. Der Eine versuchte, um das Leben ohne Wunsch und Furcht, mit andern Worten, die Seligkeit zu gewinnen, die Straße von Ba¬ bylon nach Jerusalem, aus der Welt ins Kloster, der Andere setzte sich zu gleichem Zweck auf eine andere gottselige Austernbank. Ich meinestheils bin durch Nachdenken über gewisse Grundsätze jener Naturphilosophen in die glück¬ liche Lage gekommen, ohne die Kirche und ohne Flucht aus der Welt den nächsten Weg zum Rechten zu finden, und ich will Ihnen denselben in der Hoffnung, Sie ihn ebenfalls betreten zu sehen, nicht vorenthalten. Axiom meiner Philosophie ist: Sage mir, was Du issest, und ich will Dir sagen, was Du bist. Beispiele dafür der Strandbewohner, der Mensch der Steppe und hundert Andere. Der Strandbewohner, der sich von Fischen nährt, ist der beste Seemann, gleichsam selbst ein Fisch, der gelbe Kirgise und Kalmücke, der von dem Fleisch und der Milch seiner Pferde lebt, der trefflichste Reiter, gleichsam selbst ein Pferd. Völker, die viel Kartoffeln essen, arten zuletzt in lebende Kartoffelfelder aus, die im Hungertyphus auch ihre Kartoffel- krankheit haben. Das Roastbeef der Briten bekundet sich deutlich als den Grund ihrrs Charakters. Ein weintrinkender Stamm spricht und handelt wie der Geist der Traube sprechen und handeln würde, falls er ein Menschen- gehüuse anziehen könnte, und der Biergeist Altbayerns ist auch bekannt. Und jetzt widerlegen Sie mich, wenn ich behaupte, die wohlgeregelte, gelassene, be¬ hagliche, von unsern conservativen Zeitungen so angelegentlich empfohlene Gemüthsverfassung, deren Typus am reinsten durch die Auster ausgeprägt ist, dieser renkte ruhige Sinn, den weder der Ehrgeiz, welcher die Engel vom Himmel stürzte, noch die Neugier, welche den Apfelbiß Adams verschuldete, noch die Eifersucht, welche Desdemona umbrachte, noch die unverständige Liebeshitze, welche Romeo und Julie tödtete, noch irgend eine andere Leiden¬ schaft bewegt, diese von unserm schottischen Barden so hochgepriesene Seelen- stimmung ohne Wunsch und Furcht wird auf die sicherste und zugleich ange¬ nehmste Weise durch fleißigen und gesinnungsvollen Genuß von Austern erlangt. Alle sieben Seligkeiten des Confucius sprechen dafür, auch die achte: Selig sind, die da nichts hoffen; denn sie sollen nicht getäuscht werden! Sie lächeln, sagte er, „und denken an Scherz. Ich konnte Sie durch eine vergleichende Schilderung meines frühern und meines gegenwärtigen Gemüths-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/418>, abgerufen am 28.12.2024.