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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Bö "lang er, Charles Land eile; ihnen schließen sich Emile Signol
und Hippolyte Lazcrges an. Einigen von ihnen sind wir schon hei der
Betrachtung der neuesten religiösen Kunst begegnet. Sie haben zum Theil
wieder ergreifende Scenen aus den Schicksalen der Märtyrer hervorgesucht
(Bougucrccru, Lcncpvcu), sie wollen wie die Romantiker auf die Beschauer
eine eindringliche Wirkung machen, aber sic vermeiden die realistische Wildheit
der Farbe und Bewegung und suchen durch eine edle Behandlung die Grenze!,
der idealen Kunst einzuhalten. Zum Theil wählen sie sich Motive, die ihnen
Gelegenheit gehen, das Nackte und die menschliche Form, in vollendeter Schön¬
heit darzustellen; griechische Götter und Nymphen in ruhigen Situationen und
einfachen Stimmungen, die auch für die moderne Phantasie ihren Neiz noch
nicht verloren haben. Selbst der Salon von 13se läßt es an solchen Bildern
nicht fehlen (Bouguereau, Cabanel, Giacomvlti, Boulanger; zu ihnen zählen
noch der ältere Charles Lefebvre, dann Lepöre und Mazcrvlles,
Schüler Gleyre's)', die Kunst hat noch uumer einige Bertreter, welche dieselbe
aus dem wirren Gewühl des wirtlichen Lebens, in das sie sich nach allen
Seiten hin eingelassen hat, wieder in das helle stille Reich des Idealen und
der Mythe zurückzuführen, suchen. Nur Schade, daß alleir diesen Malern der
Zauber der Phantasie fehlt und daß sie es nicht vermögen, der gclüutcrtcn
menschlichen Form das reine, aber volle frische Leben der menschlichen Seele
einzuhauchen. Sie vertreten in der Kunst das Element der Bildung, aber sie
Verfallen zugleich der todten Gewohnheit des Akademischen. Die Kunst hat
jetzt, wie immer, das schöne Necht, zu den idealen Stoffen vor dem schwülen
Gewirre des Tages zu flüchten: aber sic muß dieselben zur-Bollendung der
warmen und markigen Erscheinung, zu der festen Bestimmtheit der Individua-
lität herausbilden, welche den Beschauer anzieht und fesselt und ihm eine
Realität der Kunst vor Augen führt, die ihn für die Abkehr von der wirk¬
lichen Welt vollkommen entschädigt. Das' will der modernen französischen
Kunst nicht gelingen: sie sinkt einerseits zur leeren Geschicklichkeit in der Be¬
handlung der Form herab, andrerseits greift sie zum gemeinen Auskunfts-
mittel einer unreinen sinnlichen Wirkung. So ist die ideale Anschauung In¬
gres' in den Jüngeren immer mehr heruntergekommen und hält im Verfall
mit der monumentalen Kunst ungefähr gleichen Schritt.

Eine tiefere und nachhaltigere Wirkung als die Richtung von In¬
gres sollte, so schien es. der realistische Umschwung haben, den Gericault der
Malerei gegeben. In der Kunst des 19. Jahrhunderts war mit ihm ein
neues Princip aufgetreten, ein Princip, von dem sich ein um so größerer Er¬
folg erwarten ließ, als mit demselben die Malerei, im Einklang mit dem
Bewußtsein des Zeitalters, von der Natur und Geschichte in ihrem ganzen
Umfange und in ihrer mannigfaltigen Bewegtheit Besitz zu nehmen erklärte.


Bö »lang er, Charles Land eile; ihnen schließen sich Emile Signol
und Hippolyte Lazcrges an. Einigen von ihnen sind wir schon hei der
Betrachtung der neuesten religiösen Kunst begegnet. Sie haben zum Theil
wieder ergreifende Scenen aus den Schicksalen der Märtyrer hervorgesucht
(Bougucrccru, Lcncpvcu), sie wollen wie die Romantiker auf die Beschauer
eine eindringliche Wirkung machen, aber sic vermeiden die realistische Wildheit
der Farbe und Bewegung und suchen durch eine edle Behandlung die Grenze!,
der idealen Kunst einzuhalten. Zum Theil wählen sie sich Motive, die ihnen
Gelegenheit gehen, das Nackte und die menschliche Form, in vollendeter Schön¬
heit darzustellen; griechische Götter und Nymphen in ruhigen Situationen und
einfachen Stimmungen, die auch für die moderne Phantasie ihren Neiz noch
nicht verloren haben. Selbst der Salon von 13se läßt es an solchen Bildern
nicht fehlen (Bouguereau, Cabanel, Giacomvlti, Boulanger; zu ihnen zählen
noch der ältere Charles Lefebvre, dann Lepöre und Mazcrvlles,
Schüler Gleyre's)', die Kunst hat noch uumer einige Bertreter, welche dieselbe
aus dem wirren Gewühl des wirtlichen Lebens, in das sie sich nach allen
Seiten hin eingelassen hat, wieder in das helle stille Reich des Idealen und
der Mythe zurückzuführen, suchen. Nur Schade, daß alleir diesen Malern der
Zauber der Phantasie fehlt und daß sie es nicht vermögen, der gclüutcrtcn
menschlichen Form das reine, aber volle frische Leben der menschlichen Seele
einzuhauchen. Sie vertreten in der Kunst das Element der Bildung, aber sie
Verfallen zugleich der todten Gewohnheit des Akademischen. Die Kunst hat
jetzt, wie immer, das schöne Necht, zu den idealen Stoffen vor dem schwülen
Gewirre des Tages zu flüchten: aber sic muß dieselben zur-Bollendung der
warmen und markigen Erscheinung, zu der festen Bestimmtheit der Individua-
lität herausbilden, welche den Beschauer anzieht und fesselt und ihm eine
Realität der Kunst vor Augen führt, die ihn für die Abkehr von der wirk¬
lichen Welt vollkommen entschädigt. Das' will der modernen französischen
Kunst nicht gelingen: sie sinkt einerseits zur leeren Geschicklichkeit in der Be¬
handlung der Form herab, andrerseits greift sie zum gemeinen Auskunfts-
mittel einer unreinen sinnlichen Wirkung. So ist die ideale Anschauung In¬
gres' in den Jüngeren immer mehr heruntergekommen und hält im Verfall
mit der monumentalen Kunst ungefähr gleichen Schritt.

Eine tiefere und nachhaltigere Wirkung als die Richtung von In¬
gres sollte, so schien es. der realistische Umschwung haben, den Gericault der
Malerei gegeben. In der Kunst des 19. Jahrhunderts war mit ihm ein
neues Princip aufgetreten, ein Princip, von dem sich ein um so größerer Er¬
folg erwarten ließ, als mit demselben die Malerei, im Einklang mit dem
Bewußtsein des Zeitalters, von der Natur und Geschichte in ihrem ganzen
Umfange und in ihrer mannigfaltigen Bewegtheit Besitz zu nehmen erklärte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/185>, abgerufen am 23.07.2024.