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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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der verschiedensten Dinge zu thun ist: ein Edelmann aus der Zeit Ludwigs
des Dreizehnter betrachtet mit seiner Dame die im Schloßhof reich angehäuf¬
ten Fruchtzinsen seiner Insassen. Indessen fehlt es hier an dem weisen
Maß. mit dem ein Weenix solche Scenen als die glänzende, festliche Außen¬
seite eines in Lust und Pracht rauschenden Lebens componirte, und die feine
anziehende Treue, mit der dieser Meister das bunte, malerische, heitere Schei¬
nen der Dinge wiedergab. Uebrigens geht das Bild schon entschieden in das
Gebiet des Genre über.

Es ist kein Zweifel: die Historienmalerei im engeren und im weiteren
Sinne, wie sie die Kunstgeschichte annimmt, ist, in Frankreich wenigstens, die
Sache des Zeitalters nicht. Ihre neuesten Werke sind bezeichnend eben dafür,
daß in ihnen der künstlerische Sinn der Gegenwart nicht zu seiner eigenthüm¬
lichen Geltung kommt. Das einzige Werk von Baudry ausgenommen, mag
der Blick bei keinem lange sich aufhalten, und in diesem ist es, wie bemerkt,
der Ausdruck der einsach-menschlichen Empfindung, welcher wirkt, nicht die
Größe der Auffassung des geschichtlichen Vorgangs. Wenn dennoch das eine
oder andere Bild sich bemerkbar macht, so ist es durch den eigenthümlichen
Charakter der in ihrer Art vollendeten Behandlung: wie die Schlacht an der
Alma von Pils. Wir haben daher die Werke dieser Gattung schon hier be¬
sprochen, während die Zweige des Genre, Thierstücks und der Landschaft, die
sich in reicher Mannigfaltigkeit entwickelt haben, in den Verlauf der Geschichte
aufzunehmen sind und hier nur ein Ueberblick über die verschiedenen Rich-
tungen den Gesammteindruck der neuesten Kunst zusammenfassen soll. --

Zunächst ist auf einen Punkt zurückzukommen, von dem schon einigemal
die Rede gewesen ist: auf die Sicherheit und Geschicklichkeit der besseren Maler.
Mit der sie ihren Bildern den vollen Schein der Natur und die Bewegtheit
des Lebens geben. Nicht nur das ist gemeint, was sich die Kunst seit Da¬
vid nuf's Neue errungen hat: die Gewandtheit, mit der sie über die mensch¬
liche Form verfügt und ans der Flüche die Rundung und den organischen
Bau der menschlichen Gestalt erscheinen läßt, so daß diese frei und voll von
der Leinwand sich abhebt, sondern eine ganze Richtung der neuen Kunst
geht vorab darauf aus, die Erscheinung mit dem frische" Saft des Lebens
gleichsam zu tränken und ihr die täuschende Wirkung der unmittelbaren
Naturwahrheit zu geben; die Bewegung soll den ganz individuellen Zug der
Wirklichkeit, die Farbe die Sattheit der von dem sinnlichen Stoff ganz durch¬
sungenen Oberfläche haben, die Form nur als das natürliche Aufhören
desselben erscheinen. Dabei soll aber in jener, der Bewegung, das innerlich
treibende Leben sich aussprechen und diese, die Farbe, in den allgemeinen
stimmungsvollen Aether von Licht und Luft getaucht sein. Wo alle diese Be¬
engungen beisammen sind, bleibt eine große malerische Wirkung nicht aus;


der verschiedensten Dinge zu thun ist: ein Edelmann aus der Zeit Ludwigs
des Dreizehnter betrachtet mit seiner Dame die im Schloßhof reich angehäuf¬
ten Fruchtzinsen seiner Insassen. Indessen fehlt es hier an dem weisen
Maß. mit dem ein Weenix solche Scenen als die glänzende, festliche Außen¬
seite eines in Lust und Pracht rauschenden Lebens componirte, und die feine
anziehende Treue, mit der dieser Meister das bunte, malerische, heitere Schei¬
nen der Dinge wiedergab. Uebrigens geht das Bild schon entschieden in das
Gebiet des Genre über.

Es ist kein Zweifel: die Historienmalerei im engeren und im weiteren
Sinne, wie sie die Kunstgeschichte annimmt, ist, in Frankreich wenigstens, die
Sache des Zeitalters nicht. Ihre neuesten Werke sind bezeichnend eben dafür,
daß in ihnen der künstlerische Sinn der Gegenwart nicht zu seiner eigenthüm¬
lichen Geltung kommt. Das einzige Werk von Baudry ausgenommen, mag
der Blick bei keinem lange sich aufhalten, und in diesem ist es, wie bemerkt,
der Ausdruck der einsach-menschlichen Empfindung, welcher wirkt, nicht die
Größe der Auffassung des geschichtlichen Vorgangs. Wenn dennoch das eine
oder andere Bild sich bemerkbar macht, so ist es durch den eigenthümlichen
Charakter der in ihrer Art vollendeten Behandlung: wie die Schlacht an der
Alma von Pils. Wir haben daher die Werke dieser Gattung schon hier be¬
sprochen, während die Zweige des Genre, Thierstücks und der Landschaft, die
sich in reicher Mannigfaltigkeit entwickelt haben, in den Verlauf der Geschichte
aufzunehmen sind und hier nur ein Ueberblick über die verschiedenen Rich-
tungen den Gesammteindruck der neuesten Kunst zusammenfassen soll. —

