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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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. Allen voran steht Charles Glcyre, der indessen nicht Schüler von
Pieve, sondern von Hersent war. Der Künstler machte in einem langjährigen
Aufenthalte in Italien eine strenge und gründliche Bildung durch: er war
unermüdlich, die alten Meister kennen zu lernen, und es gab von Giotto
bis Raphael keinen, den er nicht copirt Hütte. Aber fast scheint es, wie wenn
seinem Talente ein ausgesprochener eigenthümlicher Zug gefehlt hätte, der
diese Kenntnisse in sicherer und fruchtbarer Weise hätte verwerthen können;
auch ist in seinen Bildern eine gewisse Weichlichkeit und Unbestimmtheit, ein
Mangel an Kraft, der sich aus dieser charakterlosen Begabung wohl erklaren
läßt. So ist in seinem "Abend" (184t ein Mann siyt in der Abenddämme¬
rung am User und sieht die Hoffnungen seiner Jugend, schöne blühende Ge¬
stalten, singend und spielend in einem Schiffe dahinziehen) bei einem edlen
Schwung der Form, einer stimmungsvollen Harmonie des Tons und gediege¬
ner Ausführung doch eine Art von Unklarheit in der Darstellung des Motivs
und eine weiche Sentimentalität- des Ausdrucks, welche den Mangel einer ge¬
sunden Auffassung fühlbar machen. Die Trennung der Apostel, ein auch in
Deutschland durch den Kupferstich bekanntes Bild, ist noch schlimmer: es ist
geradezu süß und manieritt/ Lebendiger und frischer sind seine Bacchantinnen;
man sieht, der Maler hat hier mit unmittelbarer Anschauung nach dem Leben
geschaffen und hat den Tanz griechischer Mädchen gesehen und dann hinter¬
her, als die Komposition im Ganzen und Großen fertig war, die alte Kunst
zu Rathe gezogen. Immer aber spricht ans seinen Werken ein ernster künst¬
lerischer Sinn und ein gründliches Studium der Form.

Mit nicht ebenso tüchtigen Kenntnissen, aber mit einem entschiedeneren
Talent hat L6vn Bvnvuville verschiedene Scenen aus der Heiligengeschichte
wirksam behandelt. Bor Allem ist sein sterbender Franciscus von Assissi
(1853) durch die stimmungsvolle Anordnung und Behandlung ein höchst an¬
ziehendes Bild. Wie in Begleitung zweier Ordensbrüder der Heilige in
schöner Landschaft mit einfacher, würdiger Geberde die ferne Stadt segnet,
ist mit ebenso malerischem Sinn als tiefem Gefühl für poetische Wirkung klar
und bestimmt wiedergegeben; dazu eine feine, der Bollendung sich nähernde
Ausführung. Weniger ansprechend ist der Eintritt christlicher Märtyrer ins
Amphitheater; das Bild hat etwas Gespreiztes und Academisches. Die spätern
Werke sind jenem ebenfalls nicht gleichzustellen, und so scheint es, wie wenn
auch diesem Maler nur dieser eine Wurf habe gelingen wollen.

Noch mehrere andere Schüler Picvts, dann auch einige aus der Schule
von Delaroche haben sich bemüht, Motive aus der heiligen Geschichte und
der Mythenwelt in idealer Weise und mit stylvoller Auffassung zu behandeln.
Zu jene" gehören Adolphe Bouguereau, Eugöne Lenepveu, Alexandre
Cabanel, Henri Giacomotti, zu diesen Franyois Jalabert. Gustave


. Allen voran steht Charles Glcyre, der indessen nicht Schüler von
Pieve, sondern von Hersent war. Der Künstler machte in einem langjährigen
Aufenthalte in Italien eine strenge und gründliche Bildung durch: er war
unermüdlich, die alten Meister kennen zu lernen, und es gab von Giotto
bis Raphael keinen, den er nicht copirt Hütte. Aber fast scheint es, wie wenn
seinem Talente ein ausgesprochener eigenthümlicher Zug gefehlt hätte, der
diese Kenntnisse in sicherer und fruchtbarer Weise hätte verwerthen können;
auch ist in seinen Bildern eine gewisse Weichlichkeit und Unbestimmtheit, ein
Mangel an Kraft, der sich aus dieser charakterlosen Begabung wohl erklaren
läßt. So ist in seinem „Abend" (184t ein Mann siyt in der Abenddämme¬
rung am User und sieht die Hoffnungen seiner Jugend, schöne blühende Ge¬
stalten, singend und spielend in einem Schiffe dahinziehen) bei einem edlen
Schwung der Form, einer stimmungsvollen Harmonie des Tons und gediege¬
ner Ausführung doch eine Art von Unklarheit in der Darstellung des Motivs
und eine weiche Sentimentalität- des Ausdrucks, welche den Mangel einer ge¬
sunden Auffassung fühlbar machen. Die Trennung der Apostel, ein auch in
Deutschland durch den Kupferstich bekanntes Bild, ist noch schlimmer: es ist
geradezu süß und manieritt/ Lebendiger und frischer sind seine Bacchantinnen;
man sieht, der Maler hat hier mit unmittelbarer Anschauung nach dem Leben
geschaffen und hat den Tanz griechischer Mädchen gesehen und dann hinter¬
her, als die Komposition im Ganzen und Großen fertig war, die alte Kunst
zu Rathe gezogen. Immer aber spricht ans seinen Werken ein ernster künst¬
lerischer Sinn und ein gründliches Studium der Form.

Mit nicht ebenso tüchtigen Kenntnissen, aber mit einem entschiedeneren
Talent hat L6vn Bvnvuville verschiedene Scenen aus der Heiligengeschichte
wirksam behandelt. Bor Allem ist sein sterbender Franciscus von Assissi
(1853) durch die stimmungsvolle Anordnung und Behandlung ein höchst an¬
ziehendes Bild. Wie in Begleitung zweier Ordensbrüder der Heilige in
schöner Landschaft mit einfacher, würdiger Geberde die ferne Stadt segnet,
ist mit ebenso malerischem Sinn als tiefem Gefühl für poetische Wirkung klar
und bestimmt wiedergegeben; dazu eine feine, der Bollendung sich nähernde
Ausführung. Weniger ansprechend ist der Eintritt christlicher Märtyrer ins
Amphitheater; das Bild hat etwas Gespreiztes und Academisches. Die spätern
Werke sind jenem ebenfalls nicht gleichzustellen, und so scheint es, wie wenn
auch diesem Maler nur dieser eine Wurf habe gelingen wollen.

Noch mehrere andere Schüler Picvts, dann auch einige aus der Schule
von Delaroche haben sich bemüht, Motive aus der heiligen Geschichte und
der Mythenwelt in idealer Weise und mit stylvoller Auffassung zu behandeln.
Zu jene» gehören Adolphe Bouguereau, Eugöne Lenepveu, Alexandre
Cabanel, Henri Giacomotti, zu diesen Franyois Jalabert. Gustave


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/184>, abgerufen am 28.12.2024.