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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Wörter wie Haus. Bürger. Meister. Geldsorten, Früchte u. a. sind mit ge¬
ringen Veränderungen aus dem Deutschen aufgenommen (nu2, xol^i-, achter,
taMr, Mras (Groschen), xons (Münze), xint. (Maß), tueükt (Dutzend), an¬
dere aber sind Übersetzungen und Umschreibungen, wie fast alle Bezeichnungen
wissenschaftlicher Begriffe.

Wenn sich also die Einwirkung deutscher Bildungselemente bis in die
Zeiten des heiligen Stephan hinauf nachweisen läßt, so muß der Deutschen¬
haß, der sich in neuester Zeit auf so widerwärtige Weise geltend gemacht hat.
dem unbegreiflich erscheinen, der die, Bedeutung desselben nicht kennt. Bis
in die neueste Zeit war in Ungarn Latein die allgemeine, die offizielle Sprache,
welche jeder Schuster und Schneider lernte und verstand. Der Adel sprach
deutsch oder französisch. Seit Joseph II. aber, welcher das Deutsche an die
Stelle des Lateinischen setzte, trat eine lebhafte Opposition auf. und man
begann allen Ernstes an die Gründung einer eigenen Literatur zu denken.
So lange das neutrale Latein gesprochen wurde, klagte man nicht über
Unterdrückung der Nationalität, als aber der eine Volksstamm seine Sprache
zur officiellen erheben wollte, protestirte man gegen das Germanisiren. Im
Jahre 1843 endlich ward das Ungarische die officielle Sprache, wozu es auch
jetzt wieder erhoben ist. und nun Protestiren Slovaken, Rumänen, Serben,
Kroaten und Sachsen gegen die Unterdrückung ihrer Nationalität und wollen
in ihrem Gebiete ihre unausgevildete, lüeraturarme Sprache zur Gerichts-,
Unterrichts- und Parlamentssprache machen.

Wenn man ferner gegen die Deutschen jchimpft. wenn selbst viele Deutsche
nur mit Spott und Hohn von Deutschland sprechen, wenn man in öffentlichen
Localen den "deutschen Hunden" rauschende Pereats bringt, so meint man
nicht die deutsch redenden Individuen, sondern das von den deutschen Pro¬
vinzen Oesterreichs her eingeführte, dort leider entstandene und bis auf die
neueste Zeit geduldete System des Absolutismus und des Polizeiregimentes.
Man war constitutionelle Regierung gewohnt, zahlte sehr wenig Abgaben, hatte
viel Freiheit und bekam nur mitunter Stockschläge vom gestrengen Herrn Stuhl¬
richter. Da sandte Oesterreich seine ungeschickten, herrschsüchtigen, häusig fogar
bestechlichen Beamten, steigerte die Steuer von 4 Millionen Gulden auf 75 Mil¬
lionen, führte Monopole, Verbote und allerlei Plackerei der Steuerämter ein, und
die Folge war ein gründlicher Haß gegen dieses System und seine Anhänger. Da
die Beamten, besonders die Lehrer, dasselbe eifrig vertheidigten, in den "gut-
gesinnten" deutschen Zeitungen unermüdlich auf die faulen, schmutzigen, rohen
Ungarn schimpften, wenn man sich sogar in den Lehrstunden in grober verle¬
tzender Weise über die Nation oder einzelne angesehene Männer und Institute
erging, so wird man es "im Reich" gerade nicht verwunderlich finden, daß
Ungarn solche Männer nach Hause schickte, sobald es die Macht dazu hatte.


Wörter wie Haus. Bürger. Meister. Geldsorten, Früchte u. a. sind mit ge¬
ringen Veränderungen aus dem Deutschen aufgenommen (nu2, xol^i-, achter,
taMr, Mras (Groschen), xons (Münze), xint. (Maß), tueükt (Dutzend), an¬
dere aber sind Übersetzungen und Umschreibungen, wie fast alle Bezeichnungen
wissenschaftlicher Begriffe.

Wenn sich also die Einwirkung deutscher Bildungselemente bis in die
Zeiten des heiligen Stephan hinauf nachweisen läßt, so muß der Deutschen¬
haß, der sich in neuester Zeit auf so widerwärtige Weise geltend gemacht hat.
dem unbegreiflich erscheinen, der die, Bedeutung desselben nicht kennt. Bis
in die neueste Zeit war in Ungarn Latein die allgemeine, die offizielle Sprache,
welche jeder Schuster und Schneider lernte und verstand. Der Adel sprach
deutsch oder französisch. Seit Joseph II. aber, welcher das Deutsche an die
Stelle des Lateinischen setzte, trat eine lebhafte Opposition auf. und man
begann allen Ernstes an die Gründung einer eigenen Literatur zu denken.
So lange das neutrale Latein gesprochen wurde, klagte man nicht über
Unterdrückung der Nationalität, als aber der eine Volksstamm seine Sprache
zur officiellen erheben wollte, protestirte man gegen das Germanisiren. Im
Jahre 1843 endlich ward das Ungarische die officielle Sprache, wozu es auch
jetzt wieder erhoben ist. und nun Protestiren Slovaken, Rumänen, Serben,
Kroaten und Sachsen gegen die Unterdrückung ihrer Nationalität und wollen
in ihrem Gebiete ihre unausgevildete, lüeraturarme Sprache zur Gerichts-,
Unterrichts- und Parlamentssprache machen.

