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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Polen. August der Starke, mit ausgestreckter Hand ihm nur eben noch an die
Nase reichte. Ein Deutscher. Namens Müller aus Weißenfels, der sich im
Jahre 1713 zu Se. Germain als Riese für Geld sehen ließ, wurde einige
Jahre später in der Leibgarde wiedergesehen, wo er doch erst der fünfte Mann
vom rechten Flügel war. Aus dem einen Beispiel des James Kirckland geht
schon hervor, mit was für unerhörten Summen der König seine Liebhaberei
erkaufen mußte; und nicht nur das Engagement dieser Riesen, für dessen Be¬
streitung in den Jahren von 1713 bis 1735 zwölf Millionen Thaler ins Aus¬
land gegangen sein sollen, sondern auch die Unterhaltung derselben, kostete
wahrhaft Unglaubliches: denn jeder Grenadier erhielt das als Löhnung, was
er sich bei der Anwerbung contractlich ausbedungen, und dies betrug bei
Einigen täglich mehrere Thaler, der vielen anderweitigen Benesicien nicht zu
gedenken, die der König seinen Lieblingen sonst noch zufließen ließ. Zu letz¬
teren gehörte die Erlaubniß, neben ihrem Dienste alle möglichen Gewerbe zu
treiben. schaut- und Gastwirthschaften zu errichten, Bier- und Weinsäufer,
Material- und Jtaliener-Wanrenlüden anzulegen. Es wurde ihnen serner ge¬
stattet, Bittschriften und Gesuche anzufertigen und unmittelbar an den König
einzureichen, eine Dienstleistung, die sie sich natürlich durch die Bittsteller ge¬
hörig in klingender Münze bezahlen ließen. Viele von ihnen erhielten von
ihrem königlichen Chef Grundstücke, Gärten, Häuser zum Geschenk, anderen
wurden Hebestellen und selbst Kanonikate verliehen; kurz es geschah alles
Mögliche, um ihnen ihre Existenz erträglich zu machen und die Neigung zum
Desertiren zu unterdrücken. Geschah es aber dennoch, so wurde der Deserteur
als ein Dieb angesehen, der den Staat um das Handgeld bestohlen, und ohne
Gnade gehängt. Ueberhaupt wurde trotz der Kostbarkeit des Materials bei
todeswürdigen Bergeheu ohne Rücksicht verfahren, und das längste Zollmaß
konnte den Verbrecher nicht vor dem Strange retten. Freilich war bei den
bunt zusammengewürfelten Elementen die eisernste Strenge durchaus unerlä߬
lich, ohne welche täglich die tollsten Excesse vorgefallen wären. Ereignete es
sich doch im Jahre 1730, daß das Complott, Potsdam an allen vier Ecken
anzuzünden und mit gewaffneter Hand auszubrechen, gerade noch nothdürftig
verhindert werden konnte, und daß bei einer ähnlichen Veranlassung der König
in seiner persönlichen Sicherheit sich genöthigt sah, sechs Husaren mit geladenem
Karabiner Wache halten zu lassen.

Nicht genug, daß die Werbungen, der Unterhalt der Werbeofsiziere, die
häufig, um ihr Wesen ungestörter treiben zu können, verkleidet unter falschem
Namen und mit großem Aufwande ,in Auslande lebten, die weiten Trans¬
porte -- denn es befanden sich Unterthanen aus aller Herren Ländern, Russen


Polen. August der Starke, mit ausgestreckter Hand ihm nur eben noch an die
Nase reichte. Ein Deutscher. Namens Müller aus Weißenfels, der sich im
Jahre 1713 zu Se. Germain als Riese für Geld sehen ließ, wurde einige
Jahre später in der Leibgarde wiedergesehen, wo er doch erst der fünfte Mann
vom rechten Flügel war. Aus dem einen Beispiel des James Kirckland geht
schon hervor, mit was für unerhörten Summen der König seine Liebhaberei
erkaufen mußte; und nicht nur das Engagement dieser Riesen, für dessen Be¬
streitung in den Jahren von 1713 bis 1735 zwölf Millionen Thaler ins Aus¬
land gegangen sein sollen, sondern auch die Unterhaltung derselben, kostete
wahrhaft Unglaubliches: denn jeder Grenadier erhielt das als Löhnung, was
er sich bei der Anwerbung contractlich ausbedungen, und dies betrug bei
Einigen täglich mehrere Thaler, der vielen anderweitigen Benesicien nicht zu
gedenken, die der König seinen Lieblingen sonst noch zufließen ließ. Zu letz¬
teren gehörte die Erlaubniß, neben ihrem Dienste alle möglichen Gewerbe zu
treiben. schaut- und Gastwirthschaften zu errichten, Bier- und Weinsäufer,
Material- und Jtaliener-Wanrenlüden anzulegen. Es wurde ihnen serner ge¬
stattet, Bittschriften und Gesuche anzufertigen und unmittelbar an den König
einzureichen, eine Dienstleistung, die sie sich natürlich durch die Bittsteller ge¬
hörig in klingender Münze bezahlen ließen. Viele von ihnen erhielten von
ihrem königlichen Chef Grundstücke, Gärten, Häuser zum Geschenk, anderen
wurden Hebestellen und selbst Kanonikate verliehen; kurz es geschah alles
Mögliche, um ihnen ihre Existenz erträglich zu machen und die Neigung zum
Desertiren zu unterdrücken. Geschah es aber dennoch, so wurde der Deserteur
als ein Dieb angesehen, der den Staat um das Handgeld bestohlen, und ohne
Gnade gehängt. Ueberhaupt wurde trotz der Kostbarkeit des Materials bei
todeswürdigen Bergeheu ohne Rücksicht verfahren, und das längste Zollmaß
konnte den Verbrecher nicht vor dem Strange retten. Freilich war bei den
bunt zusammengewürfelten Elementen die eisernste Strenge durchaus unerlä߬
lich, ohne welche täglich die tollsten Excesse vorgefallen wären. Ereignete es
sich doch im Jahre 1730, daß das Complott, Potsdam an allen vier Ecken
anzuzünden und mit gewaffneter Hand auszubrechen, gerade noch nothdürftig
verhindert werden konnte, und daß bei einer ähnlichen Veranlassung der König
in seiner persönlichen Sicherheit sich genöthigt sah, sechs Husaren mit geladenem
Karabiner Wache halten zu lassen.

