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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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als was in dem Briefwechsel von Paulus und in den Briefen Reinhard's
an Goethe steht; aber soweit man aus diesen unvollständigen Acten schließen
darf, habe ich die Ueberzeugung, daß Fr. Schlegel nicht katholisch geworden
wäre, wenn er anderweitig ein sicheres Auskommen gefunden hätte. Gleich¬
viel ob man das als einen Erschwerungs- oder Milderungsgrund seines Ab¬
falls betrachtet, die Sache verdient historisch aufgeklärt zu werden. Sein
Phantasieleben und seine Doctrin führten allerdings in die katholische Kirche;
aber von diesen Velleitäten der Einbildungskraft bis zum wirklichen Entschluß
ist doch noch ein sehr gewaltiger Abstand; zwischen der Phantasie und dem
Willen liegt noch ein Drittes in der Mitte, das Gemüth. Sehr interessant,
ja bis zu einem gewissen Grade rührend ist mir ein Brief Fr. Schlegel's an
Schleiermacher gewesen, in dem mehr von Gemüth steckt, als man ihm sonst
zutrauen möchte. Ich theile ihn daher auszugsweise mit.

Kurze Zeit vorher hatte Dorothea, die als geistreiche Frau Alles, was
sie von ihrem Mann hörte, in's Extrem trieb, an Schleiermacher eine lange
und heftige Epistel über alle möglichen Niederträchtigkeiten Preußens geschrie
den und ihn beschworen, diesem unseligen Staat sobald als möglich den
Rücken zu kehren. Darauf schreibt Fr. Schlegel selbst, 26. August 1807:
"Daß du dich an Preußen halten würdest, so lange es noch besteht, habe ich
mir wol gedacht und billige es von ganzem Herzen. Eigentlich finde ich dich
aber in all diesen äußern Widerwärtigkeiten nicht blos zu beklagen, sondern
auch zu beneiden. Es liegt eine besondre Süßigkeit in einem solchen Ver¬
hältniß zu seiner Provinz, selbst in Widerwärtigkeiten, wie in den Leiden,
die man mit der Geliebten übersteht. Ein solches besonderes Vaterland
ward mir nie; weder Hannover noch Sachsen konnten mir sein, was dir
Preußen. Hier (in Cöln) hätte ich mich sehr ansiedeln und fest wurzeln kön¬
nen, aber die französischen Einrichtungen sind sehr störend. Die Liebe zu dem
ganzen großen Vaterlande aber findet fast nirgend einen Anklang und wird
endlich zur Flamme, die den Einsamen verzehrt." -- Das Gefühl dieser Ver¬
einsamung geht durch deu ganzen Briefwechsel dieser Jahre.

Nun liegt allerdings in der Vereinsamung eine gewisse Schuld. Fr. Schle¬
gel, als Dilettant des Lebens, hatte niemals mit ernsthaftem und folgerechtem
Streben den Boden gesucht, auf dem er mit der ganzen Kraft seines Gemüths
und seines Willens hätte wurzeln können, er war nicht, wie Schleiermacher,
eine sittliche Natur. -- Unter einer sittlichen Natur aber -- den Waschlappen
sei es gesagt! -- verstehe ich nicht etwa denjenigen, der nicht spielt, nicht
trinkt u. f. w., sondern denjenigen, der die Kraft des Willens und das Be¬
dürfniß des Gemüths hat, als Glied eines durch Sitte, durch gemeinsame
Noth und Hoffnung zusammengehaltenen menschlichen Ganzen sich zu fühlen
und geltend zu machen.


Grenzboten III, 1361. 60

als was in dem Briefwechsel von Paulus und in den Briefen Reinhard's
an Goethe steht; aber soweit man aus diesen unvollständigen Acten schließen
darf, habe ich die Ueberzeugung, daß Fr. Schlegel nicht katholisch geworden
wäre, wenn er anderweitig ein sicheres Auskommen gefunden hätte. Gleich¬
viel ob man das als einen Erschwerungs- oder Milderungsgrund seines Ab¬
falls betrachtet, die Sache verdient historisch aufgeklärt zu werden. Sein
Phantasieleben und seine Doctrin führten allerdings in die katholische Kirche;
aber von diesen Velleitäten der Einbildungskraft bis zum wirklichen Entschluß
ist doch noch ein sehr gewaltiger Abstand; zwischen der Phantasie und dem
Willen liegt noch ein Drittes in der Mitte, das Gemüth. Sehr interessant,
ja bis zu einem gewissen Grade rührend ist mir ein Brief Fr. Schlegel's an
Schleiermacher gewesen, in dem mehr von Gemüth steckt, als man ihm sonst
zutrauen möchte. Ich theile ihn daher auszugsweise mit.

Kurze Zeit vorher hatte Dorothea, die als geistreiche Frau Alles, was
sie von ihrem Mann hörte, in's Extrem trieb, an Schleiermacher eine lange
und heftige Epistel über alle möglichen Niederträchtigkeiten Preußens geschrie
den und ihn beschworen, diesem unseligen Staat sobald als möglich den
Rücken zu kehren. Darauf schreibt Fr. Schlegel selbst, 26. August 1807:
„Daß du dich an Preußen halten würdest, so lange es noch besteht, habe ich
mir wol gedacht und billige es von ganzem Herzen. Eigentlich finde ich dich
aber in all diesen äußern Widerwärtigkeiten nicht blos zu beklagen, sondern
auch zu beneiden. Es liegt eine besondre Süßigkeit in einem solchen Ver¬
hältniß zu seiner Provinz, selbst in Widerwärtigkeiten, wie in den Leiden,
die man mit der Geliebten übersteht. Ein solches besonderes Vaterland
ward mir nie; weder Hannover noch Sachsen konnten mir sein, was dir
Preußen. Hier (in Cöln) hätte ich mich sehr ansiedeln und fest wurzeln kön¬
nen, aber die französischen Einrichtungen sind sehr störend. Die Liebe zu dem
ganzen großen Vaterlande aber findet fast nirgend einen Anklang und wird
endlich zur Flamme, die den Einsamen verzehrt." — Das Gefühl dieser Ver¬
einsamung geht durch deu ganzen Briefwechsel dieser Jahre.

Nun liegt allerdings in der Vereinsamung eine gewisse Schuld. Fr. Schle¬
gel, als Dilettant des Lebens, hatte niemals mit ernsthaftem und folgerechtem
Streben den Boden gesucht, auf dem er mit der ganzen Kraft seines Gemüths
und seines Willens hätte wurzeln können, er war nicht, wie Schleiermacher,
eine sittliche Natur. — Unter einer sittlichen Natur aber — den Waschlappen
sei es gesagt! — verstehe ich nicht etwa denjenigen, der nicht spielt, nicht
trinkt u. f. w., sondern denjenigen, der die Kraft des Willens und das Be¬
dürfniß des Gemüths hat, als Glied eines durch Sitte, durch gemeinsame
Noth und Hoffnung zusammengehaltenen menschlichen Ganzen sich zu fühlen
und geltend zu machen.


Grenzboten III, 1361. 60
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/483>, abgerufen am 22.07.2024.