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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Wirkung, selbst eine starke zu geben, wenn man sie unter eiMN moralischen,
empfindsamen, sogenannten poetischen Gesichtspunkt stellt; oder wenn MM
didaktisch-polemisch verfahren wollte, und z. B, darstellend die Größe des
Mittelalters zeigen. Im historischen Schauspiel muß Wahrheit und Poesie
Eins werden, und jene maninrten Bedingungcp würden es nur entstellen;
von den zugefügten Lügen nicht einmal zu sprechen, die ich ganz verwerfe." --
Er lobt Raumer's historische Darstellung: "Man steht so ganz in den Sa¬
chen, man verwundert sich über nichts, man macht alles mit. und jener klare
Tagesduft einer überzeugenden Gleichgültigfeit (erlauben Sie mir den Aus'
druck) ist über alle Gruppen und Gegenstände ausgebreitet, daß man das
Theater völlig vergißt, was seit Tacitus und Plutarch fast allen Historikern
etwas beiwohnt. Der letzte, den ich sehr verehre put ganz aus seinem Stand¬
punkt begreife, hat vorzüglich jene scharfe Manier in d>e Geschichte gebracht,
jenes ewige Staunen und Gerührtsein, welches eigentlich die Wirklichkeit ver¬
pichtet. Ich habe auch noch keine schöne Gegend gesehen, wo ich nicht nach
fünf Minuten mich einheimisch gefühlt und die Gegend gewissermaßen ver¬
gessen hätte; darum ist mir nichts fremder und verhaßter, als die staunenden
Naturenthusiastcn. die immer staunen, immer hingenssen sind, ohne zur
Ruhe, Genuß und Behaglichkeit zu gelangen. Diesen wahrhaft göttlichen
Zustand edler Passivität und Unbewuhtheit. daß man die größte Umgebung
nimmt, als müsse sie so sein, werden Sie gewiß so wie ich in Rom und auf der
Reise kennen gelernt haben. Man will ihn sich in der Jugend nicht gestehen,
man meint, man sei träge, nicht rührbar; freilich gibt es dann wieder Stun¬
den des Entzückens, wahrhafte Vistonen, die jene Natur- und Schönheits
juger nie kennen lernen, weil sie sich immer mit Gesichterschneiden abgaben.
und Sonne, Mond und Meer ihnen auch nur Fratzen zurückwerfen. Ich gelte
darum bei den Poetischen immer für phlegmatisch, oder selbst grob materiell.
Ich lüge nie in solchen Situationen, und bin oft unter.zehn Poeten der ein¬
zige Prosaiker." --

Wir finden diese Aeußerungen sehr charakteristisch für Tieck, der sich als
geborner Realist schon in der früheren Periode von seinen idealistischen Glau¬
bensgenossen unterschied und sich später immermehr von ihnen trennte.

Ebenso bemerkenswerth sind seine Aeußerungen über Friedrich Schlegel,
19. November 1824. der um diese Zeit Dresden besuchte. "Ich war mit
ihm niemals mehr einig als jetzt auch; unser Verständniß war auch in
frühen Jahren nur eine Annäherung zueinander. Er sah damals auf mich
gutmüthig herab und ehrte mit fast ausschließender Liebe mein Talent; aber
Mich eigentlich zu verstehn hielt er doch ni.le der Mühe werth, und wenn
ich einmal den Ansatz nahm ihn verstehen zu wollen, so verwandelte sich
Spinozism, Fichticmism. Platonism und wie es Namen haben mocht^


Wirkung, selbst eine starke zu geben, wenn man sie unter eiMN moralischen,
empfindsamen, sogenannten poetischen Gesichtspunkt stellt; oder wenn MM
didaktisch-polemisch verfahren wollte, und z. B, darstellend die Größe des
Mittelalters zeigen. Im historischen Schauspiel muß Wahrheit und Poesie
Eins werden, und jene maninrten Bedingungcp würden es nur entstellen;
von den zugefügten Lügen nicht einmal zu sprechen, die ich ganz verwerfe." —
Er lobt Raumer's historische Darstellung: „Man steht so ganz in den Sa¬
chen, man verwundert sich über nichts, man macht alles mit. und jener klare
Tagesduft einer überzeugenden Gleichgültigfeit (erlauben Sie mir den Aus'
druck) ist über alle Gruppen und Gegenstände ausgebreitet, daß man das
Theater völlig vergißt, was seit Tacitus und Plutarch fast allen Historikern
etwas beiwohnt. Der letzte, den ich sehr verehre put ganz aus seinem Stand¬
punkt begreife, hat vorzüglich jene scharfe Manier in d>e Geschichte gebracht,
jenes ewige Staunen und Gerührtsein, welches eigentlich die Wirklichkeit ver¬
pichtet. Ich habe auch noch keine schöne Gegend gesehen, wo ich nicht nach
fünf Minuten mich einheimisch gefühlt und die Gegend gewissermaßen ver¬
gessen hätte; darum ist mir nichts fremder und verhaßter, als die staunenden
Naturenthusiastcn. die immer staunen, immer hingenssen sind, ohne zur
Ruhe, Genuß und Behaglichkeit zu gelangen. Diesen wahrhaft göttlichen
Zustand edler Passivität und Unbewuhtheit. daß man die größte Umgebung
nimmt, als müsse sie so sein, werden Sie gewiß so wie ich in Rom und auf der
Reise kennen gelernt haben. Man will ihn sich in der Jugend nicht gestehen,
man meint, man sei träge, nicht rührbar; freilich gibt es dann wieder Stun¬
den des Entzückens, wahrhafte Vistonen, die jene Natur- und Schönheits
juger nie kennen lernen, weil sie sich immer mit Gesichterschneiden abgaben.
und Sonne, Mond und Meer ihnen auch nur Fratzen zurückwerfen. Ich gelte
darum bei den Poetischen immer für phlegmatisch, oder selbst grob materiell.
Ich lüge nie in solchen Situationen, und bin oft unter.zehn Poeten der ein¬
zige Prosaiker." —