Nicht genug, daß die Werbungen, der Unterhalt der Werbeofsiziere, die
häufig, um ihr Wesen ungestörter treiben zu können, verkleidet unter falschem
Namen und mit großem Aufwande ,in Auslande lebten, die weiten Trans¬
porte — denn es befanden sich Unterthanen aus aller Herren Ländern, Russen


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[0127] Polen. August der Starke, mit ausgestreckter Hand ihm nur eben noch an die Nase reichte. Ein Deutscher. Namens Müller aus Weißenfels, der sich im Jahre 1713 zu Se. Germain als Riese für Geld sehen ließ, wurde einige Jahre später in der Leibgarde wiedergesehen, wo er doch erst der fünfte Mann vom rechten Flügel war. Aus dem einen Beispiel des James Kirckland geht schon hervor, mit was für unerhörten Summen der König seine Liebhaberei erkaufen mußte; und nicht nur das Engagement dieser Riesen, für dessen Be¬ streitung in den Jahren von 1713 bis 1735 zwölf Millionen Thaler ins Aus¬ land gegangen sein sollen, sondern auch die Unterhaltung derselben, kostete wahrhaft Unglaubliches: denn jeder Grenadier erhielt das als Löhnung, was er sich bei der Anwerbung contractlich ausbedungen, und dies betrug bei Einigen täglich mehrere Thaler, der vielen anderweitigen Benesicien nicht zu gedenken, die der König seinen Lieblingen sonst noch zufließen ließ. Zu letz¬ teren gehörte die Erlaubniß, neben ihrem Dienste alle möglichen Gewerbe zu treiben. schaut- und Gastwirthschaften zu errichten, Bier- und Weinsäufer, Material- und Jtaliener-Wanrenlüden anzulegen. Es wurde ihnen serner ge¬ stattet, Bittschriften und Gesuche anzufertigen und unmittelbar an den König einzureichen, eine Dienstleistung, die sie sich natürlich durch die Bittsteller ge¬ hörig in klingender Münze bezahlen ließen. Viele von ihnen erhielten von ihrem königlichen Chef Grundstücke, Gärten, Häuser zum Geschenk, anderen wurden Hebestellen und selbst Kanonikate verliehen; kurz es geschah alles Mögliche, um ihnen ihre Existenz erträglich zu machen und die Neigung zum Desertiren zu unterdrücken. Geschah es aber dennoch, so wurde der Deserteur als ein Dieb angesehen, der den Staat um das Handgeld bestohlen, und ohne Gnade gehängt. Ueberhaupt wurde trotz der Kostbarkeit des Materials bei todeswürdigen Bergeheu ohne Rücksicht verfahren, und das längste Zollmaß konnte den Verbrecher nicht vor dem Strange retten. Freilich war bei den bunt zusammengewürfelten Elementen die eisernste Strenge durchaus unerlä߬ lich, ohne welche täglich die tollsten Excesse vorgefallen wären. Ereignete es sich doch im Jahre 1730, daß das Complott, Potsdam an allen vier Ecken anzuzünden und mit gewaffneter Hand auszubrechen, gerade noch nothdürftig verhindert werden konnte, und daß bei einer ähnlichen Veranlassung der König in seiner persönlichen Sicherheit sich genöthigt sah, sechs Husaren mit geladenem Karabiner Wache halten zu lassen. Nicht genug, daß die Werbungen, der Unterhalt der Werbeofsiziere, die häufig, um ihr Wesen ungestörter treiben zu können, verkleidet unter falschem Namen und mit großem Aufwande ,in Auslande lebten, die weiten Trans¬ porte — denn es befanden sich Unterthanen aus aller Herren Ländern, Russen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/127>, abgerufen am 27.12.2024.