Zunächst ist auf einen Punkt zurückzukommen, von dem schon einigemal
die Rede gewesen ist: auf die Sicherheit und Geschicklichkeit der besseren Maler.
Mit der sie ihren Bildern den vollen Schein der Natur und die Bewegtheit
des Lebens geben. Nicht nur das ist gemeint, was sich die Kunst seit Da¬
vid nuf's Neue errungen hat: die Gewandtheit, mit der sie über die mensch¬
liche Form verfügt und ans der Flüche die Rundung und den organischen
Bau der menschlichen Gestalt erscheinen läßt, so daß diese frei und voll von
der Leinwand sich abhebt, sondern eine ganze Richtung der neuen Kunst
geht vorab darauf aus, die Erscheinung mit dem frische» Saft des Lebens
gleichsam zu tränken und ihr die täuschende Wirkung der unmittelbaren
Naturwahrheit zu geben; die Bewegung soll den ganz individuellen Zug der
Wirklichkeit, die Farbe die Sattheit der von dem sinnlichen Stoff ganz durch¬
sungenen Oberfläche haben, die Form nur als das natürliche Aufhören
desselben erscheinen. Dabei soll aber in jener, der Bewegung, das innerlich
treibende Leben sich aussprechen und diese, die Farbe, in den allgemeinen
stimmungsvollen Aether von Licht und Luft getaucht sein. Wo alle diese Be¬
engungen beisammen sind, bleibt eine große malerische Wirkung nicht aus;


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[0471] der verschiedensten Dinge zu thun ist: ein Edelmann aus der Zeit Ludwigs des Dreizehnter betrachtet mit seiner Dame die im Schloßhof reich angehäuf¬ ten Fruchtzinsen seiner Insassen. Indessen fehlt es hier an dem weisen Maß. mit dem ein Weenix solche Scenen als die glänzende, festliche Außen¬ seite eines in Lust und Pracht rauschenden Lebens componirte, und die feine anziehende Treue, mit der dieser Meister das bunte, malerische, heitere Schei¬ nen der Dinge wiedergab. Uebrigens geht das Bild schon entschieden in das Gebiet des Genre über. Es ist kein Zweifel: die Historienmalerei im engeren und im weiteren Sinne, wie sie die Kunstgeschichte annimmt, ist, in Frankreich wenigstens, die Sache des Zeitalters nicht. Ihre neuesten Werke sind bezeichnend eben dafür, daß in ihnen der künstlerische Sinn der Gegenwart nicht zu seiner eigenthüm¬ lichen Geltung kommt. Das einzige Werk von Baudry ausgenommen, mag der Blick bei keinem lange sich aufhalten, und in diesem ist es, wie bemerkt, der Ausdruck der einsach-menschlichen Empfindung, welcher wirkt, nicht die Größe der Auffassung des geschichtlichen Vorgangs. Wenn dennoch das eine oder andere Bild sich bemerkbar macht, so ist es durch den eigenthümlichen Charakter der in ihrer Art vollendeten Behandlung: wie die Schlacht an der Alma von Pils. Wir haben daher die Werke dieser Gattung schon hier be¬ sprochen, während die Zweige des Genre, Thierstücks und der Landschaft, die sich in reicher Mannigfaltigkeit entwickelt haben, in den Verlauf der Geschichte aufzunehmen sind und hier nur ein Ueberblick über die verschiedenen Rich- tungen den Gesammteindruck der neuesten Kunst zusammenfassen soll. — Zunächst ist auf einen Punkt zurückzukommen, von dem schon einigemal die Rede gewesen ist: auf die Sicherheit und Geschicklichkeit der besseren Maler. Mit der sie ihren Bildern den vollen Schein der Natur und die Bewegtheit des Lebens geben. Nicht nur das ist gemeint, was sich die Kunst seit Da¬ vid nuf's Neue errungen hat: die Gewandtheit, mit der sie über die mensch¬ liche Form verfügt und ans der Flüche die Rundung und den organischen Bau der menschlichen Gestalt erscheinen läßt, so daß diese frei und voll von der Leinwand sich abhebt, sondern eine ganze Richtung der neuen Kunst geht vorab darauf aus, die Erscheinung mit dem frische» Saft des Lebens gleichsam zu tränken und ihr die täuschende Wirkung der unmittelbaren Naturwahrheit zu geben; die Bewegung soll den ganz individuellen Zug der Wirklichkeit, die Farbe die Sattheit der von dem sinnlichen Stoff ganz durch¬ sungenen Oberfläche haben, die Form nur als das natürliche Aufhören desselben erscheinen. Dabei soll aber in jener, der Bewegung, das innerlich treibende Leben sich aussprechen und diese, die Farbe, in den allgemeinen stimmungsvollen Aether von Licht und Luft getaucht sein. Wo alle diese Be¬ engungen beisammen sind, bleibt eine große malerische Wirkung nicht aus;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/471>, abgerufen am 23.07.2024.