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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Unterricht ertheilt zu haben scheinen, ebenso wie besondere Rechenlehrer (calcu-
latoi-of) den höhern Unterricht übernahmen, die vier Species den Ludimagi-
stern überlassend. Auch in Italien war die Fingcrrechnung und die Rechen¬
tafel üblich, wie schon aus der Beschreibung hervorgeht, die Horaz von den
Schulknaben zu Venusia macht. Da die Römer überhaupt gute Finanzleute
im Großen und Kleinen waren, so legten die Väter auf die Erlernung der
Rechenkunst einen besonderen Werth, und Horaz und Juvenal spotten über diese
auf das Materielle gerichtete Betriebsamkeit. "Die römischen Knaben", sagt
der Erstere, "lernen den Aß durch lange Exempel in die kleinsten Bruchtheile
zerlegen, Es mag mir einmal (spricht der Lehrer) der Sohn des Albinus
sagen: Wenn von fünf Zwölfteln eine Unze genommen wird, was bleibt üb¬
rig? Du Hüttest es schon längst sagen können! -- Ein Drittel. -- Gut, du
wirst einmal dein Vermögen zusammenhalten können! Aber eine Unze hinzu¬
gelegt; was kommt heraus? -- Ein halber Aß!" --Zur Arithmetik kam dann
noch etwas Geometrie hinzu, auf die man viel gab, weil man, wie Quinti-
lian berichtet, bereits allgemein einsah, wie groß deren formaler Einfluß auf
Schärfung der Denkkraft ist. -- Der Unterricht des Elementarlehrers beschränkte
sich nun aber nicht ganz auf die erwähnten Fundamentalkenntnisse, sondern
nach dem ersten Leseunterrichte wurden die Schüler auch stufenweise zur Lec-
türe der populärsten Dichter der römischen und griechischen Literatur geführt,
wobei freilich richtige Aussprache und Declamation die Hauptsache blieb. Ho¬
mer und Virgil nahmen hier die erste Steile ein, und wie man aus der vor¬
hin citirten Stelle Iuvenals sieht, täuschte sich auch Horaz nicht, wenn er,
über seine Zukunft als Schriftsteller zu seinem Buche sprach: "Auch dies steht
dir bevor, das dich das Stammelnde Alter überrascht, während du in entlege¬
ner Winkelschule den Kindern die Elemente beibringst;" obgleich er an einer
andern Stelle das Lob weniger Kenner dem Ruhme der Schulclassicität vor¬
zieht. -- Das Gebiet der Grammatiker umfaßte die Kenntniß des richtigen
Sprechens und Schreibens und das Verständniß der Dichter. Zu diesem
Behufe folgte nun grammatischer Sprachunterricht. Uebungen im Uebersetzen,
Erklärung der Schriftsteller und kritische Behandlung derselben: lauter Uebun¬
gen, die auf den höchsten Unterricht, den der Rhetoren. vorbereiten sollten.
Die Musik war in Rom als erziehendes Mittel nicht so hoch geachtet als in
Griechenland, wenn sie auch in den Kreis der Unterrichtsgegenstände gezogen
wurde, die für den Freigeborenen anständig waren. Noch Cornelius Nepos
meint ja, daß das Singen eines Staatsmannes unwürdig sei und Horaz
spottet über die Meisterschaft vieler Zeitgenossen im Citherspicl. Bei dem
weiblichen Geschlechte freilich galt musikalische Bildung bald für unerläßliche
Mitgift. Deshalb giebt auch Martial einem Vater, der ihn über die Erziehung
seines Sohnes befragt hatte, den Rath, er solle denselben Musiklehrer werden


Unterricht ertheilt zu haben scheinen, ebenso wie besondere Rechenlehrer (calcu-
latoi-of) den höhern Unterricht übernahmen, die vier Species den Ludimagi-
stern überlassend. Auch in Italien war die Fingcrrechnung und die Rechen¬
tafel üblich, wie schon aus der Beschreibung hervorgeht, die Horaz von den
Schulknaben zu Venusia macht. Da die Römer überhaupt gute Finanzleute
im Großen und Kleinen waren, so legten die Väter auf die Erlernung der
Rechenkunst einen besonderen Werth, und Horaz und Juvenal spotten über diese
auf das Materielle gerichtete Betriebsamkeit. „Die römischen Knaben", sagt
der Erstere, „lernen den Aß durch lange Exempel in die kleinsten Bruchtheile
zerlegen, Es mag mir einmal (spricht der Lehrer) der Sohn des Albinus
sagen: Wenn von fünf Zwölfteln eine Unze genommen wird, was bleibt üb¬
rig? Du Hüttest es schon längst sagen können! — Ein Drittel. — Gut, du
wirst einmal dein Vermögen zusammenhalten können! Aber eine Unze hinzu¬
gelegt; was kommt heraus? — Ein halber Aß!" —Zur Arithmetik kam dann
noch etwas Geometrie hinzu, auf die man viel gab, weil man, wie Quinti-
lian berichtet, bereits allgemein einsah, wie groß deren formaler Einfluß auf
Schärfung der Denkkraft ist. — Der Unterricht des Elementarlehrers beschränkte
sich nun aber nicht ganz auf die erwähnten Fundamentalkenntnisse, sondern
nach dem ersten Leseunterrichte wurden die Schüler auch stufenweise zur Lec-
türe der populärsten Dichter der römischen und griechischen Literatur geführt,
wobei freilich richtige Aussprache und Declamation die Hauptsache blieb. Ho¬
mer und Virgil nahmen hier die erste Steile ein, und wie man aus der vor¬
hin citirten Stelle Iuvenals sieht, täuschte sich auch Horaz nicht, wenn er,
über seine Zukunft als Schriftsteller zu seinem Buche sprach: „Auch dies steht
dir bevor, das dich das Stammelnde Alter überrascht, während du in entlege¬
ner Winkelschule den Kindern die Elemente beibringst;" obgleich er an einer
andern Stelle das Lob weniger Kenner dem Ruhme der Schulclassicität vor¬
zieht. — Das Gebiet der Grammatiker umfaßte die Kenntniß des richtigen
Sprechens und Schreibens und das Verständniß der Dichter. Zu diesem
Behufe folgte nun grammatischer Sprachunterricht. Uebungen im Uebersetzen,
Erklärung der Schriftsteller und kritische Behandlung derselben: lauter Uebun¬
gen, die auf den höchsten Unterricht, den der Rhetoren. vorbereiten sollten.
Die Musik war in Rom als erziehendes Mittel nicht so hoch geachtet als in
Griechenland, wenn sie auch in den Kreis der Unterrichtsgegenstände gezogen
wurde, die für den Freigeborenen anständig waren. Noch Cornelius Nepos
meint ja, daß das Singen eines Staatsmannes unwürdig sei und Horaz
spottet über die Meisterschaft vieler Zeitgenossen im Citherspicl. Bei dem
weiblichen Geschlechte freilich galt musikalische Bildung bald für unerläßliche
Mitgift. Deshalb giebt auch Martial einem Vater, der ihn über die Erziehung
seines Sohnes befragt hatte, den Rath, er solle denselben Musiklehrer werden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/64>, abgerufen am 23.12.2024.