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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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des Eises fließt das Blut in widerwärtiger Natürlichkeit herab. Das Grä߬
liche streift hier an das Ekelhaste, während andrerseits die furchtbare Erhaben¬
heit der Scene in den überlebensgroßen Gestalten der Dichter, in dem blei¬
chen Entsetzen Dante's und der überlegenen Ruhe Virgils sich ausdrücken soll.
Fast scheint es, als ob der Maler alle Verklungen der modernen Kunst uns
Einer Leinwand hätte anschaulich machen wollen: er wetteifert mit der Phan¬
tasie des Poeten, stellt dar, was nur in der innerlich verschwcbendcrz Vor¬
stellung zu unendlicher Größe anschwillt, macht die durch die Unterwelt wan¬
dernden Dichter, die selbst nnr die Rolle der Zuschauer haben, zur Hauptsache,
und was nur durch die Erklärung des Wortes zu verstehen und zu ertragen
ist, fixirt er als scheußliches Räthsel in monumentalen Maßstab. Der Maler
wollte den Schauer des Furchtbaren in erschütternder Bestimmtheit und mit
wuchtiger Gegenwart vor die Seele führen, aber er ist hinter der Kraft und
Größe der poetischen Vorstellung weit zurückgeblieben. Auch ist ihm die
mysteriöse Stimmung, die sich hier mol im Ton und Kolorit des Bildes hätte
erreichen.lassen, nicht gelungen. Die kleinen Zeichnungen zu Dante von dem¬
selben Künstler sind besser, denn sie wollen nichts sein, als Illustrationen zu
dem Werke des Dichters. Das Bild ist bemerkenswerth, weil es insofern der
hervortretende Typus einer ganzen Gattung ist, als die Franzosen in den letz¬
ten Jahrzehnten mit Vorliebe ihre Stoffe aus den Dichtern, besonders aus
Dante holen, sobald sie eine zugleich malerische und die Seele ergreifende
Wirkung hervorbringen wollen. Hier war ihrer Phantasie vorgearbeitet und
weil sie das Wort des Dichters bewegte, glauben sie mit ihrer Darstellung
auch den Beschauer bewegen zu können. Wir werden auf eine ganze Reihe
solcher Bilder stoßen.

Andere Bilder, denen es in ihrer ausführlichen Breite mehr um male¬
rische Erscheinung, als den Ausdruck eines bedeutenden Motivs zu thun ist-
stehen an der Grenze des eigentlichen Genre. Aber indem sie Gruppen von
Personen in der Form einer bestimmten Wirklichkeit, im geschichtlichen Costüm
lebensgroß vorführen, haben sie doch wieder den Schein, als ob eine tiefer
liegende Idee aus ihnen sprechen sollte (Feyer-Perrin: die Freigebigkeit
Aretins, Malone: "Arm und Reich", durch ein Fenster steht niam im reichen
Costüm der Renaissance eine Gruppe von üppigen Zechern, vor dem Hause
stößt ein Hellebardier einen Bettler weg). Solche Bilder lassen, auch we"n
sie gut gemacht sind, nicht zum Genuß der Betrachtung kommen, da sie etwas
vorstellen wollen und doch der geringe Inhalt in dem großen Maßstab wie
absolute Leere aussieht und andrerseits wieder der bloßen Erscheinung die
volle Freude des Lebens fehlt. Die Absichtlichkeit des modernen Geistes sieht
langweilig und anspruchsvoll aus ihnen heraus. -- Erfreulicher wirkt ein
großes Gemälde von Monginot, dem es nur um den malerischen Schein


des Eises fließt das Blut in widerwärtiger Natürlichkeit herab. Das Grä߬
liche streift hier an das Ekelhaste, während andrerseits die furchtbare Erhaben¬
heit der Scene in den überlebensgroßen Gestalten der Dichter, in dem blei¬
chen Entsetzen Dante's und der überlegenen Ruhe Virgils sich ausdrücken soll.
Fast scheint es, als ob der Maler alle Verklungen der modernen Kunst uns
Einer Leinwand hätte anschaulich machen wollen: er wetteifert mit der Phan¬
tasie des Poeten, stellt dar, was nur in der innerlich verschwcbendcrz Vor¬
stellung zu unendlicher Größe anschwillt, macht die durch die Unterwelt wan¬
dernden Dichter, die selbst nnr die Rolle der Zuschauer haben, zur Hauptsache,
und was nur durch die Erklärung des Wortes zu verstehen und zu ertragen
ist, fixirt er als scheußliches Räthsel in monumentalen Maßstab. Der Maler
wollte den Schauer des Furchtbaren in erschütternder Bestimmtheit und mit
wuchtiger Gegenwart vor die Seele führen, aber er ist hinter der Kraft und
Größe der poetischen Vorstellung weit zurückgeblieben. Auch ist ihm die
mysteriöse Stimmung, die sich hier mol im Ton und Kolorit des Bildes hätte
erreichen.lassen, nicht gelungen. Die kleinen Zeichnungen zu Dante von dem¬
selben Künstler sind besser, denn sie wollen nichts sein, als Illustrationen zu
dem Werke des Dichters. Das Bild ist bemerkenswerth, weil es insofern der
hervortretende Typus einer ganzen Gattung ist, als die Franzosen in den letz¬
ten Jahrzehnten mit Vorliebe ihre Stoffe aus den Dichtern, besonders aus
Dante holen, sobald sie eine zugleich malerische und die Seele ergreifende
Wirkung hervorbringen wollen. Hier war ihrer Phantasie vorgearbeitet und
weil sie das Wort des Dichters bewegte, glauben sie mit ihrer Darstellung
auch den Beschauer bewegen zu können. Wir werden auf eine ganze Reihe
solcher Bilder stoßen.

Andere Bilder, denen es in ihrer ausführlichen Breite mehr um male¬
rische Erscheinung, als den Ausdruck eines bedeutenden Motivs zu thun ist-
stehen an der Grenze des eigentlichen Genre. Aber indem sie Gruppen von
Personen in der Form einer bestimmten Wirklichkeit, im geschichtlichen Costüm
lebensgroß vorführen, haben sie doch wieder den Schein, als ob eine tiefer
liegende Idee aus ihnen sprechen sollte (Feyer-Perrin: die Freigebigkeit
Aretins, Malone: „Arm und Reich", durch ein Fenster steht niam im reichen
Costüm der Renaissance eine Gruppe von üppigen Zechern, vor dem Hause
stößt ein Hellebardier einen Bettler weg). Solche Bilder lassen, auch we»n
sie gut gemacht sind, nicht zum Genuß der Betrachtung kommen, da sie etwas
vorstellen wollen und doch der geringe Inhalt in dem großen Maßstab wie
absolute Leere aussieht und andrerseits wieder der bloßen Erscheinung die
volle Freude des Lebens fehlt. Die Absichtlichkeit des modernen Geistes sieht
langweilig und anspruchsvoll aus ihnen heraus. — Erfreulicher wirkt ein
großes Gemälde von Monginot, dem es nur um den malerischen Schein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/470>, abgerufen am 23.07.2024.