Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Leben so zuzuschlagen. In dieser Stimmung aber ist er auch. Alles ist ihm
zu weitläufig, zu complicirt, in, Verhältniß zum nahen Tode, und des Einen
was noth thut." Raumer. der immer milder urtheilte als Tieck, bemerkt denn
doch in Friedrich Schlegel's Schriften, namentlich in den Vorlesungen über
Literatur, die böse Absicht: "In dem Schein völliger Billigkeit liegen eine
Menge Insinuationen, die beim Leser nicht sowol verwunden, als wie Unge¬
ziefer beunruhigen. Das Ding, was diese Leute Katholicismus nennen, ist
ungesch,ehelich, ein Fabrikat, wie Fichte's Idealismus." -- Ueber den gro߬
artigen Bau der früheren Hierarchie dachte Raumer im Ganzen wie Schlegel.

Um das Jahr 1828 hatte Tieck seinen alten Freund A. W. Schlegel in
Bonn besucht und sich mit ihm sehr wohl verständigt. Er fand ihn im höch¬
sten Grade erbittert gegen seinen Bruder und bereit, öffentlich gegen densel¬
ben aufzutreten, was auch einige Zeit darauf geschah. Schade, daß der
Grund dieser Verstimmung nicht angegeben wird. -- Wenige Monate darauf
starb Friedrich Schlegel. Tieck versicherte. ihn noch immer zu lieben, "obgleich
sich unser Wollen und Erkennen fast gar nicht berührten, obgleich er mir in
manchen Stunden wie ein Gespenst erschien, für welches es keine Wahrheit
mehr geben kann."

"Friedrich Schlegel", schreibt Raumer 12. Mai 1829, "hat freilich das
böse Schicksal derer gehabt, die mit Gewalt die Schranken alles Menschlichen
durchbrechen wollen. Er war zuletzt nichts weniger als Katholik im kirchlichen
Sinne, sondern stand auf einer Stelle, die ihn der Kirche gegenüber als
Ketzer bezeichnet hätte. Auslegungen der Apokalypse, darauf gegründete my¬
stisch-symbolische Zeichnungen und Bildchen galten ihm für das Höchste.
Er erwartete Wunder, Anstellungen der Sterne am Himmel, große Verän¬
derungen auf Erden vor Eintritt der ewigen Ostern, ja er sprach, als werde
er binnen Kurzem Wunder thun, Todte erwecken und Berge versetzen. Und
das Alles mit und durch jene Zeichen und Bilder; Magnetismus, Hellseherei.
Glaube -- und Unglaube durcheinander. -- Als Tieck die Größe des Ge¬
dankens der Hierarchie anerkannte, aber auf die Mängel in der Ausführung
aufmerksam machte, sagte er ungeduldig: das Alles nenne ich ja nicht
Hierarchie! -- Und was denn? -- Wenn Gott Feuer durch Elias vom Himmel
fallen läßt! Und er meinte wol nächstens solchen Beruf anzutreten. Beson¬
ders suchte er die Weiber zu gewinnen, und als er mit Dorothea zerfiel, hat
er doppelt Frau von *** zugesetzt. Von Gott so begünstigte Naturen mußten
sich von allem Thun und Denken der gewöhnlichen Welt lossagen, anderen
Offenbarungen und Erleuchtungen hingeben -- d. h. sich ihm und seiner
Leitung unbedingt unterwerfen! Hätte Marie (sagte er der widersprechenden
Frau) dem heiligen Geist so widerstehen wollen, wäre Christus nicht ge¬
boren! "


Leben so zuzuschlagen. In dieser Stimmung aber ist er auch. Alles ist ihm
zu weitläufig, zu complicirt, in, Verhältniß zum nahen Tode, und des Einen
was noth thut." Raumer. der immer milder urtheilte als Tieck, bemerkt denn
doch in Friedrich Schlegel's Schriften, namentlich in den Vorlesungen über
Literatur, die böse Absicht: „In dem Schein völliger Billigkeit liegen eine
Menge Insinuationen, die beim Leser nicht sowol verwunden, als wie Unge¬
ziefer beunruhigen. Das Ding, was diese Leute Katholicismus nennen, ist
ungesch,ehelich, ein Fabrikat, wie Fichte's Idealismus." — Ueber den gro߬
artigen Bau der früheren Hierarchie dachte Raumer im Ganzen wie Schlegel.

Um das Jahr 1828 hatte Tieck seinen alten Freund A. W. Schlegel in
Bonn besucht und sich mit ihm sehr wohl verständigt. Er fand ihn im höch¬
sten Grade erbittert gegen seinen Bruder und bereit, öffentlich gegen densel¬
ben aufzutreten, was auch einige Zeit darauf geschah. Schade, daß der
Grund dieser Verstimmung nicht angegeben wird. — Wenige Monate darauf
starb Friedrich Schlegel. Tieck versicherte. ihn noch immer zu lieben, „obgleich
sich unser Wollen und Erkennen fast gar nicht berührten, obgleich er mir in
manchen Stunden wie ein Gespenst erschien, für welches es keine Wahrheit
mehr geben kann."

