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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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einem Manne, der doch in anderer Beziehung den Einflüssen einer mehr
geistreichen als gescheuten Schule nicht immer den gehörigen Widerstand ent-
gegensetzte.

Sehr betrübend ist die Korrespondenz mit Heinrich von Kleist, obgleich
uns Einiges in derselben unverständlich bleibt. Daß Kleist in jedem Augen¬
blick seines Lebens von einem übersckwänglichen und in der Regel grundlosen
Gefühl beherrscht wurde, liest man auf jedem Blatt seiner Geschichte, und
auch seine dichterischen Gestalten verrathen etwas der Art; die Schwäche aber,
in der er hier auftritt, ist doch zu arg. -- Wir wollen zunächst die Erzäh¬
lung anführen, die Eduard von Bülow nach RauMtts Berichten gibt.

"Kleist hatte sich um allerlei amtliche Unterstützung seines Journals an
die Staats. Kanzlei gewandt, und man würde nicht abgeneigt gewesen sein,
sie ihm zu gewähren, wenn nicht Kleist's Verbindung mit Müller, dessen
zweideutige, Gesinnung gegen Preußen man wol schon damals kannte, Har-
denberg bedenklich gemacht hätte. Wahrscheinlich fühlte Müller dies und
reizte Kleist zu dem Glauben, die Unterstützung würde von Niemand, sonst
als F. v. Raumer hintertrieben. Kleist schrieb also an denselben ein paar
heftige Briefe und forderte ihn zu einem Zweikampfe heraus. Raumer ant¬
wortete ruhig und besonnen, indem er ihm das Unbegründete seines Verdachts
bewies, und Kleist schrieb ihm nun einen in demselben Grade demüthigen
und abbittendem Brief, als er vorher grob gewesen war. Gegen einen Ver¬
mittler, den Raumer Kleist zugeschickt, hatte derselbe unter vielen Thränen
Abbitte gethan."

DKser Bericht stellt sich nach den vorliegenden Acten als stark übertrieben
heraus. Einmal war Raumers Brief nicht ruhig und besonnen, sondern so
grob und wegwerfend als möglich, was wir an sich nicht tadeln, welcher
Umstand aber zur Sache gehört. Zweitens bedrohte ihn Kleist nicht deshalb
mit einem Duell, weil er ihm in seiner Anstellung geschadet habe, sondern
weil er annahm, daß Raumer ihn dem Minister gegenüber als einen Lügner
dargestellt habe. Was nun die Verhandlung über das Duell und die nach¬
trägliche Abbitte betrifft, so verhält sich die Sache auch anders. Die Ver¬
handlungen über das Duell fanden den 26. Febr. 1811 statt. Es ist kein
Protocoll darüber geführt worden, und Raumer selbst behauptet keineswegs,
daß Kleist damals abgebeten habe. Der Brief, in welchem Kleist nachmals ab-
bat. wurde erst den 4. April, also über einen Monat später geschrieben, und
aus diesem spricht nicht etwa die Furcht, sondern, deutsch herausgesagt, der
Hunger. Raumer ist sehr zu tadeln, weil er die Sache so zusammengestellt,
daß für Einen, der das Datum übersieht, die Sache sich in ein schiefes Licht
stellt: auch hätte ein Wort des Bedauerns und Mitleids für den unglücklichen
Dichter nichts geschadet.


einem Manne, der doch in anderer Beziehung den Einflüssen einer mehr
geistreichen als gescheuten Schule nicht immer den gehörigen Widerstand ent-
gegensetzte.

Sehr betrübend ist die Korrespondenz mit Heinrich von Kleist, obgleich
uns Einiges in derselben unverständlich bleibt. Daß Kleist in jedem Augen¬
blick seines Lebens von einem übersckwänglichen und in der Regel grundlosen
Gefühl beherrscht wurde, liest man auf jedem Blatt seiner Geschichte, und
auch seine dichterischen Gestalten verrathen etwas der Art; die Schwäche aber,
in der er hier auftritt, ist doch zu arg. — Wir wollen zunächst die Erzäh¬
lung anführen, die Eduard von Bülow nach RauMtts Berichten gibt.

„Kleist hatte sich um allerlei amtliche Unterstützung seines Journals an
die Staats. Kanzlei gewandt, und man würde nicht abgeneigt gewesen sein,
sie ihm zu gewähren, wenn nicht Kleist's Verbindung mit Müller, dessen
zweideutige, Gesinnung gegen Preußen man wol schon damals kannte, Har-
denberg bedenklich gemacht hätte. Wahrscheinlich fühlte Müller dies und
reizte Kleist zu dem Glauben, die Unterstützung würde von Niemand, sonst
als F. v. Raumer hintertrieben. Kleist schrieb also an denselben ein paar
heftige Briefe und forderte ihn zu einem Zweikampfe heraus. Raumer ant¬
wortete ruhig und besonnen, indem er ihm das Unbegründete seines Verdachts
bewies, und Kleist schrieb ihm nun einen in demselben Grade demüthigen
und abbittendem Brief, als er vorher grob gewesen war. Gegen einen Ver¬
mittler, den Raumer Kleist zugeschickt, hatte derselbe unter vielen Thränen
Abbitte gethan."

