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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Durch Schmähen macht man nicht Propaganda, und jene Korrespondenten
der Augsb. Mg. Zeitung haben sich nicht bloß an der ungarischen, sondern
auch an der deutscheu Nation versündigt, denn auch diese wurde durch solche
Sprache herabgewürdigt.

Der Deutschenhah hat demnach seinen historischen Grund, und wenn
einzelne Volkshaufen Personen und Principien verwechseln. Einige für Alle
nehmen u. s. w. so darf man dies mit der allgemeinen Leidenschaft der Ge¬
genwart entschuldigen. Nicht'zu entschuldigen freilich ist es. wenn anch un¬
garische Lehrer diesen Haß predigen und ihre Schüler soweit fauatisiren. da"
sie selbst ihre eigenen "schwäbischen" Eltern verwünschen.

Der Deutschenhaß ist aber nicht bloß Folge des altöstreichijchcn Negic-
rungssystems. als welche er ein Zeugniß für ein gesundes Rechtsgefühl ist.
Er hat auch noch andere weniger ehrenwerthe Gründe.

Ungarn stand früher im Ruf beispielloser Billigkeit, jetzt sind nicht nur
Manufacturwaaren. sondern auch Lebensmittel beispiellos themr. Denn früher
hemmten hohe Grenzzölle die Ausfuhr, so daß man die Landesproducte selbst
verzehrte. Handwerker und Tagelöhner genossen Mittags und Abends drei
bis vier Speisen und tranken dazu ihren Wein. Das kostete kaum einige
Groschen. Jetzt stehen die Preise vier- bis achtmal höher, und da man die
frühere Lebensweise fortsetzt, die Mehrausgabe nicht durch vermehrte Arbeit
deckt, so ist überall Nothstand in dem reichen Lande eingetreten. Die
Städte haben ihre Straßen pflastern müssen. Eisenbahnen sind angelegt.
Ungarn hat an den Staatsschulden Theil nehmen müssen, hat an den Kos-
suthnoten Millionen verloren und leidet wie die andern Provinzen uuter
dem Sinken der Valuta. Die Oeffnung der Grenze und die bessern Ver¬
kehrsmittel führen eine Masse von Producten aus dem Lande, und da so
im Innern das Angebot verringert ist. steigen bei gleicher Nachfrage na¬
türlich die Preise. Auch dafür macht der Unverstand die Regierung verant¬
wortlich. Man klagt über Verarmung, hat aber die Mittel zu der sehr theuern
Nationaltracht, die Hunderte kostet, der Adel wirft dem Zigeuner eine Fünfzig¬
er Hundert-Gulden Banknote hin. wenn er den Rackoczy spielt, für den
Akadcmicpalast sammelt man Millionen, und der Bauer kommt mit dem Wa¬
gen, mit Knecht und Frau in die Stadt, um ein paar Hühnchen zu MaMc
M bringen. Er berechnet nicht, daß drei Personen und zwei Pferde einen
halben oder ganzen Tag nicht arbeiten, daß er im Wirthshause deu Gewinn
seines Verkaufs verzehrt, und sckreit dann über schlechte Regierung, wo er seine
schlechte Wirthschaft tadeln sollte. Noch hangt er an der Dreifelderwirthschaft,
drischt seine Getreide auf dein Felde aus. achtet wenig auf Düngung der
Felder, auf Stallfütterung, so daß Butter und Käse zu den theuern, seltenen
Lebensmitteln gehören. Hühner und Gänse bringt er mager zu Markte; denn


Durch Schmähen macht man nicht Propaganda, und jene Korrespondenten
der Augsb. Mg. Zeitung haben sich nicht bloß an der ungarischen, sondern
auch an der deutscheu Nation versündigt, denn auch diese wurde durch solche
Sprache herabgewürdigt.

Der Deutschenhah hat demnach seinen historischen Grund, und wenn
einzelne Volkshaufen Personen und Principien verwechseln. Einige für Alle
nehmen u. s. w. so darf man dies mit der allgemeinen Leidenschaft der Ge¬
genwart entschuldigen. Nicht'zu entschuldigen freilich ist es. wenn anch un¬
garische Lehrer diesen Haß predigen und ihre Schüler soweit fauatisiren. da»
sie selbst ihre eigenen „schwäbischen" Eltern verwünschen.

Der Deutschenhaß ist aber nicht bloß Folge des altöstreichijchcn Negic-
rungssystems. als welche er ein Zeugniß für ein gesundes Rechtsgefühl ist.
Er hat auch noch andere weniger ehrenwerthe Gründe.

Ungarn stand früher im Ruf beispielloser Billigkeit, jetzt sind nicht nur
Manufacturwaaren. sondern auch Lebensmittel beispiellos themr. Denn früher
hemmten hohe Grenzzölle die Ausfuhr, so daß man die Landesproducte selbst
verzehrte. Handwerker und Tagelöhner genossen Mittags und Abends drei
bis vier Speisen und tranken dazu ihren Wein. Das kostete kaum einige
Groschen. Jetzt stehen die Preise vier- bis achtmal höher, und da man die
frühere Lebensweise fortsetzt, die Mehrausgabe nicht durch vermehrte Arbeit
deckt, so ist überall Nothstand in dem reichen Lande eingetreten. Die
Städte haben ihre Straßen pflastern müssen. Eisenbahnen sind angelegt.
Ungarn hat an den Staatsschulden Theil nehmen müssen, hat an den Kos-
suthnoten Millionen verloren und leidet wie die andern Provinzen uuter
dem Sinken der Valuta. Die Oeffnung der Grenze und die bessern Ver¬
kehrsmittel führen eine Masse von Producten aus dem Lande, und da so
im Innern das Angebot verringert ist. steigen bei gleicher Nachfrage na¬
türlich die Preise. Auch dafür macht der Unverstand die Regierung verant¬
wortlich. Man klagt über Verarmung, hat aber die Mittel zu der sehr theuern
Nationaltracht, die Hunderte kostet, der Adel wirft dem Zigeuner eine Fünfzig¬
er Hundert-Gulden Banknote hin. wenn er den Rackoczy spielt, für den
Akadcmicpalast sammelt man Millionen, und der Bauer kommt mit dem Wa¬
gen, mit Knecht und Frau in die Stadt, um ein paar Hühnchen zu MaMc
M bringen. Er berechnet nicht, daß drei Personen und zwei Pferde einen
halben oder ganzen Tag nicht arbeiten, daß er im Wirthshause deu Gewinn
seines Verkaufs verzehrt, und sckreit dann über schlechte Regierung, wo er seine
schlechte Wirthschaft tadeln sollte. Noch hangt er an der Dreifelderwirthschaft,
drischt seine Getreide auf dein Felde aus. achtet wenig auf Düngung der
Felder, auf Stallfütterung, so daß Butter und Käse zu den theuern, seltenen
Lebensmitteln gehören. Hühner und Gänse bringt er mager zu Markte; denn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/69>, abgerufen am 03.07.2024.