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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Tarife vorgeschlagen, sondern auch den Untergang der Industrie als Folge
einer Tarifermäßigung oder einer Nichterhöhung des bestehenden Tarifs ge-
weissagt, während glücklicherweise dessenungeachtet die Industrie ihre Anlagen
und ihre Production bedeutend erweitert hat,

Allmälig haben sich die Extreme wenigstens von der Oberfläche zurückge¬
zogen, es zeigt sich, wo öffentlich verhandelt wird, in der Regel aus beiden
Seiten die Neigung, sich zu verständigen, bessere Gewerbcgesetze werden ein¬
geführt oder vorbereitet, und der Kampf zwischen Freihandel und Zollschutz
tritt aus den vagen Allgemeinheiten auf praktischen Boden und dreht sich um
die Vereinfachung des Tarifs und die Höhe bestimmter Sätze. Diese erfreu¬
liche Wahrnehmung glauben wir vorzugsweise in der wachsenden Theilnahme
aller Klassen an volkswirtschaftlichen Fragen und in der Ausbreitung national-
ökonomischer Bildung begründet, und das Verdienst, diese Theilnahme und
Bildung geweckt zu haben und zu fördern, vindiciren wir zum großen Theile
den Gründern und Leitern, wie den Theilnehmern des volkswirtschaftlichen
Congresses.

Im Jahre 1858 hatten sich zum ersten Male auf die Einladung weniger
Männer einige achtzig Theilnehmer in Gotha eingefunden, um zu versuchen,
durch periodisch wiederkehrende Versammlungen, durch ihre öffentlichen Ver¬
handlungen und deren Verbreitung im Drucke, auf die Entscheidung wichtiger
volkswirtschaftlicher Fragen einen heilsamen Einfluß zu üben. Die Aus¬
übung des Rechtes, sich zu erlaubten Zwecken zu versammeln war damals
nicht überall in Deutschland gesichert; man hatte Gotha gewählt, weil man
dort wenigstens darauf rechnen durfte, von der Polizei nicht gestört zu wer¬
den. Die Versammlung gab sich ein Statut und darin die Einrichtung einer
ständigen Deputation. Sollte der Versuch die Möglichkeit einer Zukunft ha¬
ben, so mußte ein Kollegium bestellt werden, welches für die Ausführung der
Beschlüsse sorgte und die Tagesordnung sür die nächste Versammlung vorbe¬
reitete. Man vermied dabei ängstlich Alles, was einem Vereine ähnlich sah,
daher auch das Wort, "Ausschuß". Ein Verein unterlag Gesetzen, in deren
Anwendung auch der unschuldigste bei einigem guten Willen verboten werden
konnte. Wir erwähnen dieser kleinen Nebenumstände nur als eines Beispiels
unter vielen, welche zeigen, daß seit drei Jahren das öffentliche Leben in
Deutschland Fortschritte gemacht hat. Im Jahre 1859 tagte der Congreß in
Frankfurt, 1860 in Köln und gegen die Mitte September dieses Jahres in
Stuttgart. Gewerbe-Verfassungen, Genossenschaften, Zölle bildeten die Haupt-
gegenstände der Verhandlungen, welche gediegene Arbeiten und Vorträge zu
Tage förderten; die Beschlüsse waren im Einklange mit der Lehre der Volks¬
wirthschaft, ohne die Rücksicht auf die gegebenen Verhältnisse aus dem Auge
zu lassen. Es ging dem Kongresse gut. Die Zahl der Theilnehmer stieg von


Tarife vorgeschlagen, sondern auch den Untergang der Industrie als Folge
einer Tarifermäßigung oder einer Nichterhöhung des bestehenden Tarifs ge-
weissagt, während glücklicherweise dessenungeachtet die Industrie ihre Anlagen
und ihre Production bedeutend erweitert hat,

Allmälig haben sich die Extreme wenigstens von der Oberfläche zurückge¬
zogen, es zeigt sich, wo öffentlich verhandelt wird, in der Regel aus beiden
Seiten die Neigung, sich zu verständigen, bessere Gewerbcgesetze werden ein¬
geführt oder vorbereitet, und der Kampf zwischen Freihandel und Zollschutz
tritt aus den vagen Allgemeinheiten auf praktischen Boden und dreht sich um
die Vereinfachung des Tarifs und die Höhe bestimmter Sätze. Diese erfreu¬
liche Wahrnehmung glauben wir vorzugsweise in der wachsenden Theilnahme
aller Klassen an volkswirtschaftlichen Fragen und in der Ausbreitung national-
ökonomischer Bildung begründet, und das Verdienst, diese Theilnahme und
Bildung geweckt zu haben und zu fördern, vindiciren wir zum großen Theile
den Gründern und Leitern, wie den Theilnehmern des volkswirtschaftlichen
Congresses.

Im Jahre 1858 hatten sich zum ersten Male auf die Einladung weniger
Männer einige achtzig Theilnehmer in Gotha eingefunden, um zu versuchen,
durch periodisch wiederkehrende Versammlungen, durch ihre öffentlichen Ver¬
handlungen und deren Verbreitung im Drucke, auf die Entscheidung wichtiger
volkswirtschaftlicher Fragen einen heilsamen Einfluß zu üben. Die Aus¬
übung des Rechtes, sich zu erlaubten Zwecken zu versammeln war damals
nicht überall in Deutschland gesichert; man hatte Gotha gewählt, weil man
dort wenigstens darauf rechnen durfte, von der Polizei nicht gestört zu wer¬
den. Die Versammlung gab sich ein Statut und darin die Einrichtung einer
ständigen Deputation. Sollte der Versuch die Möglichkeit einer Zukunft ha¬
ben, so mußte ein Kollegium bestellt werden, welches für die Ausführung der
Beschlüsse sorgte und die Tagesordnung sür die nächste Versammlung vorbe¬
reitete. Man vermied dabei ängstlich Alles, was einem Vereine ähnlich sah,
daher auch das Wort, „Ausschuß". Ein Verein unterlag Gesetzen, in deren
Anwendung auch der unschuldigste bei einigem guten Willen verboten werden
konnte. Wir erwähnen dieser kleinen Nebenumstände nur als eines Beispiels
unter vielen, welche zeigen, daß seit drei Jahren das öffentliche Leben in
Deutschland Fortschritte gemacht hat. Im Jahre 1859 tagte der Congreß in
Frankfurt, 1860 in Köln und gegen die Mitte September dieses Jahres in
Stuttgart. Gewerbe-Verfassungen, Genossenschaften, Zölle bildeten die Haupt-
gegenstände der Verhandlungen, welche gediegene Arbeiten und Vorträge zu
Tage förderten; die Beschlüsse waren im Einklange mit der Lehre der Volks¬
wirthschaft, ohne die Rücksicht auf die gegebenen Verhältnisse aus dem Auge
zu lassen. Es ging dem Kongresse gut. Die Zahl der Theilnehmer stieg von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/16>, abgerufen am 23.07.2024.