„Friedrich Schlegel", schreibt Raumer 12. Mai 1829, „hat freilich das
böse Schicksal derer gehabt, die mit Gewalt die Schranken alles Menschlichen
durchbrechen wollen. Er war zuletzt nichts weniger als Katholik im kirchlichen
Sinne, sondern stand auf einer Stelle, die ihn der Kirche gegenüber als
Ketzer bezeichnet hätte. Auslegungen der Apokalypse, darauf gegründete my¬
stisch-symbolische Zeichnungen und Bildchen galten ihm für das Höchste.
Er erwartete Wunder, Anstellungen der Sterne am Himmel, große Verän¬
derungen auf Erden vor Eintritt der ewigen Ostern, ja er sprach, als werde
er binnen Kurzem Wunder thun, Todte erwecken und Berge versetzen. Und
das Alles mit und durch jene Zeichen und Bilder; Magnetismus, Hellseherei.
Glaube — und Unglaube durcheinander. — Als Tieck die Größe des Ge¬
dankens der Hierarchie anerkannte, aber auf die Mängel in der Ausführung
aufmerksam machte, sagte er ungeduldig: das Alles nenne ich ja nicht
Hierarchie! — Und was denn? — Wenn Gott Feuer durch Elias vom Himmel
fallen läßt! Und er meinte wol nächstens solchen Beruf anzutreten. Beson¬
ders suchte er die Weiber zu gewinnen, und als er mit Dorothea zerfiel, hat
er doppelt Frau von *** zugesetzt. Von Gott so begünstigte Naturen mußten
sich von allem Thun und Denken der gewöhnlichen Welt lossagen, anderen
Offenbarungen und Erleuchtungen hingeben — d. h. sich ihm und seiner
Leitung unbedingt unterwerfen! Hätte Marie (sagte er der widersprechenden
Frau) dem heiligen Geist so widerstehen wollen, wäre Christus nicht ge¬
boren! "


