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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Platz und dicht neben dem rohgcarbeiteten Dorfgötzen eine ungefähr 40 Fuß
hohe Bambusstange, an deren Spitze ein Bild in Gestalt eines Vogels mit
Pfauenfedern befestigt war. An diese Stange sollte das Opfer, eine junge
Frau aus der Ebene, angebunden' werden. Er befreite sie und ebenso sieben
andere in den Nachbardörfern versteckte Meriahs. Seine Versuche, sich mit
den Dorfhäuptlingen über> Abschaffung der Menschenopfer zu verständigen,
blieben ziemlich erfolglos, da jene fast alle schwer betrunken waren. Indeß
führte seine Expedition insofern zu einem Ergebniß, als man sich auf derselben
überzeugte, daß es gewisse Unterhändler gäbe, welche aus der Versorgung
der Chonds mit Meriahs förmlich ein Geschäft machten.

Später geschah eine Zeitlang ebenfalls nur wenig zur Unterdrückung
dieser Greuel, bis endlich Lord Elphinstone, der damalige Gouverneur von Mad¬
ras, im Mai 1841 eine sehr ausführliche Eingabe an den Generalgouvemeur
richtete, in welcher er energische Maßregeln namentlich gegen die wilden Stämme
von Gaujam, Orissa und Bihar und die unter denselben üblichen Opferfeste
forderte. Er empfahl: die Eröffnung von Straßen und Pässen durch die
dortigen Bergwildnisse, die Förderung des Handelsverkehrs zwischen den
Bergdistricten und der Ebene durch Einrichtung von Märkten und die Auf-
stellung einer halbmilitärischen Polizeimannschaft. Der Generalgouvemeur
billigte diese Pläne, und um dieselben auszuführen, stellte man dem Co>n-
missair von Gumsur einen Spccialageuten in der Person des Kapitäns Mac-
pherson zur Seite, der die Chonds genauer kannte und von dem wir eine
geschätzte Monographie über dieselben haben. Derselbe hatte aber mit großen
Schwierigkeiten zu kämpfen, vor Allem mit dem Fiebcrklima und dem Mi߬
trauen der Bergvölker, aber auch, und nicht am wenigsten, mit seinen In-
structionen, die ihm jede directe Einmischung in die religiösen Gebräuche des
Volkes, also auch in die Meriah-Opfer untersagten. Indeß ließ er sich durch
nichts abschrecken, und es gelang ihm endlich, die Häuptlinge von den wohl¬
wollenden Absichten der britischen Behörden zu überzeugen und sogar Gerichts¬
tage unter den Chonds abzuhalten. Durch geschickte Schlichtung von Rechtsstreitig¬
keiten, die früher gewöhnlich durch blutige Kämpfe entschieden worden waren,
erwarb er sich noch mehr Vertrauen und Einfluß, und dieser führte zuletzt
dahin, daß man ihm über hundert zur Opferung bestimmte Gefangne frei¬
willig auslieferte. Zu der Besserung der Rechtsverwaltung kam dann ein
regelmäßiger und vortheilhafter Handelsverkehr zwischen dem Gebirg und den
Bewohnern der Ebene, während früher jenes von diesen auf alle Weise be-
trogen und ausgebeutet worden war. und die Chonds waren bald aus dem
besten Wege. Macphersons Vorstellungen in Betreff der Menschenopfer voll¬
ständig zu befolgen. Einige Fanatiker hielten noch an dem alten Brauch fest,
doch bildeten sie die Minderzahl. Auf diese übte ein ränkesüchtiger Hindu,


Platz und dicht neben dem rohgcarbeiteten Dorfgötzen eine ungefähr 40 Fuß
hohe Bambusstange, an deren Spitze ein Bild in Gestalt eines Vogels mit
Pfauenfedern befestigt war. An diese Stange sollte das Opfer, eine junge
Frau aus der Ebene, angebunden' werden. Er befreite sie und ebenso sieben
andere in den Nachbardörfern versteckte Meriahs. Seine Versuche, sich mit
den Dorfhäuptlingen über> Abschaffung der Menschenopfer zu verständigen,
blieben ziemlich erfolglos, da jene fast alle schwer betrunken waren. Indeß
führte seine Expedition insofern zu einem Ergebniß, als man sich auf derselben
überzeugte, daß es gewisse Unterhändler gäbe, welche aus der Versorgung
der Chonds mit Meriahs förmlich ein Geschäft machten.

Später geschah eine Zeitlang ebenfalls nur wenig zur Unterdrückung
dieser Greuel, bis endlich Lord Elphinstone, der damalige Gouverneur von Mad¬
ras, im Mai 1841 eine sehr ausführliche Eingabe an den Generalgouvemeur
richtete, in welcher er energische Maßregeln namentlich gegen die wilden Stämme
von Gaujam, Orissa und Bihar und die unter denselben üblichen Opferfeste
forderte. Er empfahl: die Eröffnung von Straßen und Pässen durch die
dortigen Bergwildnisse, die Förderung des Handelsverkehrs zwischen den
Bergdistricten und der Ebene durch Einrichtung von Märkten und die Auf-
stellung einer halbmilitärischen Polizeimannschaft. Der Generalgouvemeur
billigte diese Pläne, und um dieselben auszuführen, stellte man dem Co>n-
missair von Gumsur einen Spccialageuten in der Person des Kapitäns Mac-
pherson zur Seite, der die Chonds genauer kannte und von dem wir eine
geschätzte Monographie über dieselben haben. Derselbe hatte aber mit großen
Schwierigkeiten zu kämpfen, vor Allem mit dem Fiebcrklima und dem Mi߬
trauen der Bergvölker, aber auch, und nicht am wenigsten, mit seinen In-
structionen, die ihm jede directe Einmischung in die religiösen Gebräuche des
Volkes, also auch in die Meriah-Opfer untersagten. Indeß ließ er sich durch
nichts abschrecken, und es gelang ihm endlich, die Häuptlinge von den wohl¬
wollenden Absichten der britischen Behörden zu überzeugen und sogar Gerichts¬
tage unter den Chonds abzuhalten. Durch geschickte Schlichtung von Rechtsstreitig¬
keiten, die früher gewöhnlich durch blutige Kämpfe entschieden worden waren,
erwarb er sich noch mehr Vertrauen und Einfluß, und dieser führte zuletzt
dahin, daß man ihm über hundert zur Opferung bestimmte Gefangne frei¬
willig auslieferte. Zu der Besserung der Rechtsverwaltung kam dann ein
regelmäßiger und vortheilhafter Handelsverkehr zwischen dem Gebirg und den
Bewohnern der Ebene, während früher jenes von diesen auf alle Weise be-
trogen und ausgebeutet worden war. und die Chonds waren bald aus dem
besten Wege. Macphersons Vorstellungen in Betreff der Menschenopfer voll¬
ständig zu befolgen. Einige Fanatiker hielten noch an dem alten Brauch fest,
doch bildeten sie die Minderzahl. Auf diese übte ein ränkesüchtiger Hindu,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/399>, abgerufen am 23.07.2024.