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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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laßt, als das der gebildeten Klassen, zum Theil auch wol, um uns einen
Blick in die stillen Stuben und Mansarden werfen zu lassen, in ihre arbeit¬
same Behaglichkeit, ihr alltägliches Leid und Glück. I" die Tcndenzpoesie
der "Geheimnisse von Paris" hat sich glücklicher Weise nur selten ein Maler
verirrt (Tassaert). Bald ist die Darstellung ganz einfach, möglichst unbe¬
fangen, ja von allzugeringem Aufwand der Phantasie: harmlose Situationen
ohne jedes tiefere Interesse (Bonom, Guillemin. Duverger). Oder
der Künstler setzt seine Personen in eine geistige Beziehung, die aus dem
Leben des Standes gegriffen ist und sich an die gemüthliche Theilnahme des
Beschauers wendet (Prayer, Fortin, Laugee, Armand Leleux). Oder
endlich er sucht die Ausgelassenheit und komische Fröhlichkeit, die auch in
diesem Stande nicht mehr das Frische und Franke hat, das die Wirthshaus¬
scenen von Teniers so anziehend macht, da, wo er sie allenfalls noch findet, in
der Kinderwelt (Edouard Fröre).

Im Durchschnitt sind die Bilder dieser Maler geschickter gemacht, als was
Man Derartiges bei uns zu Lande sieht. Sie sind fast alle durch eine gute
Schule gegangen, und das Bestreben der französischen Malerei seit der roman¬
tischen Periode, in der Bewegung wahr und natürlich zu werden, ist ihnen
zu gute gekommen. Einen gewissen malerischen Reiz wissen sie durch ein
sastiges Herausheben der Gestalten ans der Leinwand zu erreichen; auch ver¬
stehen sie es, das Tageslicht, die Dämmerung in den geschlossenen Raum
stimmungsvoll hineinleuchten zu lassen. Aber es ist doch eine Art von Con¬
trast, durch den sie auf den Beschauer zu willen suchen, und das nimmt ihren
Menschen den Reiz der Harmlosigkeit, läßt die Existenz derselben als eine
sorgenvolle und gebrochene erscheinen.

Ein frischeres Leben haben die Darstellungen aus dem Land- und
Bauernleben. Es ist nicht von den Bildern die Rede, welche grundsätzlich
auf die bloße Natur im Gegensatz zur Verfeinerung der Cultur den Accent
legen; hier handelt es sich einfach um das heitere Treiben der Dvrfschenten,
um die naive, malerische Thätigkeit und Ruhe des Landmannes, der zur
Natur ein noch ungebrochenes Verhältniß hat, in Wald, Feld und Haus.
Gewöhnlich hält sich der Maler an die Eigenthümlichkeit eines bestimmten
Stammes. Gustave Brion ist im Elsaß zu Hause (gute Kompositionen,
aber etwas harte Behandlung), Marchal geht hier und da in den Schwarz¬
wald; Ieauron und Adolphe Leleux haben sich in der Bretagne angesie¬
delt. Der Letztere versteht es, seine kräftigen Gestalten, flüchtig, aber keck und
lebendig ^handelt, stimmungsvoll von der Landschaft abzuheben und eine
^se>ge, harmonische Farbenwirkung zu erreichen. Alexandre Antigua sucht
Glück und Leid, das stille Behagen des Bauernlebens überhaupt darzustellen,
ihm kommt es schon neben dem malerischen Reiz auf die realistische Wahr-


Grenzboten IV. 1861. 33

laßt, als das der gebildeten Klassen, zum Theil auch wol, um uns einen
Blick in die stillen Stuben und Mansarden werfen zu lassen, in ihre arbeit¬
same Behaglichkeit, ihr alltägliches Leid und Glück. I» die Tcndenzpoesie
der „Geheimnisse von Paris" hat sich glücklicher Weise nur selten ein Maler
verirrt (Tassaert). Bald ist die Darstellung ganz einfach, möglichst unbe¬
fangen, ja von allzugeringem Aufwand der Phantasie: harmlose Situationen
ohne jedes tiefere Interesse (Bonom, Guillemin. Duverger). Oder
der Künstler setzt seine Personen in eine geistige Beziehung, die aus dem
Leben des Standes gegriffen ist und sich an die gemüthliche Theilnahme des
Beschauers wendet (Prayer, Fortin, Laugee, Armand Leleux). Oder
endlich er sucht die Ausgelassenheit und komische Fröhlichkeit, die auch in
diesem Stande nicht mehr das Frische und Franke hat, das die Wirthshaus¬
scenen von Teniers so anziehend macht, da, wo er sie allenfalls noch findet, in
der Kinderwelt (Edouard Fröre).

Im Durchschnitt sind die Bilder dieser Maler geschickter gemacht, als was
Man Derartiges bei uns zu Lande sieht. Sie sind fast alle durch eine gute
Schule gegangen, und das Bestreben der französischen Malerei seit der roman¬
tischen Periode, in der Bewegung wahr und natürlich zu werden, ist ihnen
zu gute gekommen. Einen gewissen malerischen Reiz wissen sie durch ein
sastiges Herausheben der Gestalten ans der Leinwand zu erreichen; auch ver¬
stehen sie es, das Tageslicht, die Dämmerung in den geschlossenen Raum
stimmungsvoll hineinleuchten zu lassen. Aber es ist doch eine Art von Con¬
trast, durch den sie auf den Beschauer zu willen suchen, und das nimmt ihren
Menschen den Reiz der Harmlosigkeit, läßt die Existenz derselben als eine
sorgenvolle und gebrochene erscheinen.