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0376" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112884"/>
            <p xml:id="ID_1114" prev="#ID_1113"> Leben so zuzuschlagen. In dieser Stimmung aber ist er auch. Alles ist ihm<lb/>
zu weitläufig, zu complicirt, in, Verhältniß zum nahen Tode, und des Einen<lb/>
was noth thut." Raumer. der immer milder urtheilte als Tieck, bemerkt denn<lb/>
doch in Friedrich Schlegel's Schriften, namentlich in den Vorlesungen über<lb/>
Literatur, die böse Absicht: &#x201E;In dem Schein völliger Billigkeit liegen eine<lb/>
Menge Insinuationen, die beim Leser nicht sowol verwunden, als wie Unge¬<lb/>
ziefer beunruhigen. Das Ding, was diese Leute Katholicismus nennen, ist<lb/>
ungesch,ehelich, ein Fabrikat, wie Fichte's Idealismus." &#x2014; Ueber den gro߬<lb/>
artigen Bau der früheren Hierarchie dachte Raumer im Ganzen wie Schlegel.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1115"> Um das Jahr 1828 hatte Tieck seinen alten Freund A. W. Schlegel in<lb/>
Bonn besucht und sich mit ihm sehr wohl verständigt. Er fand ihn im höch¬<lb/>
sten Grade erbittert gegen seinen Bruder und bereit, öffentlich gegen densel¬<lb/>
ben aufzutreten, was auch einige Zeit darauf geschah. Schade, daß der<lb/>
Grund dieser Verstimmung nicht angegeben wird. &#x2014; Wenige Monate darauf<lb/>
starb Friedrich Schlegel. Tieck versicherte. ihn noch immer zu lieben, &#x201E;obgleich<lb/>
sich unser Wollen und Erkennen fast gar nicht berührten, obgleich er mir in<lb/>
manchen Stunden wie ein Gespenst erschien, für welches es keine Wahrheit<lb/>
mehr geben kann."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1116"> &#x201E;Friedrich Schlegel", schreibt Raumer 12. Mai 1829, &#x201E;hat freilich das<lb/>
böse Schicksal derer gehabt, die mit Gewalt die Schranken alles Menschlichen<lb/>
durchbrechen wollen. Er war zuletzt nichts weniger als Katholik im kirchlichen<lb/>
Sinne, sondern stand auf einer Stelle, die ihn der Kirche gegenüber als<lb/>
Ketzer bezeichnet hätte. Auslegungen der Apokalypse, darauf gegründete my¬<lb/>
stisch-symbolische Zeichnungen und Bildchen galten ihm für das Höchste.<lb/>
Er erwartete Wunder, Anstellungen der Sterne am Himmel, große Verän¬<lb/>
derungen auf Erden vor Eintritt der ewigen Ostern, ja er sprach, als werde<lb/>
er binnen Kurzem Wunder thun, Todte erwecken und Berge versetzen. Und<lb/>
das Alles mit und durch jene Zeichen und Bilder; Magnetismus, Hellseherei.<lb/>
Glaube &#x2014; und Unglaube durcheinander. &#x2014; Als Tieck die Größe des Ge¬<lb/>
dankens der Hierarchie anerkannte, aber auf die Mängel in der Ausführung<lb/>
aufmerksam machte, sagte er ungeduldig: das Alles nenne ich ja nicht<lb/>
Hierarchie! &#x2014; Und was denn? &#x2014; Wenn Gott Feuer durch Elias vom Himmel<lb/>
fallen läßt! Und er meinte wol nächstens solchen Beruf anzutreten. Beson¬<lb/>
ders suchte er die Weiber zu gewinnen, und als er mit Dorothea zerfiel, hat<lb/>
er doppelt Frau von *** zugesetzt. Von Gott so begünstigte Naturen mußten<lb/>
sich von allem Thun und Denken der gewöhnlichen Welt lossagen, anderen<lb/>
Offenbarungen und Erleuchtungen hingeben &#x2014; d. h. sich ihm und seiner<lb/>
Leitung unbedingt unterwerfen! Hätte Marie (sagte er der widersprechenden<lb/>
Frau) dem heiligen Geist so widerstehen wollen, wäre Christus nicht ge¬<lb/>
boren! "</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0376] Leben so zuzuschlagen. In dieser Stimmung aber ist er auch. Alles ist ihm zu weitläufig, zu complicirt, in, Verhältniß zum nahen Tode, und des Einen was noth thut." Raumer. der immer milder urtheilte als Tieck, bemerkt denn doch in Friedrich Schlegel's Schriften, namentlich in den Vorlesungen über Literatur, die böse Absicht: „In dem Schein völliger Billigkeit liegen eine Menge Insinuationen, die beim Leser nicht sowol verwunden, als wie Unge¬ ziefer beunruhigen. Das Ding, was diese Leute Katholicismus nennen, ist ungesch,ehelich, ein Fabrikat, wie Fichte's Idealismus." — Ueber den gro߬ artigen Bau der früheren Hierarchie dachte Raumer im Ganzen wie Schlegel. Um das Jahr 1828 hatte Tieck seinen alten Freund A. W. Schlegel in Bonn besucht und sich mit ihm sehr wohl verständigt. Er fand ihn im höch¬ sten Grade erbittert gegen seinen Bruder und bereit, öffentlich gegen densel¬ ben aufzutreten, was auch einige Zeit darauf geschah. Schade, daß der Grund dieser Verstimmung nicht angegeben wird. — Wenige Monate darauf starb Friedrich Schlegel. Tieck versicherte. ihn noch immer zu lieben, „obgleich sich unser Wollen und Erkennen fast gar nicht berührten, obgleich er mir in manchen Stunden wie ein Gespenst erschien, für welches es keine Wahrheit mehr geben kann." „Friedrich Schlegel", schreibt Raumer 12. Mai 1829, „hat freilich das böse Schicksal derer gehabt, die mit Gewalt die Schranken alles Menschlichen durchbrechen wollen. Er war zuletzt nichts weniger als Katholik im kirchlichen Sinne, sondern stand auf einer Stelle, die ihn der Kirche gegenüber als Ketzer bezeichnet hätte. Auslegungen der Apokalypse, darauf gegründete my¬ stisch-symbolische Zeichnungen und Bildchen galten ihm für das Höchste. Er erwartete Wunder, Anstellungen der Sterne am Himmel, große Verän¬ derungen auf Erden vor Eintritt der ewigen Ostern, ja er sprach, als werde er binnen Kurzem Wunder thun, Todte erwecken und Berge versetzen. Und das Alles mit und durch jene Zeichen und Bilder; Magnetismus, Hellseherei. Glaube — und Unglaube durcheinander. — Als Tieck die Größe des Ge¬ dankens der Hierarchie anerkannte, aber auf die Mängel in der Ausführung aufmerksam machte, sagte er ungeduldig: das Alles nenne ich ja nicht Hierarchie! — Und was denn? — Wenn Gott Feuer durch Elias vom Himmel fallen läßt! Und er meinte wol nächstens solchen Beruf anzutreten. Beson¬ ders suchte er die Weiber zu gewinnen, und als er mit Dorothea zerfiel, hat er doppelt Frau von *** zugesetzt. Von Gott so begünstigte Naturen mußten sich von allem Thun und Denken der gewöhnlichen Welt lossagen, anderen Offenbarungen und Erleuchtungen hingeben — d. h. sich ihm und seiner Leitung unbedingt unterwerfen! Hätte Marie (sagte er der widersprechenden Frau) dem heiligen Geist so widerstehen wollen, wäre Christus nicht ge¬ boren! "

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/376
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/376>, abgerufen am 23.07.2024.