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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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die Mühe des Fütterns überläßt er dein Käufer. Einen Obstgarten hat er nicht,
Schafzucht treibt er nachlässig, seinen Mais füttert er den Schweinen, den
Wein keltert er schlecht, und so ist er nicht im Stande die durch die Ausfuhr
abfließende Masse van Landeserzeugnissen zu ersetzen. Nur der deutsche Bauer
macht hiervon eine Ausnahme; denn er ist fleißig, sparsam, reinlich, hält
Acker und Vieh gut und wird dabei in kurzer Zeit reich. Dafür haßt der
Ungar aber auch den "Schwaben" als einen Menschen, der Hexerei treibt.
Wo sich landwirtschaftliche Industrie findet, ist sie gewöhnlich in den Händen
der Jsraeliten, welche wo möglich noch mehr verabscheut werden, als die
Deutschen. Der größte Theil der Bauern ist durch Nachlässigkeit tief verschul¬
det, hat seine Ernte schon im Boraus an den Juden verkauft und schimpft
über dessen Wucher, wenn der dabei zu Vermögen kommt. Er sollte sich das
anders erklären. Die Volksschulen sind sehr schlecht und noch schlechter besucht,
der Jude aber, und sei er noch so arm. darbt, damit seine Kinder etwas
lernen. Real- und Handelsschüler. Gymnasien und Privatschulen haben vor¬
herrschend jüdisches Publicum, und so besteht der intelligente Theil des Mit¬
telstandes in Ungarn fast ausnahmslos aus Juden und Deutschen. In
dieser Beziehung hat der Deutschen- und Judenhaß denselben Unverstand zur
Ursache, wie der Haß, mit welchem Fabrikarbeiter die Maschinen und Fabriken
betrachten. Wer hier im Lande eine Maschine, ein Haus bauen, eine Schule
gründen, im Geschäft geschickte Arbeiter haben, eine Grube anlegen will, muß
sich deutsche Intelligenz herbeischaffen. Alle Fabriken, alle industriellen An¬
stalten, Buchhandlungen. Buchdruckereien, große Geschäfte gehören Deutschen
oder Juden. Sie bringen Geld in's Land und dafür haßt man sie.

Mit dem Adel stellt sich die Sache wieder anders. Dieser hatte, wie in
Polen und Rußland, viele Vorrechte, besaß die höheren Stellen und bildete
im Lande die Regierung. Der Bauer trug alle Lasten und ernährte den Adel,
welcher durch seinen Stuhlricktcr Justiz ausübte, mehr nach Belieben als nach
Gesetzen, denn er war autonom und unfehlbar; er saß in den Kammern, gab
Gesetze, führte die Soldaten an. Der Bürger war ohne Bedeutung, der Bauer
hörig. Da führte Oestreich ein strenges Beamtenthum ein. verlangte von den
Beamten ein gewisses Maaß von Kenntnissen, Gehorsam und Pünktlichkeit.
Der Adel zog sich zurück, verlor seine politische Stellung und ward dem neuen
System ebenso abhold, wie die preußischen Junker der Bureaukratie.

Zu den Unzufriedenen gesellten sich dann auch der zahlreiche Advocaten-
stand und die Industriellen. Jener hatte sich früher beliebig Taxen und
Sporteln zuerkannt und in dem ungarischen Recht überall Gelegenheit gefun¬
den, Processe in iuüniwm, d. h. auf 2 -- 3 Menschenalter zu verschleppen.
Das östreichische Gesetz schrieb die Taxen und den Proceßgang vor, gab 'ein
treffliches Wechselrecht, eine praktische Hypothekenordnung und hing mit alle-


die Mühe des Fütterns überläßt er dein Käufer. Einen Obstgarten hat er nicht,
Schafzucht treibt er nachlässig, seinen Mais füttert er den Schweinen, den
Wein keltert er schlecht, und so ist er nicht im Stande die durch die Ausfuhr
abfließende Masse van Landeserzeugnissen zu ersetzen. Nur der deutsche Bauer
macht hiervon eine Ausnahme; denn er ist fleißig, sparsam, reinlich, hält
Acker und Vieh gut und wird dabei in kurzer Zeit reich. Dafür haßt der
Ungar aber auch den „Schwaben" als einen Menschen, der Hexerei treibt.
Wo sich landwirtschaftliche Industrie findet, ist sie gewöhnlich in den Händen
der Jsraeliten, welche wo möglich noch mehr verabscheut werden, als die
Deutschen. Der größte Theil der Bauern ist durch Nachlässigkeit tief verschul¬
det, hat seine Ernte schon im Boraus an den Juden verkauft und schimpft
über dessen Wucher, wenn der dabei zu Vermögen kommt. Er sollte sich das
anders erklären. Die Volksschulen sind sehr schlecht und noch schlechter besucht,
der Jude aber, und sei er noch so arm. darbt, damit seine Kinder etwas
lernen. Real- und Handelsschüler. Gymnasien und Privatschulen haben vor¬
herrschend jüdisches Publicum, und so besteht der intelligente Theil des Mit¬
telstandes in Ungarn fast ausnahmslos aus Juden und Deutschen. In
dieser Beziehung hat der Deutschen- und Judenhaß denselben Unverstand zur
Ursache, wie der Haß, mit welchem Fabrikarbeiter die Maschinen und Fabriken
betrachten. Wer hier im Lande eine Maschine, ein Haus bauen, eine Schule
gründen, im Geschäft geschickte Arbeiter haben, eine Grube anlegen will, muß
sich deutsche Intelligenz herbeischaffen. Alle Fabriken, alle industriellen An¬
stalten, Buchhandlungen. Buchdruckereien, große Geschäfte gehören Deutschen
oder Juden. Sie bringen Geld in's Land und dafür haßt man sie.

Mit dem Adel stellt sich die Sache wieder anders. Dieser hatte, wie in
Polen und Rußland, viele Vorrechte, besaß die höheren Stellen und bildete
im Lande die Regierung. Der Bauer trug alle Lasten und ernährte den Adel,
welcher durch seinen Stuhlricktcr Justiz ausübte, mehr nach Belieben als nach
Gesetzen, denn er war autonom und unfehlbar; er saß in den Kammern, gab
Gesetze, führte die Soldaten an. Der Bürger war ohne Bedeutung, der Bauer
hörig. Da führte Oestreich ein strenges Beamtenthum ein. verlangte von den
Beamten ein gewisses Maaß von Kenntnissen, Gehorsam und Pünktlichkeit.
Der Adel zog sich zurück, verlor seine politische Stellung und ward dem neuen
System ebenso abhold, wie die preußischen Junker der Bureaukratie.

Zu den Unzufriedenen gesellten sich dann auch der zahlreiche Advocaten-
stand und die Industriellen. Jener hatte sich früher beliebig Taxen und
Sporteln zuerkannt und in dem ungarischen Recht überall Gelegenheit gefun¬
den, Processe in iuüniwm, d. h. auf 2 — 3 Menschenalter zu verschleppen.
Das östreichische Gesetz schrieb die Taxen und den Proceßgang vor, gab 'ein
treffliches Wechselrecht, eine praktische Hypothekenordnung und hing mit alle-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/70>, abgerufen am 23.12.2024.