Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.Kunst durch eine neue lebensfrische Anschauung nicht der Mann; auch in Der wirkliche Umschwung in der Malerei sollte von einer Seite erfolgen, Schon während der Lehrzeit war der Meister mit dem Schüler nicht ein¬ Kunst durch eine neue lebensfrische Anschauung nicht der Mann; auch in Der wirkliche Umschwung in der Malerei sollte von einer Seite erfolgen, Schon während der Lehrzeit war der Meister mit dem Schüler nicht ein¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112546"/> <p xml:id="ID_97" prev="#ID_96"> Kunst durch eine neue lebensfrische Anschauung nicht der Mann; auch in<lb/> seinem besten Werke spukt noch etwas von dem überschwenglichen Pathos der<lb/> classischen Schule, und schon dadurch blieb er hinter den Hoffnungen zurück,<lb/> die man früh in ihn gesetzt hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_98"> Der wirkliche Umschwung in der Malerei sollte von einer Seite erfolgen,<lb/> von der man ihn am wenigsten erwartete: aus der Schule Guerins.<lb/> Dieser war der Einzige fast, der treu und streng an der antiken Welt und<lb/> ihren Idealen festhielt; es ist oben bemerkt, daß seine Bilder Dido und Cly-<lb/> temnestra vom Jahre 1817 nicht seine schlechtesten waren, und sich noch immer<lb/> einen Theil des Publicums zu gewinnen wußten. Aber grade durch die Ein¬<lb/> seitigkeit, mit welcher derselbe das Ideal seiner Richtung zur unumstößlichen<lb/> Regel machte, mußte einer jungen feurigen, wahrhaft künstlerischen Natur die¬<lb/> ses Joch unerträglich werden; um so unerträglicher, als Guörin es zu der<lb/> Vollendung der Form nicht gebracht hatte, zu welcher David, so weit es ihm<lb/> seine Kunst und Zeit überhaupt gestatteten, gelangt war. Es war Jean<lb/> Louis Theodore Andre Gericault (1791 — 1824), der den akademischen<lb/> Zwang abschüttelte und der Malerei mit einer neuen Anschauung neue Im¬<lb/> pulse gab.</p><lb/> <p xml:id="ID_99" next="#ID_100"> Schon während der Lehrzeit war der Meister mit dem Schüler nicht ein¬<lb/> verstanden. Der junge Maler hatte eine unüberwindliche Neigung. Pferde<lb/> von allen Arten und in allen Stellungen zu zeichnen, und Guvrin. der in die¬<lb/> sen Versuchen die Kunst entwürdigt fand, rieth ihm die Malerei aufzugeben.<lb/> Aber G6ncault ließ sich nicht irre machen. Mit aufmerksamem Auge nahm<lb/> er sich das wirkliche Leben zum Vorbild, während ihn die Strenge des Leh¬<lb/> rers an den Ernst der Arbeit gewöhnte. Im Jahre 1812 stellte er seinen<lb/> „LnasLeur a alö 1». Mräv lux>6rig.l<z" aus; im Jahre 1814 folgte der<lb/> „OmraWiLl- dlkLSL pat.eg.ut le i'ein". Die beiden Bilder erregten gleich An¬<lb/> fangs die allgemeine Aufmerksamkeit, aber die ungewohnte Auffassungs- und<lb/> BeHandlungsweise kam zu überraschend, als daß sie sofort einen unbestrittenen<lb/> Erfolg gehabt hätten. Solche lebensgroße Darstellungen gewöhnlicher Motive<lb/> aus der Gegenwart erschienen als eine gewagte Neuerung, und doch ließ sich<lb/> nicht leugnen, daß in ihnen eine große, von einem mächtigen Leben erfüllte<lb/> Anschauung sich ausdrückte. Auch in diesen Gemälden ist ein Pathos; aber<lb/> dasselbe wirkt im Unterschiede, von dem Davids auf den Beschauer auch jetzt<lb/> noch mit ergreifender Kraft. Es. ist in den Gestalten nicht bloß das volle<lb/> Leben der einzelnen Personen, sondern zugleich der tiefe Zug des von einem<lb/> höheren Zweck bewegten Daseins und die seelenvolle Beziehung zu einem<lb/> großen Ganzen. Es verschlägt hierbei Nichts, daß der ,Masseur d, elwval"<lb/> eigentlich das Portrait eines Offiziers ist. Kühn voransprengend. zu seinen<lb/> Soldaten anfeuernd sich zurückwendend, in Blick und in der Bewegung, ganz</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0038]
Kunst durch eine neue lebensfrische Anschauung nicht der Mann; auch in
seinem besten Werke spukt noch etwas von dem überschwenglichen Pathos der
classischen Schule, und schon dadurch blieb er hinter den Hoffnungen zurück,
die man früh in ihn gesetzt hatte.