Wir finden diese Aeußerungen sehr charakteristisch für Tieck, der sich als
geborner Realist schon in der früheren Periode von seinen idealistischen Glau¬
bensgenossen unterschied und sich später immermehr von ihnen trennte.

Ebenso bemerkenswerth sind seine Aeußerungen über Friedrich Schlegel,
19. November 1824. der um diese Zeit Dresden besuchte. „Ich war mit
ihm niemals mehr einig als jetzt auch; unser Verständniß war auch in
frühen Jahren nur eine Annäherung zueinander. Er sah damals auf mich
gutmüthig herab und ehrte mit fast ausschließender Liebe mein Talent; aber
Mich eigentlich zu verstehn hielt er doch ni.le der Mühe werth, und wenn
ich einmal den Ansatz nahm ihn verstehen zu wollen, so verwandelte sich
Spinozism, Fichticmism. Platonism und wie es Namen haben mocht^


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[0374] Wirkung, selbst eine starke zu geben, wenn man sie unter eiMN moralischen, empfindsamen, sogenannten poetischen Gesichtspunkt stellt; oder wenn MM didaktisch-polemisch verfahren wollte, und z. B, darstellend die Größe des Mittelalters zeigen. Im historischen Schauspiel muß Wahrheit und Poesie Eins werden, und jene maninrten Bedingungcp würden es nur entstellen; von den zugefügten Lügen nicht einmal zu sprechen, die ich ganz verwerfe." — Er lobt Raumer's historische Darstellung: „Man steht so ganz in den Sa¬ chen, man verwundert sich über nichts, man macht alles mit. und jener klare Tagesduft einer überzeugenden Gleichgültigfeit (erlauben Sie mir den Aus' druck) ist über alle Gruppen und Gegenstände ausgebreitet, daß man das Theater völlig vergißt, was seit Tacitus und Plutarch fast allen Historikern etwas beiwohnt. Der letzte, den ich sehr verehre put ganz aus seinem Stand¬ punkt begreife, hat vorzüglich jene scharfe Manier in d>e Geschichte gebracht, jenes ewige Staunen und Gerührtsein, welches eigentlich die Wirklichkeit ver¬ pichtet. Ich habe auch noch keine schöne Gegend gesehen, wo ich nicht nach fünf Minuten mich einheimisch gefühlt und die Gegend gewissermaßen ver¬ gessen hätte; darum ist mir nichts fremder und verhaßter, als die staunenden Naturenthusiastcn. die immer staunen, immer hingenssen sind, ohne zur Ruhe, Genuß und Behaglichkeit zu gelangen. Diesen wahrhaft göttlichen Zustand edler Passivität und Unbewuhtheit. daß man die größte Umgebung nimmt, als müsse sie so sein, werden Sie gewiß so wie ich in Rom und auf der Reise kennen gelernt haben. Man will ihn sich in der Jugend nicht gestehen, man meint, man sei träge, nicht rührbar; freilich gibt es dann wieder Stun¬ den des Entzückens, wahrhafte Vistonen, die jene Natur- und Schönheits juger nie kennen lernen, weil sie sich immer mit Gesichterschneiden abgaben. und Sonne, Mond und Meer ihnen auch nur Fratzen zurückwerfen. Ich gelte darum bei den Poetischen immer für phlegmatisch, oder selbst grob materiell. Ich lüge nie in solchen Situationen, und bin oft unter.zehn Poeten der ein¬ zige Prosaiker." — Wir finden diese Aeußerungen sehr charakteristisch für Tieck, der sich als geborner Realist schon in der früheren Periode von seinen idealistischen Glau¬ bensgenossen unterschied und sich später immermehr von ihnen trennte. Ebenso bemerkenswerth sind seine Aeußerungen über Friedrich Schlegel, 19. November 1824. der um diese Zeit Dresden besuchte. „Ich war mit ihm niemals mehr einig als jetzt auch; unser Verständniß war auch in frühen Jahren nur eine Annäherung zueinander. Er sah damals auf mich gutmüthig herab und ehrte mit fast ausschließender Liebe mein Talent; aber Mich eigentlich zu verstehn hielt er doch ni.le der Mühe werth, und wenn ich einmal den Ansatz nahm ihn verstehen zu wollen, so verwandelte sich Spinozism, Fichticmism. Platonism und wie es Namen haben mocht^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/374>, abgerufen am 23.07.2024.