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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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sein Regiment aufgelöst wurde, mochte doch wol der künstlerische Trieb doppelt
heftig wieder in ihm erwachen, und nun dachte er ernstlich an eine italie¬
nische Reise.

1817 machte er sich auf den Weg; er hielt sich meistens in Florenz und
Rom auf. Den Ernst eines fleißigen Studiums hatte er doch aus der Schule
Gu"5rin's als gute Frucht mitgenommen. Er feierte nicht, er ließ es nicht
bei dem bloßen Sehen, und obwol er schon mit dem Handwerke seiner Kunst
genau vertraut war, so war er doch unermüdlich in dem Copiren der Meister,
um sich in allen äußerlichen Bedingungen zur Vollendung durchzuarbeiten.
Freilich trieb der Kampf gegen die Einseitigkeit der classischen Richtung auch
ihn in seiner Anschauung über das Maaß hinaus: er lebte sich mit beson¬
derer Vorliebe in die Naturalisten ein, besonders in Caravaggio. Die große,
wenn auch unedle Wildheit des Lebens, die leidenschaftliche Bewegtheit, ver-
t'unden mit einer hohen Meisterschaft der malerischen Darstellung, die dessen
Bilder auszeichnet, war doch dem Ziele verwandt, das G6ricault vorschwebte.
Hier war der Wurf eines wirklichen und zugleich mächtigen Lebens, wie andrer,
seits in dem Heraustreten der wuchtigen Gestalten, das besonders durch die
tiefen Schattentönc bewirkt war, eine imponirende Fülle der Erscheinung lag.
Aber doch vernachlässigte G6ricault die mustergiltigen Meister nicht; und wie
tüchtig er sie verarbeitete, zeigt sich schon darin, daß in seinen neu entstehen¬
den Werken ein unmittelbarer Einfluß derselben nicht zu finden ist, wol aber
eine Sicherheit und eine Energie in der Darstellung der menschlichen Form,
die sich nur durch den anhaltenden Verkehr mit den großen Vorbildern erwer¬
ben läßt. So lange die französische Malerei mit gründlichem Fleiß die voll¬
endete Kunst der Vergangenheit studirte, hat sie, welcher Auffassungsweise sie
auch immer sich zuwandte. Tüchtiges geleistet; und nur da wird die neue
Kunst unerträglich, wo sie, ohne die gehörige Lehrzeit durchgemacht zu haben,
für die mangelhafte Arbeit mit den meistens eiteln Erfindungen der modernen
Phantasie entschädigen will. Schlimm genug, daß diesen Weg einer nichts¬
sagenden Selbständigkeit freilich weit öfter die deutsche, als die französische
Malerei eingeschlagen hat.

Die Frucht des italienischen Aufenthaltes war das große Bild:
iÄÜ<zg,u ac ig. Mäuse", das Gericault im Salon von 1819 ausstellte. Das
Werk war epochemachend. Es brachte ebenso die Künstler, als das Publicum
in Bewegung; daß der Maler es wagte, eine Schifföruchsscene. also eiuen
zwar ergreifenden, aber doch gewöhnlichen Vorgang aus der Gegenwart, der
von keinerlei historischer Bedeutung war, in lebensgroßen Maßstab darzu¬
stellen, schien unerhört. Wol daher kam es, daß Man in dem Bilde allerlei
politische Anspielungen suchte, bald eine Allegorie auf die Leitung des Staates,
bald einen Tadel der Expedition, zu der die zu Grunde gegangene Fregatte


sein Regiment aufgelöst wurde, mochte doch wol der künstlerische Trieb doppelt
heftig wieder in ihm erwachen, und nun dachte er ernstlich an eine italie¬
nische Reise.

1817 machte er sich auf den Weg; er hielt sich meistens in Florenz und
Rom auf. Den Ernst eines fleißigen Studiums hatte er doch aus der Schule
Gu«5rin's als gute Frucht mitgenommen. Er feierte nicht, er ließ es nicht
bei dem bloßen Sehen, und obwol er schon mit dem Handwerke seiner Kunst
genau vertraut war, so war er doch unermüdlich in dem Copiren der Meister,
um sich in allen äußerlichen Bedingungen zur Vollendung durchzuarbeiten.
Freilich trieb der Kampf gegen die Einseitigkeit der classischen Richtung auch
ihn in seiner Anschauung über das Maaß hinaus: er lebte sich mit beson¬
derer Vorliebe in die Naturalisten ein, besonders in Caravaggio. Die große,
wenn auch unedle Wildheit des Lebens, die leidenschaftliche Bewegtheit, ver-
t'unden mit einer hohen Meisterschaft der malerischen Darstellung, die dessen
Bilder auszeichnet, war doch dem Ziele verwandt, das G6ricault vorschwebte.
Hier war der Wurf eines wirklichen und zugleich mächtigen Lebens, wie andrer,
seits in dem Heraustreten der wuchtigen Gestalten, das besonders durch die
tiefen Schattentönc bewirkt war, eine imponirende Fülle der Erscheinung lag.
Aber doch vernachlässigte G6ricault die mustergiltigen Meister nicht; und wie
tüchtig er sie verarbeitete, zeigt sich schon darin, daß in seinen neu entstehen¬
den Werken ein unmittelbarer Einfluß derselben nicht zu finden ist, wol aber
eine Sicherheit und eine Energie in der Darstellung der menschlichen Form,
die sich nur durch den anhaltenden Verkehr mit den großen Vorbildern erwer¬
ben läßt. So lange die französische Malerei mit gründlichem Fleiß die voll¬
endete Kunst der Vergangenheit studirte, hat sie, welcher Auffassungsweise sie
auch immer sich zuwandte. Tüchtiges geleistet; und nur da wird die neue
Kunst unerträglich, wo sie, ohne die gehörige Lehrzeit durchgemacht zu haben,
für die mangelhafte Arbeit mit den meistens eiteln Erfindungen der modernen
Phantasie entschädigen will. Schlimm genug, daß diesen Weg einer nichts¬
sagenden Selbständigkeit freilich weit öfter die deutsche, als die französische
Malerei eingeschlagen hat.

Die Frucht des italienischen Aufenthaltes war das große Bild:
iÄÜ<zg,u ac ig. Mäuse", das Gericault im Salon von 1819 ausstellte. Das
Werk war epochemachend. Es brachte ebenso die Künstler, als das Publicum
in Bewegung; daß der Maler es wagte, eine Schifföruchsscene. also eiuen
zwar ergreifenden, aber doch gewöhnlichen Vorgang aus der Gegenwart, der
von keinerlei historischer Bedeutung war, in lebensgroßen Maßstab darzu¬
stellen, schien unerhört. Wol daher kam es, daß Man in dem Bilde allerlei
politische Anspielungen suchte, bald eine Allegorie auf die Leitung des Staates,
bald einen Tadel der Expedition, zu der die zu Grunde gegangene Fregatte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/40>, abgerufen am 27.12.2024.