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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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in GcheimnißfrSMrei. und ich wurde freundlich, ironisch.abgewiesen, wie
der Meister vom Stuhle etwa den Schüler des ersten Grades von sich schickt.
Gerade so ist es denn auch jetzt, nur Hoden sich die Gegenstände des Ge¬
heimnisses geändert. Und doch würde ich es beschwören, daß dieser excentrische
Geist nur wenige Menschen mehr liebte als mich, daß er noch wenigeren
nur so viel vertraut. Von meinen neuesten Arbeiten hatte er nur Weniges
und flüchtig gelesen, und wenn ich ihm Folge leistete, so begrübe ich die No¬
vellen, die ich vielleicht noch schreibe, lieber unbedingt in Vergessenheit.
Alles dies sei schwacher Wein der Poesie, mit zu vielem Wasser des Verstan¬
des gemischt. Kann sein. Ich antwortete ihm: daß es doch von mir ganz
charakterlos sein würde, einem fremden, mir unverständlichen Begriff zu ge¬
fallen das aufzugeben, wozu mich Begeisterung unbezwinglich treibe. Da¬
rauf sagte er nichts. Er kam aber immer wieder auf diesen Punkt zurück.
Auch steht es in seiner Literatur gedruckt, daß unser modernes Leben, wie
jede Gegenwart, sich nicht poetisch und romantisch in Schauspiel und Erzäh¬
lung behandeln lasse. Was ich aber eben nicht glaube. Und wie muß er
sich dort selber drehn und wenden, um den Don Quixote. das poetischste
aller Bücher, zu retten. Und Wilhelm Meister! Kurz, wir waren hier durch
Klüfte in der Ueberzeugung getrennt. Er verehrt jetzt nur die trunkene Poesie
des Calderon und der Orientalen, die im berauschten Schwulst oft so unend¬
lich nüchtern ist. Er wirft mir vor. ich hätte den Sinn für Ealderon ver¬
logen: er den für Shakspecire. was gewiß schlimmer ,se." -- Tieck hatte da¬
mals eine große Abneigung gegen die Pietisten, die allen Sinn für griechische
Schönheit verleugneten; Schlegel dagegen hoffte im Stillen, sie würden einen
allgemeinen Uebertritt zur katholischen Kirche vorbereiten. "Kurz er kennt
den Menschen nicht, er will das Wissen und die Kunst nur dulden, nicht
NieHr vergöttern, wie er es in früheren Zeiten wol wieder zu unbedingt ge¬
than hat. Diese Revolutionen sind mir auch im Geiste fremd, ich mag sie
Nicht. Mir war, als sei ich ganz noch wie in meinem sechzehnten Jahre ihm
gegenüber. Eigentlich ist es auch der Fall. Was das Weltliche anbetrifft,
so meint Schlegel, wir alle ohne Ausnahme lägen seit lange im tiefsten
Schlafe, und wehten weder das Woher noch das Wohin: er linde (damals
in Frankfurt) sechs Jahre hindurch die Geschichte und die Gegenwart studirt,
Und hält nur seine geistlichen Grillen (wie ich diese Ansichten nur nennen
kann) für untrüglich." -- Darum las er damals nur historische Tendenz-
lchnften: "Das Interesse am Spiel jener freien Fäden, wo Schicksal. Lanne,
Leidenschaft und Zufall eins geworden, ist für ihn nicht da; und doch ist. wie
An Kleinen, in Allem die Größe erkennen, erst Gott erkennen, Soll Gott
ein Papst oder Superintendent oder einsamer Forscher sein, so ist es mit
meiner Einsicht am Ende, und man thäte gut, alle Bücher und auch da?


in GcheimnißfrSMrei. und ich wurde freundlich, ironisch.abgewiesen, wie
der Meister vom Stuhle etwa den Schüler des ersten Grades von sich schickt.
Gerade so ist es denn auch jetzt, nur Hoden sich die Gegenstände des Ge¬
heimnisses geändert. Und doch würde ich es beschwören, daß dieser excentrische
Geist nur wenige Menschen mehr liebte als mich, daß er noch wenigeren
nur so viel vertraut. Von meinen neuesten Arbeiten hatte er nur Weniges
und flüchtig gelesen, und wenn ich ihm Folge leistete, so begrübe ich die No¬
vellen, die ich vielleicht noch schreibe, lieber unbedingt in Vergessenheit.
Alles dies sei schwacher Wein der Poesie, mit zu vielem Wasser des Verstan¬
des gemischt. Kann sein. Ich antwortete ihm: daß es doch von mir ganz
charakterlos sein würde, einem fremden, mir unverständlichen Begriff zu ge¬
fallen das aufzugeben, wozu mich Begeisterung unbezwinglich treibe. Da¬
rauf sagte er nichts. Er kam aber immer wieder auf diesen Punkt zurück.
Auch steht es in seiner Literatur gedruckt, daß unser modernes Leben, wie
jede Gegenwart, sich nicht poetisch und romantisch in Schauspiel und Erzäh¬
lung behandeln lasse. Was ich aber eben nicht glaube. Und wie muß er
sich dort selber drehn und wenden, um den Don Quixote. das poetischste
aller Bücher, zu retten. Und Wilhelm Meister! Kurz, wir waren hier durch
Klüfte in der Ueberzeugung getrennt. Er verehrt jetzt nur die trunkene Poesie
des Calderon und der Orientalen, die im berauschten Schwulst oft so unend¬
lich nüchtern ist. Er wirft mir vor. ich hätte den Sinn für Ealderon ver¬
logen: er den für Shakspecire. was gewiß schlimmer ,se." — Tieck hatte da¬
mals eine große Abneigung gegen die Pietisten, die allen Sinn für griechische
Schönheit verleugneten; Schlegel dagegen hoffte im Stillen, sie würden einen
allgemeinen Uebertritt zur katholischen Kirche vorbereiten. „Kurz er kennt
den Menschen nicht, er will das Wissen und die Kunst nur dulden, nicht
NieHr vergöttern, wie er es in früheren Zeiten wol wieder zu unbedingt ge¬
than hat. Diese Revolutionen sind mir auch im Geiste fremd, ich mag sie
Nicht. Mir war, als sei ich ganz noch wie in meinem sechzehnten Jahre ihm
gegenüber. Eigentlich ist es auch der Fall. Was das Weltliche anbetrifft,
so meint Schlegel, wir alle ohne Ausnahme lägen seit lange im tiefsten
Schlafe, und wehten weder das Woher noch das Wohin: er linde (damals
in Frankfurt) sechs Jahre hindurch die Geschichte und die Gegenwart studirt,
Und hält nur seine geistlichen Grillen (wie ich diese Ansichten nur nennen
kann) für untrüglich." — Darum las er damals nur historische Tendenz-
lchnften: „Das Interesse am Spiel jener freien Fäden, wo Schicksal. Lanne,
Leidenschaft und Zufall eins geworden, ist für ihn nicht da; und doch ist. wie
An Kleinen, in Allem die Größe erkennen, erst Gott erkennen, Soll Gott
ein Papst oder Superintendent oder einsamer Forscher sein, so ist es mit
meiner Einsicht am Ende, und man thäte gut, alle Bücher und auch da?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/375>, abgerufen am 23.07.2024.