Ein frischeres Leben haben die Darstellungen aus dem Land- und
Bauernleben. Es ist nicht von den Bildern die Rede, welche grundsätzlich
auf die bloße Natur im Gegensatz zur Verfeinerung der Cultur den Accent
legen; hier handelt es sich einfach um das heitere Treiben der Dvrfschenten,
um die naive, malerische Thätigkeit und Ruhe des Landmannes, der zur
Natur ein noch ungebrochenes Verhältniß hat, in Wald, Feld und Haus.
Gewöhnlich hält sich der Maler an die Eigenthümlichkeit eines bestimmten
Stammes. Gustave Brion ist im Elsaß zu Hause (gute Kompositionen,
aber etwas harte Behandlung), Marchal geht hier und da in den Schwarz¬
wald; Ieauron und Adolphe Leleux haben sich in der Bretagne angesie¬
delt. Der Letztere versteht es, seine kräftigen Gestalten, flüchtig, aber keck und
lebendig ^handelt, stimmungsvoll von der Landschaft abzuheben und eine
^se>ge, harmonische Farbenwirkung zu erreichen. Alexandre Antigua sucht
Glück und Leid, das stille Behagen des Bauernlebens überhaupt darzustellen,
ihm kommt es schon neben dem malerischen Reiz auf die realistische Wahr-


Grenzboten IV. 1861. 33
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[0267] laßt, als das der gebildeten Klassen, zum Theil auch wol, um uns einen Blick in die stillen Stuben und Mansarden werfen zu lassen, in ihre arbeit¬ same Behaglichkeit, ihr alltägliches Leid und Glück. I» die Tcndenzpoesie der „Geheimnisse von Paris" hat sich glücklicher Weise nur selten ein Maler verirrt (Tassaert). Bald ist die Darstellung ganz einfach, möglichst unbe¬ fangen, ja von allzugeringem Aufwand der Phantasie: harmlose Situationen ohne jedes tiefere Interesse (Bonom, Guillemin. Duverger). Oder der Künstler setzt seine Personen in eine geistige Beziehung, die aus dem Leben des Standes gegriffen ist und sich an die gemüthliche Theilnahme des Beschauers wendet (Prayer, Fortin, Laugee, Armand Leleux). Oder endlich er sucht die Ausgelassenheit und komische Fröhlichkeit, die auch in diesem Stande nicht mehr das Frische und Franke hat, das die Wirthshaus¬ scenen von Teniers so anziehend macht, da, wo er sie allenfalls noch findet, in der Kinderwelt (Edouard Fröre). Im Durchschnitt sind die Bilder dieser Maler geschickter gemacht, als was Man Derartiges bei uns zu Lande sieht. Sie sind fast alle durch eine gute Schule gegangen, und das Bestreben der französischen Malerei seit der roman¬ tischen Periode, in der Bewegung wahr und natürlich zu werden, ist ihnen zu gute gekommen. Einen gewissen malerischen Reiz wissen sie durch ein sastiges Herausheben der Gestalten ans der Leinwand zu erreichen; auch ver¬ stehen sie es, das Tageslicht, die Dämmerung in den geschlossenen Raum stimmungsvoll hineinleuchten zu lassen. Aber es ist doch eine Art von Con¬ trast, durch den sie auf den Beschauer zu willen suchen, und das nimmt ihren Menschen den Reiz der Harmlosigkeit, läßt die Existenz derselben als eine sorgenvolle und gebrochene erscheinen. Ein frischeres Leben haben die Darstellungen aus dem Land- und Bauernleben. Es ist nicht von den Bildern die Rede, welche grundsätzlich auf die bloße Natur im Gegensatz zur Verfeinerung der Cultur den Accent legen; hier handelt es sich einfach um das heitere Treiben der Dvrfschenten, um die naive, malerische Thätigkeit und Ruhe des Landmannes, der zur Natur ein noch ungebrochenes Verhältniß hat, in Wald, Feld und Haus. Gewöhnlich hält sich der Maler an die Eigenthümlichkeit eines bestimmten Stammes. Gustave Brion ist im Elsaß zu Hause (gute Kompositionen, aber etwas harte Behandlung), Marchal geht hier und da in den Schwarz¬ wald; Ieauron und Adolphe Leleux haben sich in der Bretagne angesie¬ delt. Der Letztere versteht es, seine kräftigen Gestalten, flüchtig, aber keck und lebendig ^handelt, stimmungsvoll von der Landschaft abzuheben und eine ^se>ge, harmonische Farbenwirkung zu erreichen. Alexandre Antigua sucht Glück und Leid, das stille Behagen des Bauernlebens überhaupt darzustellen, ihm kommt es schon neben dem malerischen Reiz auf die realistische Wahr- Grenzboten IV. 1861. 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/267>, abgerufen am 23.07.2024.