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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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und behandelte sie überhaupt mit aller Aufmerksamkeit, bis die Zeit kam,
wo die betreffende Gemeinde ihr Leben forderte. Die gewöhnlichste Klasse von
Meriahs bestand nämlich aus solchen, die für ganze Dörfer oder Stämme
geopfert wurden. Seltner geschah es. daß eine einzelne Familie für ihre
speciellen Zwecke Opfer brachte. Bei jenen gemeinsamen Opferfesten war es
so eingerichtet, daß jedes Familienhaupt wenigstens einmal jährlich, und
zwar in der Regel in der Zeit der Anssnat für die Haupternte, sich ein Slück
Menschenfleisch zur Heiligung seiner Aecker verschaffen konnte. Jedes Dorf sandte
einen Vertreter aus seiner Bütte nach dem Opferplatz des Stammes, um
seinen Antheil in Empfang zu nehmen, während die übrigen Bewohner des
Ortes daheim fastend und betend seiner Rückkehr harrten. Der Dienst thuende
Priester versetzte dem an einen Pfahl gebundenen Opfer den ersten Streich,
worauf die ringsum harrende Menge sich herzudrängte und dem Meriah das
zuckende Fleisch von dem Knochen schnitt. Jedes Slück wurde dann sorgfältig
in Blätter gewickelt nach den einzelnen Dörfern gebracht und dort auf einem
öffentlichen Platz vom Priester in zwei Theile getheilt, von denen der eine
sofort vergraben, der andere in einzelnen Schnitten an die verschiednen Fa¬
milienhäupter vergeben wurde. Nun folgte eine Scene wilder Lust: die
Menge jauchzte, balgte sich, prügelte sich und zerstörte selbst Häuser. Dann
verscharrte jeder seinen Opferantheil in seinem liebsten Acker und kehrte heim,
aß. trank, und war guter Dinge. Diesem Haupttage folgten drei andere,
an denen man auf der Opferstätte dem Geiste des Meriah einen Büffel
schlachtete und dann sich den rohesten Ausschweifungen ergab.

Arbuthnot berichtete im November 1837, daß ein Stamm der Kodulu
an der Grenze von Ncigporc und Hyderabad am Sonntag vor dem Pongal-
seste dem Gotte Jenkery Menschen schlachte, die zu diesem Zweck gekauft
würden. Dieses Opfer aber kommt nur aller zwölf Jahre vor und besteht
immer bloß in einem Menschen, nie in mehreren. Dagegen sind in Bustar
schon zwanzig auf einmal geschlachtet worden. Das Volk findet hier keinen Ge¬
fallen an diesem sehr kostspieligen Gebrauch, glaubt aber, daß der Erntesegen
davon abhänge.

Das Gouvernement von Madras begann schon >837 gegen diese Bar¬
barei zu wirken, doch versuchte man noch nicht, das Uebel bei der Wurzel
zu fassen, sondern schritt nur in einzelnen Fällen ein. So durchzog Capitän
Campbell die Gebirge der Ghats kurz vor der Zeit, in der gewöhnlich die
Opfer stattfanden, mit einer Abtheilung Fußvolk und befreite auf diese Weise
gegen hundert Meriahs. Im Jahre darauf unternahm der Steuereinnehmer
Bcmnerman seine Inspektionsreise durch das Gebiet der Bergstämme und über¬
raschte dabei die ^Bewohner eines Chonddorses mitten in den Vorbereitungen
zu einem Menschenopfer. Er fand einen viereckigen mit Flechtwerk umgebenen


und behandelte sie überhaupt mit aller Aufmerksamkeit, bis die Zeit kam,
wo die betreffende Gemeinde ihr Leben forderte. Die gewöhnlichste Klasse von
Meriahs bestand nämlich aus solchen, die für ganze Dörfer oder Stämme
geopfert wurden. Seltner geschah es. daß eine einzelne Familie für ihre
speciellen Zwecke Opfer brachte. Bei jenen gemeinsamen Opferfesten war es
so eingerichtet, daß jedes Familienhaupt wenigstens einmal jährlich, und
zwar in der Regel in der Zeit der Anssnat für die Haupternte, sich ein Slück
Menschenfleisch zur Heiligung seiner Aecker verschaffen konnte. Jedes Dorf sandte
einen Vertreter aus seiner Bütte nach dem Opferplatz des Stammes, um
seinen Antheil in Empfang zu nehmen, während die übrigen Bewohner des
Ortes daheim fastend und betend seiner Rückkehr harrten. Der Dienst thuende
Priester versetzte dem an einen Pfahl gebundenen Opfer den ersten Streich,
worauf die ringsum harrende Menge sich herzudrängte und dem Meriah das
zuckende Fleisch von dem Knochen schnitt. Jedes Slück wurde dann sorgfältig
in Blätter gewickelt nach den einzelnen Dörfern gebracht und dort auf einem
öffentlichen Platz vom Priester in zwei Theile getheilt, von denen der eine
sofort vergraben, der andere in einzelnen Schnitten an die verschiednen Fa¬
milienhäupter vergeben wurde. Nun folgte eine Scene wilder Lust: die
Menge jauchzte, balgte sich, prügelte sich und zerstörte selbst Häuser. Dann
verscharrte jeder seinen Opferantheil in seinem liebsten Acker und kehrte heim,
aß. trank, und war guter Dinge. Diesem Haupttage folgten drei andere,
an denen man auf der Opferstätte dem Geiste des Meriah einen Büffel
schlachtete und dann sich den rohesten Ausschweifungen ergab.

Arbuthnot berichtete im November 1837, daß ein Stamm der Kodulu
an der Grenze von Ncigporc und Hyderabad am Sonntag vor dem Pongal-
seste dem Gotte Jenkery Menschen schlachte, die zu diesem Zweck gekauft
würden. Dieses Opfer aber kommt nur aller zwölf Jahre vor und besteht
immer bloß in einem Menschen, nie in mehreren. Dagegen sind in Bustar
schon zwanzig auf einmal geschlachtet worden. Das Volk findet hier keinen Ge¬
fallen an diesem sehr kostspieligen Gebrauch, glaubt aber, daß der Erntesegen
davon abhänge.

Das Gouvernement von Madras begann schon >837 gegen diese Bar¬
barei zu wirken, doch versuchte man noch nicht, das Uebel bei der Wurzel
zu fassen, sondern schritt nur in einzelnen Fällen ein. So durchzog Capitän
Campbell die Gebirge der Ghats kurz vor der Zeit, in der gewöhnlich die
Opfer stattfanden, mit einer Abtheilung Fußvolk und befreite auf diese Weise
gegen hundert Meriahs. Im Jahre darauf unternahm der Steuereinnehmer
Bcmnerman seine Inspektionsreise durch das Gebiet der Bergstämme und über¬
raschte dabei die ^Bewohner eines Chonddorses mitten in den Vorbereitungen
zu einem Menschenopfer. Er fand einen viereckigen mit Flechtwerk umgebenen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/398>, abgerufen am 29.12.2024.