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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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schaffen das Gemüth' sein müsse, um ihren Schlingen zu erliegen, welche Ver¬
änderungen es dadurch erleidet u. s, w. Darum wählte er zum Mittelpunkt
der Handlung nicht wirkliche Katholiken, sondern zwei Renegaten.

Die Kirche kann sich nicht sehr geschmeichelt fühlen durch die Erwerbungen,
welche der Dichter sie machen läßt. Lucinde ist eine geborne Dirne, die frei¬
lich nach der Versicherung des Dichters, der es doch am besten wissen muß,
bis an's Ende ihres Lebens Jungfer bleibt, ungefähr in der Art, wie Vol¬
taire's Pucelle;. Klingsohr ist ein hohler, seichter Schönredner, der mit seinen
Empfindungen und Gedanken weibisch kokettirt, er ist ein Ritter vom Geist.
Der Punkt, auf den eigentlich Alles ankäme, der Moment ihrer Bekehrung
wird nicht charakterisirt. Bei Lucinde war es freilich nicht nöthig, denn sie
thut es, um Geld zu verdienen; dagegen hätte man bei Klmgsohr einige
nähere Erläuterungen gewünscht. Verändert wird bei ihnen durch den Ueber-
lntt nichts. Lucinde bleibt die Dirne, die sie war; selbst, der Schauplatz ihrer
Wirksamkeit wird nur wenig anders, und als sie zuletzt ihr höchstes Ziel
erreicht. Maitresse eines abgelebten Cardinals zu werden, verliert man sie aus
den Augen. Auch Klingsohr bleibt der alte-Schönredner, der alte Ritter vom
Geist, der alte blasirte Declamator, der durch hochklingende Worte mit einem
gewissen Behagen aus seinem hohlen Innern Thränen hervorzupressen sucht;
er compromittirt sich fortwährend durch vorlaute Rede", und wird zur Strafe
genöthigt in einen, immer noch strengeren Orden zu treten; einmal wird er
sogar körperlich gezüchtigt, was dem Leser sehr wohlthut. Aber wozu wir
uns eigentlich mit diesen höchst erbärmlichen und höchst uninteressanter Per-
önlichkeiten in dieser Breite beschäftigen sollen, das ist nicht zu errathen. Daß
die Mehrzahl der Renegaten wirklich von der Art sind, läßt, sich gar nicht
bestreite", aber um diese unzweifelhafte Wahrheit zu erkennen, hätte man uns
doch nicht durch diesen entsetzlichen Schmutz durchsetzen dürfen,, den wir durch¬
waten müssen, um sie in ihrem wenig beneidenswerther Schicksal zu verfolgen.

Ein anderer Ritter vom Geist, ein Zwillingsbruder Dankmar Wildungens,
gleichfalls ein Referendarius oder Assessor oder so Etwas, Benno von Asselyn,
scheint nachher in den Vordergrund treten zu sollen. Auch er erfreut sich einer
wunderbaren Unsicherheit über das. was er denkt, was er will, was er em¬
pfindet, und wird durch diese Unsicherheit in die zwecklosesten Abenteuer ver¬
strickt. Aber er ist durchaus nichts Neues und wird zu obenhin behandelt.
Dabei wird die Aufmerksamkeit fortwährend dadurch verwirrt, daß man sich
in jedem Bande eine neue Genealogie einprägen muß: wie in den "Rittern
vom Geist", weiß auch hier fast kein Einziger, wer sein wirklicher Vater ist,
und das zerstreut die Aufmerksamkeit zuletzt auf eine ganz unleidliche Weise.
Die episodischen Figuren haben zwar eine kirchliche Färbung, aber diese Fär¬
bung ist ganz localer Natur; sie könnte, als untergeordnetes Moment von


schaffen das Gemüth' sein müsse, um ihren Schlingen zu erliegen, welche Ver¬
änderungen es dadurch erleidet u. s, w. Darum wählte er zum Mittelpunkt
der Handlung nicht wirkliche Katholiken, sondern zwei Renegaten.

Die Kirche kann sich nicht sehr geschmeichelt fühlen durch die Erwerbungen,
welche der Dichter sie machen läßt. Lucinde ist eine geborne Dirne, die frei¬
lich nach der Versicherung des Dichters, der es doch am besten wissen muß,
bis an's Ende ihres Lebens Jungfer bleibt, ungefähr in der Art, wie Vol¬
taire's Pucelle;. Klingsohr ist ein hohler, seichter Schönredner, der mit seinen
Empfindungen und Gedanken weibisch kokettirt, er ist ein Ritter vom Geist.
Der Punkt, auf den eigentlich Alles ankäme, der Moment ihrer Bekehrung
wird nicht charakterisirt. Bei Lucinde war es freilich nicht nöthig, denn sie
thut es, um Geld zu verdienen; dagegen hätte man bei Klmgsohr einige
nähere Erläuterungen gewünscht. Verändert wird bei ihnen durch den Ueber-
lntt nichts. Lucinde bleibt die Dirne, die sie war; selbst, der Schauplatz ihrer
Wirksamkeit wird nur wenig anders, und als sie zuletzt ihr höchstes Ziel
erreicht. Maitresse eines abgelebten Cardinals zu werden, verliert man sie aus
den Augen. Auch Klingsohr bleibt der alte-Schönredner, der alte Ritter vom
Geist, der alte blasirte Declamator, der durch hochklingende Worte mit einem
gewissen Behagen aus seinem hohlen Innern Thränen hervorzupressen sucht;
er compromittirt sich fortwährend durch vorlaute Rede», und wird zur Strafe
genöthigt in einen, immer noch strengeren Orden zu treten; einmal wird er
sogar körperlich gezüchtigt, was dem Leser sehr wohlthut. Aber wozu wir
uns eigentlich mit diesen höchst erbärmlichen und höchst uninteressanter Per-
önlichkeiten in dieser Breite beschäftigen sollen, das ist nicht zu errathen. Daß
die Mehrzahl der Renegaten wirklich von der Art sind, läßt, sich gar nicht
bestreite», aber um diese unzweifelhafte Wahrheit zu erkennen, hätte man uns
doch nicht durch diesen entsetzlichen Schmutz durchsetzen dürfen,, den wir durch¬
waten müssen, um sie in ihrem wenig beneidenswerther Schicksal zu verfolgen.

Ein anderer Ritter vom Geist, ein Zwillingsbruder Dankmar Wildungens,
gleichfalls ein Referendarius oder Assessor oder so Etwas, Benno von Asselyn,
scheint nachher in den Vordergrund treten zu sollen. Auch er erfreut sich einer
wunderbaren Unsicherheit über das. was er denkt, was er will, was er em¬
pfindet, und wird durch diese Unsicherheit in die zwecklosesten Abenteuer ver¬
strickt. Aber er ist durchaus nichts Neues und wird zu obenhin behandelt.
Dabei wird die Aufmerksamkeit fortwährend dadurch verwirrt, daß man sich
in jedem Bande eine neue Genealogie einprägen muß: wie in den „Rittern
vom Geist", weiß auch hier fast kein Einziger, wer sein wirklicher Vater ist,
und das zerstreut die Aufmerksamkeit zuletzt auf eine ganz unleidliche Weise.
Die episodischen Figuren haben zwar eine kirchliche Färbung, aber diese Fär¬
bung ist ganz localer Natur; sie könnte, als untergeordnetes Moment von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/256>, abgerufen am 29.06.2024.