Wenn man ferner gegen die Deutschen jchimpft. wenn selbst viele Deutsche
nur mit Spott und Hohn von Deutschland sprechen, wenn man in öffentlichen
Localen den „deutschen Hunden" rauschende Pereats bringt, so meint man
nicht die deutsch redenden Individuen, sondern das von den deutschen Pro¬
vinzen Oesterreichs her eingeführte, dort leider entstandene und bis auf die
neueste Zeit geduldete System des Absolutismus und des Polizeiregimentes.
Man war constitutionelle Regierung gewohnt, zahlte sehr wenig Abgaben, hatte
viel Freiheit und bekam nur mitunter Stockschläge vom gestrengen Herrn Stuhl¬
richter. Da sandte Oesterreich seine ungeschickten, herrschsüchtigen, häusig fogar
bestechlichen Beamten, steigerte die Steuer von 4 Millionen Gulden auf 75 Mil¬
lionen, führte Monopole, Verbote und allerlei Plackerei der Steuerämter ein, und
die Folge war ein gründlicher Haß gegen dieses System und seine Anhänger. Da
die Beamten, besonders die Lehrer, dasselbe eifrig vertheidigten, in den „gut-
gesinnten" deutschen Zeitungen unermüdlich auf die faulen, schmutzigen, rohen
Ungarn schimpften, wenn man sich sogar in den Lehrstunden in grober verle¬
tzender Weise über die Nation oder einzelne angesehene Männer und Institute
erging, so wird man es „im Reich" gerade nicht verwunderlich finden, daß
Ungarn solche Männer nach Hause schickte, sobald es die Macht dazu hatte.


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[0068] Wörter wie Haus. Bürger. Meister. Geldsorten, Früchte u. a. sind mit ge¬ ringen Veränderungen aus dem Deutschen aufgenommen (nu2, xol^i-, achter, taMr, Mras (Groschen), xons (Münze), xint. (Maß), tueükt (Dutzend), an¬ dere aber sind Übersetzungen und Umschreibungen, wie fast alle Bezeichnungen wissenschaftlicher Begriffe. Wenn sich also die Einwirkung deutscher Bildungselemente bis in die Zeiten des heiligen Stephan hinauf nachweisen läßt, so muß der Deutschen¬ haß, der sich in neuester Zeit auf so widerwärtige Weise geltend gemacht hat. dem unbegreiflich erscheinen, der die, Bedeutung desselben nicht kennt. Bis in die neueste Zeit war in Ungarn Latein die allgemeine, die offizielle Sprache, welche jeder Schuster und Schneider lernte und verstand. Der Adel sprach deutsch oder französisch. Seit Joseph II. aber, welcher das Deutsche an die Stelle des Lateinischen setzte, trat eine lebhafte Opposition auf. und man begann allen Ernstes an die Gründung einer eigenen Literatur zu denken. So lange das neutrale Latein gesprochen wurde, klagte man nicht über Unterdrückung der Nationalität, als aber der eine Volksstamm seine Sprache zur officiellen erheben wollte, protestirte man gegen das Germanisiren. Im Jahre 1843 endlich ward das Ungarische die officielle Sprache, wozu es auch jetzt wieder erhoben ist. und nun Protestiren Slovaken, Rumänen, Serben, Kroaten und Sachsen gegen die Unterdrückung ihrer Nationalität und wollen in ihrem Gebiete ihre unausgevildete, lüeraturarme Sprache zur Gerichts-, Unterrichts- und Parlamentssprache machen. Wenn man ferner gegen die Deutschen jchimpft. wenn selbst viele Deutsche nur mit Spott und Hohn von Deutschland sprechen, wenn man in öffentlichen Localen den „deutschen Hunden" rauschende Pereats bringt, so meint man nicht die deutsch redenden Individuen, sondern das von den deutschen Pro¬ vinzen Oesterreichs her eingeführte, dort leider entstandene und bis auf die neueste Zeit geduldete System des Absolutismus und des Polizeiregimentes. Man war constitutionelle Regierung gewohnt, zahlte sehr wenig Abgaben, hatte viel Freiheit und bekam nur mitunter Stockschläge vom gestrengen Herrn Stuhl¬ richter. Da sandte Oesterreich seine ungeschickten, herrschsüchtigen, häusig fogar bestechlichen Beamten, steigerte die Steuer von 4 Millionen Gulden auf 75 Mil¬ lionen, führte Monopole, Verbote und allerlei Plackerei der Steuerämter ein, und die Folge war ein gründlicher Haß gegen dieses System und seine Anhänger. Da die Beamten, besonders die Lehrer, dasselbe eifrig vertheidigten, in den „gut- gesinnten" deutschen Zeitungen unermüdlich auf die faulen, schmutzigen, rohen Ungarn schimpften, wenn man sich sogar in den Lehrstunden in grober verle¬ tzender Weise über die Nation oder einzelne angesehene Männer und Institute erging, so wird man es „im Reich" gerade nicht verwunderlich finden, daß Ungarn solche Männer nach Hause schickte, sobald es die Macht dazu hatte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/68>, abgerufen am 01.07.2024.