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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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worden wie in Stuttgart. Die Regierung hat für seine Versammlungen den
großen Saal des Königshauses zur Verfügung gestellt. Minister von Linden
lud die Theilnehmer zu einer Extrafahrt nach Reutlingen, der Magistrat zu
einem Festmahle auf der Silberburg; die Stadt bestritt die Ausgaben der
Versammlung; das Museum öffnete ihr seine Räume, die Centralstelle für
Industrie ihr Musterlager, die Centralstelle für Landwirthschaft die Anstalt in
Hohenheim, kurz die Residenz von Schwaben überbot sich in Beweisen herz¬
licher Gastfreundschaft. Das jugendliche Gemüth des ehrwürdigen Vorsitzen¬
den der "ständigen Deputation" machte dem Dankgefühle Luft in einem Hoch¬
rufe auf den König, und wer weiß, ob nicht die Versammlung sich getrennt
hätte, ohne recht zur Besinnung gekommen zu sein, wenn nicht ... doch wir
wollen der Ernüchterung nicht vorgreifen.

Die ständige Deputation hatte eine gewichtige Tagesordnung mitgebracht.
Der verehrte Vorsitzende der Deputation, der treffliche Präsident der Versamm¬
lung und der rastlos thätige Berichterstatter über die Gewerbcgcsetzgebung
unterließen.nicht, hervorzuheben, was Alles die Volkswirtschaft dem Kongresse
bereits zu verdanken habe: Aufhebung der Durchgangsabgaben, Ermäßigung
der Flußzölle, freisinnige Gewerbeordnungen. Seine Bundesgenossen seien die
volkswirthschaftlichen Vereine und der Handelstag, seine Gegner die Feuda-
listen und Socialisten. Die Schwabe" erfuhren, daß sie ihre Liebkosungen
nicht an Unwürdige verschwendeten. Die Verhandlungen nahmen ihren Fort¬
gang, und wir wollen gleich hier die Gegenstände aufzählen, welche durch Be¬
schlüsse, die den Anträgen entsprachen, oder doch nicht wesentlich davon ab¬
wichen, erledigt wurden, nachdem die Versammlung in ihrer ersten Sitzung
am 9. September über das Wesen und die Aufgabe der Volkswirthschaft
einen Redner vernommen hatte, dessen Vorträge als unvermeidlich jeweils an¬
gehört werden müssen. In der nämlichen Sitzung wurde beschlossen: neben
der Gewerbesteiheit die Beibehaltung der Innungen als öffentliche Institution
mit Zwangsbeitritt nicht zu empfehlen. Zwei weitere, beschränkende Anträge
verschwanden mittelst Ueberweisung an die ständige Deputation. Am zweiten
Tage wurde bei den Erörterungen über Bevölkerungsstatistik begutachtet, daß
die Volkszählung gesetzlich geordnet und nach Einer Methode vorgenommen
werden möge. Es ging dabei nicht ganz ohne Widerspruch ab, doch könnte
der in seinem Fache ausgezeichnete Berichterstatter zufrieden sein. Er hatte
in seiner frühern amtlichen Stellung mit endlosen Tabellen die Bürgermeister
furchtbar geplagt, und diese hatten sich durch Ausfüllung der Rubriken mit
fabelhaften Angaben, die dann als Grundlage höchst werthvoller statistischer
Zusammenstellungen dienten, nicht minder furchtbar gerächt. Weniger glück¬
lich war er bei der Berathung über den Realcredit mit der Empfehlung der
Hypotheken-Versicherungs-Gesellschaften, deren erste ihm ihr Dasein verdankt.


worden wie in Stuttgart. Die Regierung hat für seine Versammlungen den
großen Saal des Königshauses zur Verfügung gestellt. Minister von Linden
lud die Theilnehmer zu einer Extrafahrt nach Reutlingen, der Magistrat zu
einem Festmahle auf der Silberburg; die Stadt bestritt die Ausgaben der
Versammlung; das Museum öffnete ihr seine Räume, die Centralstelle für
Industrie ihr Musterlager, die Centralstelle für Landwirthschaft die Anstalt in
Hohenheim, kurz die Residenz von Schwaben überbot sich in Beweisen herz¬
licher Gastfreundschaft. Das jugendliche Gemüth des ehrwürdigen Vorsitzen¬
den der „ständigen Deputation" machte dem Dankgefühle Luft in einem Hoch¬
rufe auf den König, und wer weiß, ob nicht die Versammlung sich getrennt
hätte, ohne recht zur Besinnung gekommen zu sein, wenn nicht ... doch wir
wollen der Ernüchterung nicht vorgreifen.

Die ständige Deputation hatte eine gewichtige Tagesordnung mitgebracht.
Der verehrte Vorsitzende der Deputation, der treffliche Präsident der Versamm¬
lung und der rastlos thätige Berichterstatter über die Gewerbcgcsetzgebung
unterließen.nicht, hervorzuheben, was Alles die Volkswirtschaft dem Kongresse
bereits zu verdanken habe: Aufhebung der Durchgangsabgaben, Ermäßigung
der Flußzölle, freisinnige Gewerbeordnungen. Seine Bundesgenossen seien die
volkswirthschaftlichen Vereine und der Handelstag, seine Gegner die Feuda-
listen und Socialisten. Die Schwabe» erfuhren, daß sie ihre Liebkosungen
nicht an Unwürdige verschwendeten. Die Verhandlungen nahmen ihren Fort¬
gang, und wir wollen gleich hier die Gegenstände aufzählen, welche durch Be¬
schlüsse, die den Anträgen entsprachen, oder doch nicht wesentlich davon ab¬
wichen, erledigt wurden, nachdem die Versammlung in ihrer ersten Sitzung
am 9. September über das Wesen und die Aufgabe der Volkswirthschaft
einen Redner vernommen hatte, dessen Vorträge als unvermeidlich jeweils an¬
gehört werden müssen. In der nämlichen Sitzung wurde beschlossen: neben
der Gewerbesteiheit die Beibehaltung der Innungen als öffentliche Institution
mit Zwangsbeitritt nicht zu empfehlen. Zwei weitere, beschränkende Anträge
verschwanden mittelst Ueberweisung an die ständige Deputation. Am zweiten
Tage wurde bei den Erörterungen über Bevölkerungsstatistik begutachtet, daß
die Volkszählung gesetzlich geordnet und nach Einer Methode vorgenommen
werden möge. Es ging dabei nicht ganz ohne Widerspruch ab, doch könnte
der in seinem Fache ausgezeichnete Berichterstatter zufrieden sein. Er hatte
in seiner frühern amtlichen Stellung mit endlosen Tabellen die Bürgermeister
furchtbar geplagt, und diese hatten sich durch Ausfüllung der Rubriken mit
fabelhaften Angaben, die dann als Grundlage höchst werthvoller statistischer
Zusammenstellungen dienten, nicht minder furchtbar gerächt. Weniger glück¬
lich war er bei der Berathung über den Realcredit mit der Empfehlung der
Hypotheken-Versicherungs-Gesellschaften, deren erste ihm ihr Dasein verdankt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/18>, abgerufen am 23.07.2024.