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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Muth und Kraft, erschien er. ohne daß Göncault diese Auffassung gesucht
hätte, als die lebendige Verkörperung der französischen Armee, die siegreich
die Welt eroberte: das Heidenthum des neunzehnten Jahrhunderts. Im Ge-
gensatz zu diesem schien der verwundete Cuirassier das ganze Elend des russi¬
schen Feldzuges und den Schmerz des ruhmgewohnten, nun aber besiegten
Soldaten auszudrücken. Verwundet schleppt sich der Reiter, sein müdes Pferd
am Zaume führend, traurig und hoffnungslos, wankenden Schrittes weiter,
Leiden und Ergebung prägen sich gleich stark aus in den noch männlich schönen
Zügen. Spricht aus jener Gestalt ein froh gesteigertes Selbstgefühl, so liegt
auf dieser die ganze Schwere einer gebrochenen Existenz. Aber auch hier fehlt
es nicht an einer geistigen Größe; dem Schmerz hält die Erhebung einer ge¬
faßten Seele das Gleichgewicht, und über das Elend scheint die innere Festig¬
keit, welche die Schläge des Schicksals ruhig hinnimmt, den Sieg davon zu
tragen. So hatte es G6ricault vermocht in zwei einfachen Figuren die be¬
deutungsvollen Wechselfälle des Standes, der das Zeitalter beherrschte und
entscheidend in die Geschichte eingriff, zum künstlerischen Ausdruck zu bringen.
Man empfand wol, daß auf diese Weise die Wirklichkeit ideal angeschaut war.
Weniger aber konnte man sich in die eigenthümliche Behandlung finden. Noch
hatte G6ricault mit der classischen Schule nicht ganz gebrochen: in beiden
Gestalten zeigt sich noch ein Streben nach schöner Form und einem würde¬
volle" Schwung der äußern Erscheinung. Aber im Ganzen hatte es der
Maler doch vorab auf die schlagende Wirkung der unmittelbaren Naturwahr¬
heit abgesehen, die Abreite flotte Pinselführung wollte das Leben in seiner
frischen Bewegung wiedergeben. Der markige Farbenauftrag, der kühne Zug
des Umrisses, der die Form der Wirklichkeit entnahm und in den satten Schein
der Farbe gleichsam eintauchte, der offene Bruch mit der conventionellen Regel,
das Alles kam David und seiner Schule unerwartet.

, Gericault befand sich allerdings im bewußten Gegensatz zu derselben; er
schaute die Dinge mit durchaus malerischem Sinne an und fand, daß die
französische Malerei, indem sie mit einseitiger Strenge sich die antike Plastik
zum Vorbild nahm, aus Abwege gernthe. Er empfand das Bedürfniß, sich
nach den großen italienischen Meistern auszubilden. Doch sollte es so bald da¬
zu nicht kommen. Es ist bezeichnend, wie mit seiner künstlerischen Eigen¬
thümlichkeit eine übermüthige Lebenslust und ein Drang, an dem bewegten
Treiben der Zeit theilzunehmen, zusammentraf. Wie er in der Kunst auf den
Schein einer mächtig erregten Wirklichkeit ausging, so war es ihm im Leben
nur wohl in dem geräuschvollen Gewühl und Verkehr der Welt, im raschen
Wechsel und Fluß des Daseins. Es war wol ebensosehr die Bewegtheit des
militärischen Lebens, als dessen malerische Seite, die ihn antrieben, für Lud¬
wig den Achtzehnter sich einreihen zu lassen. Als mit Napoleons Rückkehr


Muth und Kraft, erschien er. ohne daß Göncault diese Auffassung gesucht
hätte, als die lebendige Verkörperung der französischen Armee, die siegreich
die Welt eroberte: das Heidenthum des neunzehnten Jahrhunderts. Im Ge-
gensatz zu diesem schien der verwundete Cuirassier das ganze Elend des russi¬
schen Feldzuges und den Schmerz des ruhmgewohnten, nun aber besiegten
Soldaten auszudrücken. Verwundet schleppt sich der Reiter, sein müdes Pferd
am Zaume führend, traurig und hoffnungslos, wankenden Schrittes weiter,
Leiden und Ergebung prägen sich gleich stark aus in den noch männlich schönen
Zügen. Spricht aus jener Gestalt ein froh gesteigertes Selbstgefühl, so liegt
auf dieser die ganze Schwere einer gebrochenen Existenz. Aber auch hier fehlt
es nicht an einer geistigen Größe; dem Schmerz hält die Erhebung einer ge¬
faßten Seele das Gleichgewicht, und über das Elend scheint die innere Festig¬
keit, welche die Schläge des Schicksals ruhig hinnimmt, den Sieg davon zu
tragen. So hatte es G6ricault vermocht in zwei einfachen Figuren die be¬
deutungsvollen Wechselfälle des Standes, der das Zeitalter beherrschte und
entscheidend in die Geschichte eingriff, zum künstlerischen Ausdruck zu bringen.
Man empfand wol, daß auf diese Weise die Wirklichkeit ideal angeschaut war.
Weniger aber konnte man sich in die eigenthümliche Behandlung finden. Noch
hatte G6ricault mit der classischen Schule nicht ganz gebrochen: in beiden
Gestalten zeigt sich noch ein Streben nach schöner Form und einem würde¬
volle» Schwung der äußern Erscheinung. Aber im Ganzen hatte es der
Maler doch vorab auf die schlagende Wirkung der unmittelbaren Naturwahr¬
heit abgesehen, die Abreite flotte Pinselführung wollte das Leben in seiner
frischen Bewegung wiedergeben. Der markige Farbenauftrag, der kühne Zug
des Umrisses, der die Form der Wirklichkeit entnahm und in den satten Schein
der Farbe gleichsam eintauchte, der offene Bruch mit der conventionellen Regel,
das Alles kam David und seiner Schule unerwartet.

