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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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80 aus 150, 200, 300; der Empfang an den Sitzen der Versammlung wurde
immer freundlicher, ihren Aussprüchen wurde eine immer größere Bedeutung
beigelegt, sowol von den Klassen, deren Interessen vorzugsweise zur Sprache
kamen, wie von Corporationen, Ständemitgliedern und Beamten. Der vor
drei Jahren in Gotha mit einiger Schüchternheit gemachte Versuch darf heute
als gelungen betrachtet werden. Die Männer, welche Zeit und Mühe vor¬
zugsweise der Sache gewidmet hatten, dursten sich sagen, daß ihre Arbeit
nicht vergebens war. Sie singen an, sich zu suhlen und die Theilnehmer an
den Kongressen nannten sich "Deutsche Volkswirthe". Wir müssen gestehen,
daß uns diese Bezeichnung nicht gefällt, aus dem einfachen Grunde, weil sie
nicht richtig ist. Ist etwa das Volk der Gegenstand, an welchem die Mit¬
glieder des Kongresses eine wirthschaftliche Thätigkeit üben? Bewirthschaften
sie das Volk, wie der Landwirth das Land, der Forstwirth den Forst, oder
bewirthen sie das Volk wie der Gastwirth den Gast? Schwerlich werden sich
die Mitglieder des Kongresses zu einem derartigen Berufe bekennen. Sie sind
im Gegentheil, wo sie sich versammeln, willkommene Gäste des Volkes aber
nicht seine Wirthe. Volkswirthschaft treibt das Volk, nicht der Einzelne; es
ist eben die gesammte wirthschaftliche Thätigkeit Aller, nicht das Geschäft eines
Einzelnen oder einer besonderen Klasse. Der Ausdruck "Volkswirth" klingt
zwar hübsch, aber der Geist der deutschen Sprache wird sich nicht den Zwang
anthun lassen, darunter das zu verstehen, was die Erfinder des Wortes etwa
damit ausdrücken wollen: einen Mann, der sich mit der Volkswirthschafts¬
lehre beschäftigt. Das thun die Mitglieder des Kongresses, als Lehrer vom
Fache, als Schriftsteller, als Redner, in den Berathungen der Sectionen oder
als Stimmgeber zu den Beschlüssen. Vermuthlich entstand der Volkswirth
aus einer mißlungenen Uebersetzung des Nationalökonomen. Aber National¬
ökonomie ist die Lehre von dem Volks- und Staatshaushalte und National¬
ökonomen sind die Lehrer dieser Wissenschaft. Wir wollen wünschen, daß sich
diese häusiger als bisher bei den volkswirthschaftlichen Kongressen einfinden
mögen, inzwischen können wir uns nicht entschließen, den Theilnehmern die
Last aufzulegen, Volkswirthe zu sein, wir sehen in ihnen die höchst ehren¬
werthen Mitglieder der volkswirthschaftlichen Kongresse, Männer, die sich red¬
lich bemühen, den Lehren der Volkswirthschaft Eingang in die Einrichtungen
der bürgerlichen Gesellschaft zu verschaffen.

Weil wir aufrichtig wünschen, daß der volkswirthschaftliche Kongreß
wachsen und gedeihen, daß er, auf dem rechten Wege fortschreitend, an Ein-
fluß gewinnen möge, gerade deshalb wünschen wir, daß die Leiter desselben
sich die auf der Stuttgarter Versammlung erhaltene Lehre zur Warnung die¬
nen lassen und zu Herzen nehmen mögen. Der volkswirtschaftliche Kongreß
war noch nirgends mit so viel Artigkeit und Liebenswürdigkeit aufgenommen


80 aus 150, 200, 300; der Empfang an den Sitzen der Versammlung wurde
immer freundlicher, ihren Aussprüchen wurde eine immer größere Bedeutung
beigelegt, sowol von den Klassen, deren Interessen vorzugsweise zur Sprache
kamen, wie von Corporationen, Ständemitgliedern und Beamten. Der vor
drei Jahren in Gotha mit einiger Schüchternheit gemachte Versuch darf heute
als gelungen betrachtet werden. Die Männer, welche Zeit und Mühe vor¬
zugsweise der Sache gewidmet hatten, dursten sich sagen, daß ihre Arbeit
nicht vergebens war. Sie singen an, sich zu suhlen und die Theilnehmer an
den Kongressen nannten sich „Deutsche Volkswirthe". Wir müssen gestehen,
daß uns diese Bezeichnung nicht gefällt, aus dem einfachen Grunde, weil sie
nicht richtig ist. Ist etwa das Volk der Gegenstand, an welchem die Mit¬
glieder des Kongresses eine wirthschaftliche Thätigkeit üben? Bewirthschaften
sie das Volk, wie der Landwirth das Land, der Forstwirth den Forst, oder
bewirthen sie das Volk wie der Gastwirth den Gast? Schwerlich werden sich
die Mitglieder des Kongresses zu einem derartigen Berufe bekennen. Sie sind
im Gegentheil, wo sie sich versammeln, willkommene Gäste des Volkes aber
nicht seine Wirthe. Volkswirthschaft treibt das Volk, nicht der Einzelne; es
ist eben die gesammte wirthschaftliche Thätigkeit Aller, nicht das Geschäft eines
Einzelnen oder einer besonderen Klasse. Der Ausdruck „Volkswirth" klingt
zwar hübsch, aber der Geist der deutschen Sprache wird sich nicht den Zwang
anthun lassen, darunter das zu verstehen, was die Erfinder des Wortes etwa
damit ausdrücken wollen: einen Mann, der sich mit der Volkswirthschafts¬
lehre beschäftigt. Das thun die Mitglieder des Kongresses, als Lehrer vom
Fache, als Schriftsteller, als Redner, in den Berathungen der Sectionen oder
als Stimmgeber zu den Beschlüssen. Vermuthlich entstand der Volkswirth
aus einer mißlungenen Uebersetzung des Nationalökonomen. Aber National¬
ökonomie ist die Lehre von dem Volks- und Staatshaushalte und National¬
ökonomen sind die Lehrer dieser Wissenschaft. Wir wollen wünschen, daß sich
diese häusiger als bisher bei den volkswirthschaftlichen Kongressen einfinden
mögen, inzwischen können wir uns nicht entschließen, den Theilnehmern die
Last aufzulegen, Volkswirthe zu sein, wir sehen in ihnen die höchst ehren¬
werthen Mitglieder der volkswirthschaftlichen Kongresse, Männer, die sich red¬
lich bemühen, den Lehren der Volkswirthschaft Eingang in die Einrichtungen
der bürgerlichen Gesellschaft zu verschaffen.

Weil wir aufrichtig wünschen, daß der volkswirthschaftliche Kongreß
wachsen und gedeihen, daß er, auf dem rechten Wege fortschreitend, an Ein-
fluß gewinnen möge, gerade deshalb wünschen wir, daß die Leiter desselben
sich die auf der Stuttgarter Versammlung erhaltene Lehre zur Warnung die¬
nen lassen und zu Herzen nehmen mögen. Der volkswirtschaftliche Kongreß
war noch nirgends mit so viel Artigkeit und Liebenswürdigkeit aufgenommen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/17>, abgerufen am 23.07.2024.