DKser Bericht stellt sich nach den vorliegenden Acten als stark übertrieben
heraus. Einmal war Raumers Brief nicht ruhig und besonnen, sondern so
grob und wegwerfend als möglich, was wir an sich nicht tadeln, welcher
Umstand aber zur Sache gehört. Zweitens bedrohte ihn Kleist nicht deshalb
mit einem Duell, weil er ihm in seiner Anstellung geschadet habe, sondern
weil er annahm, daß Raumer ihn dem Minister gegenüber als einen Lügner
dargestellt habe. Was nun die Verhandlung über das Duell und die nach¬
trägliche Abbitte betrifft, so verhält sich die Sache auch anders. Die Ver¬
handlungen über das Duell fanden den 26. Febr. 1811 statt. Es ist kein
Protocoll darüber geführt worden, und Raumer selbst behauptet keineswegs,
daß Kleist damals abgebeten habe. Der Brief, in welchem Kleist nachmals ab-
bat. wurde erst den 4. April, also über einen Monat später geschrieben, und
aus diesem spricht nicht etwa die Furcht, sondern, deutsch herausgesagt, der
Hunger. Raumer ist sehr zu tadeln, weil er die Sache so zusammengestellt,
daß für Einen, der das Datum übersieht, die Sache sich in ein schiefes Licht
stellt: auch hätte ein Wort des Bedauerns und Mitleids für den unglücklichen
Dichter nichts geschadet.


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[0372] einem Manne, der doch in anderer Beziehung den Einflüssen einer mehr geistreichen als gescheuten Schule nicht immer den gehörigen Widerstand ent- gegensetzte. Sehr betrübend ist die Korrespondenz mit Heinrich von Kleist, obgleich uns Einiges in derselben unverständlich bleibt. Daß Kleist in jedem Augen¬ blick seines Lebens von einem übersckwänglichen und in der Regel grundlosen Gefühl beherrscht wurde, liest man auf jedem Blatt seiner Geschichte, und auch seine dichterischen Gestalten verrathen etwas der Art; die Schwäche aber, in der er hier auftritt, ist doch zu arg. — Wir wollen zunächst die Erzäh¬ lung anführen, die Eduard von Bülow nach RauMtts Berichten gibt. „Kleist hatte sich um allerlei amtliche Unterstützung seines Journals an die Staats. Kanzlei gewandt, und man würde nicht abgeneigt gewesen sein, sie ihm zu gewähren, wenn nicht Kleist's Verbindung mit Müller, dessen zweideutige, Gesinnung gegen Preußen man wol schon damals kannte, Har- denberg bedenklich gemacht hätte. Wahrscheinlich fühlte Müller dies und reizte Kleist zu dem Glauben, die Unterstützung würde von Niemand, sonst als F. v. Raumer hintertrieben. Kleist schrieb also an denselben ein paar heftige Briefe und forderte ihn zu einem Zweikampfe heraus. Raumer ant¬ wortete ruhig und besonnen, indem er ihm das Unbegründete seines Verdachts bewies, und Kleist schrieb ihm nun einen in demselben Grade demüthigen und abbittendem Brief, als er vorher grob gewesen war. Gegen einen Ver¬ mittler, den Raumer Kleist zugeschickt, hatte derselbe unter vielen Thränen Abbitte gethan." DKser Bericht stellt sich nach den vorliegenden Acten als stark übertrieben heraus. Einmal war Raumers Brief nicht ruhig und besonnen, sondern so grob und wegwerfend als möglich, was wir an sich nicht tadeln, welcher Umstand aber zur Sache gehört. Zweitens bedrohte ihn Kleist nicht deshalb mit einem Duell, weil er ihm in seiner Anstellung geschadet habe, sondern weil er annahm, daß Raumer ihn dem Minister gegenüber als einen Lügner dargestellt habe. Was nun die Verhandlung über das Duell und die nach¬ trägliche Abbitte betrifft, so verhält sich die Sache auch anders. Die Ver¬ handlungen über das Duell fanden den 26. Febr. 1811 statt. Es ist kein Protocoll darüber geführt worden, und Raumer selbst behauptet keineswegs, daß Kleist damals abgebeten habe. Der Brief, in welchem Kleist nachmals ab- bat. wurde erst den 4. April, also über einen Monat später geschrieben, und aus diesem spricht nicht etwa die Furcht, sondern, deutsch herausgesagt, der Hunger. Raumer ist sehr zu tadeln, weil er die Sache so zusammengestellt, daß für Einen, der das Datum übersieht, die Sache sich in ein schiefes Licht stellt: auch hätte ein Wort des Bedauerns und Mitleids für den unglücklichen Dichter nichts geschadet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/372>, abgerufen am 23.07.2024.