Der wirkliche Umschwung in der Malerei sollte von einer Seite erfolgen,
von der man ihn am wenigsten erwartete: aus der Schule Guerins.
Dieser war der Einzige fast, der treu und streng an der antiken Welt und
ihren Idealen festhielt; es ist oben bemerkt, daß seine Bilder Dido und Cly-
temnestra vom Jahre 1817 nicht seine schlechtesten waren, und sich noch immer
einen Theil des Publicums zu gewinnen wußten. Aber grade durch die Ein¬
seitigkeit, mit welcher derselbe das Ideal seiner Richtung zur unumstößlichen
Regel machte, mußte einer jungen feurigen, wahrhaft künstlerischen Natur die¬
ses Joch unerträglich werden; um so unerträglicher, als Guörin es zu der
Vollendung der Form nicht gebracht hatte, zu welcher David, so weit es ihm
seine Kunst und Zeit überhaupt gestatteten, gelangt war. Es war Jean
Louis Theodore Andre Gericault (1791 — 1824), der den akademischen
Zwang abschüttelte und der Malerei mit einer neuen Anschauung neue Im¬
pulse gab.
Schon während der Lehrzeit war der Meister mit dem Schüler nicht ein¬
verstanden. Der junge Maler hatte eine unüberwindliche Neigung. Pferde
von allen Arten und in allen Stellungen zu zeichnen, und Guvrin. der in die¬
sen Versuchen die Kunst entwürdigt fand, rieth ihm die Malerei aufzugeben.
Aber G6ncault ließ sich nicht irre machen. Mit aufmerksamem Auge nahm
er sich das wirkliche Leben zum Vorbild, während ihn die Strenge des Leh¬
rers an den Ernst der Arbeit gewöhnte. Im Jahre 1812 stellte er seinen
„LnasLeur a alö 1». Mräv lux>6rig.l<z" aus; im Jahre 1814 folgte der
„OmraWiLl- dlkLSL pat.eg.ut le i'ein". Die beiden Bilder erregten gleich An¬
fangs die allgemeine Aufmerksamkeit, aber die ungewohnte Auffassungs- und
BeHandlungsweise kam zu überraschend, als daß sie sofort einen unbestrittenen
Erfolg gehabt hätten. Solche lebensgroße Darstellungen gewöhnlicher Motive
aus der Gegenwart erschienen als eine gewagte Neuerung, und doch ließ sich
nicht leugnen, daß in ihnen eine große, von einem mächtigen Leben erfüllte
Anschauung sich ausdrückte. Auch in diesen Gemälden ist ein Pathos; aber
dasselbe wirkt im Unterschiede, von dem Davids auf den Beschauer auch jetzt
noch mit ergreifender Kraft. Es. ist in den Gestalten nicht bloß das volle
Leben der einzelnen Personen, sondern zugleich der tiefe Zug des von einem
höheren Zweck bewegten Daseins und die seelenvolle Beziehung zu einem
großen Ganzen. Es verschlägt hierbei Nichts, daß der ,Masseur d, elwval"
eigentlich das Portrait eines Offiziers ist. Kühn voransprengend. zu seinen
Soldaten anfeuernd sich zurückwendend, in Blick und in der Bewegung, ganz
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