, Gericault befand sich allerdings im bewußten Gegensatz zu derselben; er
schaute die Dinge mit durchaus malerischem Sinne an und fand, daß die
französische Malerei, indem sie mit einseitiger Strenge sich die antike Plastik
zum Vorbild nahm, aus Abwege gernthe. Er empfand das Bedürfniß, sich
nach den großen italienischen Meistern auszubilden. Doch sollte es so bald da¬
zu nicht kommen. Es ist bezeichnend, wie mit seiner künstlerischen Eigen¬
thümlichkeit eine übermüthige Lebenslust und ein Drang, an dem bewegten
Treiben der Zeit theilzunehmen, zusammentraf. Wie er in der Kunst auf den
Schein einer mächtig erregten Wirklichkeit ausging, so war es ihm im Leben
nur wohl in dem geräuschvollen Gewühl und Verkehr der Welt, im raschen
Wechsel und Fluß des Daseins. Es war wol ebensosehr die Bewegtheit des
militärischen Lebens, als dessen malerische Seite, die ihn antrieben, für Lud¬
wig den Achtzehnter sich einreihen zu lassen. Als mit Napoleons Rückkehr


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[0039] Muth und Kraft, erschien er. ohne daß Göncault diese Auffassung gesucht hätte, als die lebendige Verkörperung der französischen Armee, die siegreich die Welt eroberte: das Heidenthum des neunzehnten Jahrhunderts. Im Ge- gensatz zu diesem schien der verwundete Cuirassier das ganze Elend des russi¬ schen Feldzuges und den Schmerz des ruhmgewohnten, nun aber besiegten Soldaten auszudrücken. Verwundet schleppt sich der Reiter, sein müdes Pferd am Zaume führend, traurig und hoffnungslos, wankenden Schrittes weiter, Leiden und Ergebung prägen sich gleich stark aus in den noch männlich schönen Zügen. Spricht aus jener Gestalt ein froh gesteigertes Selbstgefühl, so liegt auf dieser die ganze Schwere einer gebrochenen Existenz. Aber auch hier fehlt es nicht an einer geistigen Größe; dem Schmerz hält die Erhebung einer ge¬ faßten Seele das Gleichgewicht, und über das Elend scheint die innere Festig¬ keit, welche die Schläge des Schicksals ruhig hinnimmt, den Sieg davon zu tragen. So hatte es G6ricault vermocht in zwei einfachen Figuren die be¬ deutungsvollen Wechselfälle des Standes, der das Zeitalter beherrschte und entscheidend in die Geschichte eingriff, zum künstlerischen Ausdruck zu bringen. Man empfand wol, daß auf diese Weise die Wirklichkeit ideal angeschaut war. Weniger aber konnte man sich in die eigenthümliche Behandlung finden. Noch hatte G6ricault mit der classischen Schule nicht ganz gebrochen: in beiden Gestalten zeigt sich noch ein Streben nach schöner Form und einem würde¬ volle» Schwung der äußern Erscheinung. Aber im Ganzen hatte es der Maler doch vorab auf die schlagende Wirkung der unmittelbaren Naturwahr¬ heit abgesehen, die Abreite flotte Pinselführung wollte das Leben in seiner frischen Bewegung wiedergeben. Der markige Farbenauftrag, der kühne Zug des Umrisses, der die Form der Wirklichkeit entnahm und in den satten Schein der Farbe gleichsam eintauchte, der offene Bruch mit der conventionellen Regel, das Alles kam David und seiner Schule unerwartet. , Gericault befand sich allerdings im bewußten Gegensatz zu derselben; er schaute die Dinge mit durchaus malerischem Sinne an und fand, daß die französische Malerei, indem sie mit einseitiger Strenge sich die antike Plastik zum Vorbild nahm, aus Abwege gernthe. Er empfand das Bedürfniß, sich nach den großen italienischen Meistern auszubilden. Doch sollte es so bald da¬ zu nicht kommen. Es ist bezeichnend, wie mit seiner künstlerischen Eigen¬ thümlichkeit eine übermüthige Lebenslust und ein Drang, an dem bewegten Treiben der Zeit theilzunehmen, zusammentraf. Wie er in der Kunst auf den Schein einer mächtig erregten Wirklichkeit ausging, so war es ihm im Leben nur wohl in dem geräuschvollen Gewühl und Verkehr der Welt, im raschen Wechsel und Fluß des Daseins. Es war wol ebensosehr die Bewegtheit des militärischen Lebens, als dessen malerische Seite, die ihn antrieben, für Lud¬ wig den Achtzehnter sich einreihen zu lassen. Als mit Napoleons Rückkehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/39>, abgerufen am 25.08.2024.