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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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heit der Erscheinung an. -- Eine ziemliche Anzahl von Malern hält sich an
das niedere Volkstreiben mehr südlicher Gegenden, nicht um das gediegene
Leben voller, ganzer Naturen zu schildern, sondern um in der malerischen Um¬
gebung die durch die Noth der Wirklichkeit charakterisiere, aber auch gebrochene
Form und Bewegung aufzuzeigen (Hsdouin und Unsitte Lo, spanische und
böhmische Scenen, Clöre, Guiaud; London sucht geradezu das Häßliche,
Patrois in russischen Motive" mehr das Malerische). -- Es fehlt im Ganzen
auch hier an der liebevollen und naiven Behandlung.

Bon der Berirrung der neuesten Kunst, inhaltlose genrehafte Stoffe in
anspruchsvoller Lebensgröße darzustellen, ist schon früher die Rede gewesen
Hier ist natürlich keine Spur von der genialen Auffassung der Spanier, eines
Belasquez und Murillo, in der die Bettler und Menschen aus dem Volke in
der königlichen Grandezza eines um die Dinge dieser Welt unbekümmerten
Daseins als unendlich berechtigt erscheinen. Es kommt den Malern meistens
nur auf eine möglichst wahre, frappante, dem Beschauer entgegentretende Dar¬
stellung der puren Prosa des Lebens an (Grosclaude, Duveau, Verlat,
Luminais, große Thiermärkte u. tgi.; komische Absicht in Lambron's
Begegnung Maskirter mit einem Todteuwagenführer); im besten Falle suchen
sie eine gewisse Falbenwirkung und Lebendigkeit der Bewegung. Wir nähern
uns immer mehr dem grundsätzlichen Realismus, der sich die Aufgabe stellt,
die gemeine Wirklichkeit so nnturtreu, wie nur möglich, grell und körperhaft
in den Rahmen zu stellen.

Auch darauf ist -- im fünften Artikel -- schon hingewiesen, daß bei
allen naturalistischen Bestrebungen das Bedürfniß nach malerischen und durch
die Stimmung des Locals poetischen Motiven nur um so stärker sich hervor¬
gekehrt und in der Ferne, in der Welt des Morgenlandes neue Nahrung ge¬
sucht hat. Horace Vernet und Decamps haben, wie wir gesehen, diese Richtung
angebahnt. Auch auf diesem Gebiete geht jetzt der Maler in den meisten
Fällen auf volle Naturwahrheit aus; die zufällige Härte und Unschönheit der
wirklichen Form in dem Duft und Schimmer der südlichen Luft, in dem ver¬
kochtem Einklang glühender Lvcalfarben soll den Bildern den täuschenden
Schein des Lebens geben. Die meisten Darstellungen verbinden das Genre
mit der Landschaft: wir haben in dem angeführten Aufsatze gezeigt, daß diese
Vermischung beider Gattungen für das europäische Auge aus dem Wesen des
Orients folgt. Berchöre, Tour nemme, Betty, Bettel haben sich be¬
sonders hervorgethan (arabisches Städte- und Landleben. Karavanen. Jag¬
den u. s. f.). Einzelne haben die eigenthümlichen Sitten des Orients zu
schildern gesucht (Charles Fröre. Oehodenig, Monlignon, Tissier).
Einen besondern Reiz haben die Sachen von Eugene Fromentin: er ver¬
steht es ebensowol das dumpfe, brütende und doch wieder in der Thätigkeit


heit der Erscheinung an. — Eine ziemliche Anzahl von Malern hält sich an
das niedere Volkstreiben mehr südlicher Gegenden, nicht um das gediegene
Leben voller, ganzer Naturen zu schildern, sondern um in der malerischen Um¬
gebung die durch die Noth der Wirklichkeit charakterisiere, aber auch gebrochene
Form und Bewegung aufzuzeigen (Hsdouin und Unsitte Lo, spanische und
böhmische Scenen, Clöre, Guiaud; London sucht geradezu das Häßliche,
Patrois in russischen Motive» mehr das Malerische). — Es fehlt im Ganzen
auch hier an der liebevollen und naiven Behandlung.

Bon der Berirrung der neuesten Kunst, inhaltlose genrehafte Stoffe in
anspruchsvoller Lebensgröße darzustellen, ist schon früher die Rede gewesen
Hier ist natürlich keine Spur von der genialen Auffassung der Spanier, eines
Belasquez und Murillo, in der die Bettler und Menschen aus dem Volke in
der königlichen Grandezza eines um die Dinge dieser Welt unbekümmerten
Daseins als unendlich berechtigt erscheinen. Es kommt den Malern meistens
nur auf eine möglichst wahre, frappante, dem Beschauer entgegentretende Dar¬
stellung der puren Prosa des Lebens an (Grosclaude, Duveau, Verlat,
Luminais, große Thiermärkte u. tgi.; komische Absicht in Lambron's
Begegnung Maskirter mit einem Todteuwagenführer); im besten Falle suchen
sie eine gewisse Falbenwirkung und Lebendigkeit der Bewegung. Wir nähern
uns immer mehr dem grundsätzlichen Realismus, der sich die Aufgabe stellt,
die gemeine Wirklichkeit so nnturtreu, wie nur möglich, grell und körperhaft
in den Rahmen zu stellen.

Auch darauf ist — im fünften Artikel — schon hingewiesen, daß bei
allen naturalistischen Bestrebungen das Bedürfniß nach malerischen und durch
die Stimmung des Locals poetischen Motiven nur um so stärker sich hervor¬
gekehrt und in der Ferne, in der Welt des Morgenlandes neue Nahrung ge¬
sucht hat. Horace Vernet und Decamps haben, wie wir gesehen, diese Richtung
angebahnt. Auch auf diesem Gebiete geht jetzt der Maler in den meisten
Fällen auf volle Naturwahrheit aus; die zufällige Härte und Unschönheit der
wirklichen Form in dem Duft und Schimmer der südlichen Luft, in dem ver¬
kochtem Einklang glühender Lvcalfarben soll den Bildern den täuschenden
Schein des Lebens geben. Die meisten Darstellungen verbinden das Genre
mit der Landschaft: wir haben in dem angeführten Aufsatze gezeigt, daß diese
Vermischung beider Gattungen für das europäische Auge aus dem Wesen des
Orients folgt. Berchöre, Tour nemme, Betty, Bettel haben sich be¬
sonders hervorgethan (arabisches Städte- und Landleben. Karavanen. Jag¬
den u. s. f.). Einzelne haben die eigenthümlichen Sitten des Orients zu
schildern gesucht (Charles Fröre. Oehodenig, Monlignon, Tissier).
Einen besondern Reiz haben die Sachen von Eugene Fromentin: er ver¬
steht es ebensowol das dumpfe, brütende und doch wieder in der Thätigkeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/268>, abgerufen am 29.12.2024.