Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.Bekanntlich stand Raumer seit seinem Aufenthalt in Breslau 1811 in Ein andermal. 2. Febr. 1818, spricht sich Tieck über die Nachahmung 46*
Bekanntlich stand Raumer seit seinem Aufenthalt in Breslau 1811 in Ein andermal. 2. Febr. 1818, spricht sich Tieck über die Nachahmung 46*
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Bekanntlich stand Raumer seit seinem Aufenthalt in Breslau 1811 in
lebhaftem brieflichem Verkehr mit Tieck; einige Aeußerungen dieses ehemaligen
Parteihaupts über das romantische Gesindel, das in dieselben Fußtapfen trat,
sind bemerkenswerth. So schreibt er aus Zicbingcn 30. März 1815: „Unter
so vielen Genies dieser Tage, die ich Ihnen wol nicht namhaft zu machen
brauche, stehe ich schon längst als ein Philister und habe mich von jeher so
zu ihnen verhalten; denn ich hasse nichts so sehr als Anarchie, sei es im
Staat, in der Kunst oder Seele. Leerheit wird nie Leichtigkeit und poetischer
Leichtsinn, Unwissenheit allein gibt noch kein Shakspeareschcs Naturell, ja ein
Talent, selbst wenn es da ist, geht auf diesem Wege zu Grunde. Novalis
sagt: Gemüth und Geschick (Schicksal) sind nur Synonyme für denselben Be¬
griff; und ich glaube auch Charakter und Talent. Ich kehre die alt^ Beschul¬
digung wieder um und sehe in, jenen naturalistischen Dilettanten, in jenen
Verschmähern der Ordnung und der Erkenntniß (die sich einbilden, das Große
und Schöne ginge verloren, wenn man es sich zum Verständniß bringen will)
die echten Philister. Denn leben sie nicht von zwei oder drei Begriffen, die
wir immer wieder anhören müssen? Sind sie wol des Enthusiasmus fähig?
Ist selbst ihre Idolatrie unseres Goethe etwas Anderes, als Spießbürgern,
die ehemals ebenso über Klopstock oder Wieland oder Bodmer faselte? Da¬
rin besteht ja der Pedant, daß er nur eins kennt und will, ohne Kraft und
Erkennen. Sie sehen auch in Goethe, Shakspeare, der Natur, nur die
Decoration. und zwar dürfen ihnen die Coulissen nicht fehlen, und sie be¬
wundern eben am meisten, wenn sie außerhalb der Perspcctivlinie stehen und
sich ihnen Alles verzerrt. Von frühester Jugend habe ich mich von diesen
Naturspielen losgesagt. Möchten sie doch lieber gleich über einen Dendriten,
als über einen Claude Lorrain sprechen, denn wenn sie aufrichtig sind, müssen
sie in jenem mehr als in diesem sehen."
Ein andermal. 2. Febr. 1818, spricht sich Tieck über die Nachahmung
der Alten aus. „Ich wundre mich oft, wie noch immer gewisse Vorurtheile
und Autoritäten uns bedrücken, deren Widerspruch doch so leicht zu lösen ist;
es ist das alte leblose Gespenst des Ideals, was noch immer nicht weichen
will; jener Glaube, daß es an sich nichts Vollendetes gebe, sondern nur
einem höheren Unsichtbaren entgegenstrebe, was dann, scharf augesehen, die
Leere oder der Tod sein muß. Das wahre Ideal muß aus sich selbst her¬
vorgehen und sich in sich selbst erfüllen, sich selbst beleben und erklären. Man
sagt sonst wol. Puder macht den Menschen jünger, die Perücke macht ihn ehr¬
würdiger; sie machen nicht, als daß er weniger wie Er, weniger wie ein Mensch
aussteht: so erscheint mir jenes Verjnügen, oder ernster und idealischer sein wollen
aus der Nachahmung der Alten." Er wendet das aus die Geschichtschreibung
und auf das historische Drama an: „Es ist leicht, diesen Sachen eine historische
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