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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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wohlgemerkt, wir haben es hier nur mit der Behandlung zu thun, nicht mit
der Wahl der Motive und der geistigen Auffassung. Auch sehen wir hier
von einzelnen Kunstgriffen ab, welche das Heraustreten des Gegenstandes aus
dem Nahmen bezwecken -- durch Schlagschatten, scharfes Abheben einer hellen
Figur vom dunkeln Grunde oder umgekehrt u. s. f. -- sowie von einer be¬
stechenden, jetzt Mode gewordenen Führung des Pinsels, welcher mit kühnem
Wurf die Farben wild und formlos durcheinandertreibt und dennoch im Schim¬
mer des Ganzen eine gewisse Wahrheit erreicht. --

Aber es liegt in der Natur der Sache, daß -- um den gewohnten Namen
zu gebrauchen -- dieser realistische Styl für die idealen und historischen
Stoffe, die einen bedeutungsvollen Gehalt haben, nicht taugt. Er ist ange¬
bracht bei der Darstellung des realen Lebens, wie es in dem Treiben der von
der Cultur noch in keine künstliche Sitte eingezwängten Menschen, der Thier-
welt und der landschaftlichen Natur erscheint. Er ist also an diese Wirklichkeit
gewiesen, und noch andere Einflüsse des Zeitalters wirken, wie wir im geschicht¬
lichen Verlaufe sehen werden, dazu mit, jene Richtung der jetzigen Kunst von
der idealen Welt abzuziehen und ganz der Realität zuzuwenden. Die ver¬
schiedenen Entwicklungsstufen, welche dieser Styl durchmacht, sind ebenfalls in
der Geschichte zu verfolgen.

Die Eigenthümlichkeit, zu welcher sich derselbe in der neuesten Zeit aus¬
gebildet hat, fällt denn auch auf dieser Ausstellung wie auf den vorhergegangenen
des letzten Jahrzehnts, sogleich in's Auge: die geschickte Darstellung des un¬
mittelbaren Naturlebens. Zunächst macht sich das lebensgroße Genre aus den
niederen Ständen -- bald in größeren, oder kleineren Gruppen, bald in ein¬
zelnen Figuren als bisher ungewohnte Erscheinung bemerkbar; und hier
zeigt sich gleich, zu welchen Verirrungen jener Styl, vom Bande der echten
Kunst losgelassen, gedrängt hat. Dem Maler, dem es vor Allem um den vollen
Schein der Wirklichkeit zu thun ist. erscheint bald diese selbst, gerade so wie
sie ist, wenn sie sich nur offen und natürlich gibt, als ein würdiger Gegen¬
stand der Kunst. Daher die lebensgroßen Bauern, Köchinnen. Steinklopfer,
Jahrmärkte, Leichenbegängnisse, Kirchhofsscenen u. s. f., die oft nicht einmal
den Anspruch auf malerisches Aussehen machen können, in der ganzen aus¬
druckslosen Breite und Leere ihres gewöhnlichen Treibens. Hier fehlt es denn
natürlich an dem tieferen Leben der Bewegung, das aus einem geistige
Gehalte kommt, und andrerseits fällt meistens der Duft und Schimmer der
Licht- und Luftstimmung weg, in dem sich die Härte des Realität auflöst-
Endlich kehrt sich das Verhältniß so. daß dem Maler nicht mehr die Behandlung
und der naturwahre Schein die Hauptsache ist, sondern im bewußten Gegen¬
satz gegen das Ideal und die Künstlichkeit der Sitte hält er sich an die natur¬
wüchsigen Stoffe der niedern Wirklichkeit als solche. Charakteristisch ist. wie nun


wohlgemerkt, wir haben es hier nur mit der Behandlung zu thun, nicht mit
der Wahl der Motive und der geistigen Auffassung. Auch sehen wir hier
von einzelnen Kunstgriffen ab, welche das Heraustreten des Gegenstandes aus
dem Nahmen bezwecken — durch Schlagschatten, scharfes Abheben einer hellen
Figur vom dunkeln Grunde oder umgekehrt u. s. f. — sowie von einer be¬
stechenden, jetzt Mode gewordenen Führung des Pinsels, welcher mit kühnem
Wurf die Farben wild und formlos durcheinandertreibt und dennoch im Schim¬
mer des Ganzen eine gewisse Wahrheit erreicht. —

Aber es liegt in der Natur der Sache, daß — um den gewohnten Namen
zu gebrauchen — dieser realistische Styl für die idealen und historischen
Stoffe, die einen bedeutungsvollen Gehalt haben, nicht taugt. Er ist ange¬
bracht bei der Darstellung des realen Lebens, wie es in dem Treiben der von
der Cultur noch in keine künstliche Sitte eingezwängten Menschen, der Thier-
welt und der landschaftlichen Natur erscheint. Er ist also an diese Wirklichkeit
gewiesen, und noch andere Einflüsse des Zeitalters wirken, wie wir im geschicht¬
lichen Verlaufe sehen werden, dazu mit, jene Richtung der jetzigen Kunst von
der idealen Welt abzuziehen und ganz der Realität zuzuwenden. Die ver¬
schiedenen Entwicklungsstufen, welche dieser Styl durchmacht, sind ebenfalls in
der Geschichte zu verfolgen.

Die Eigenthümlichkeit, zu welcher sich derselbe in der neuesten Zeit aus¬
gebildet hat, fällt denn auch auf dieser Ausstellung wie auf den vorhergegangenen
des letzten Jahrzehnts, sogleich in's Auge: die geschickte Darstellung des un¬
mittelbaren Naturlebens. Zunächst macht sich das lebensgroße Genre aus den
niederen Ständen — bald in größeren, oder kleineren Gruppen, bald in ein¬
zelnen Figuren als bisher ungewohnte Erscheinung bemerkbar; und hier
zeigt sich gleich, zu welchen Verirrungen jener Styl, vom Bande der echten
Kunst losgelassen, gedrängt hat. Dem Maler, dem es vor Allem um den vollen
Schein der Wirklichkeit zu thun ist. erscheint bald diese selbst, gerade so wie
sie ist, wenn sie sich nur offen und natürlich gibt, als ein würdiger Gegen¬
stand der Kunst. Daher die lebensgroßen Bauern, Köchinnen. Steinklopfer,
Jahrmärkte, Leichenbegängnisse, Kirchhofsscenen u. s. f., die oft nicht einmal
den Anspruch auf malerisches Aussehen machen können, in der ganzen aus¬
druckslosen Breite und Leere ihres gewöhnlichen Treibens. Hier fehlt es denn
natürlich an dem tieferen Leben der Bewegung, das aus einem geistige
Gehalte kommt, und andrerseits fällt meistens der Duft und Schimmer der
Licht- und Luftstimmung weg, in dem sich die Härte des Realität auflöst-
Endlich kehrt sich das Verhältniß so. daß dem Maler nicht mehr die Behandlung
und der naturwahre Schein die Hauptsache ist, sondern im bewußten Gegen¬
satz gegen das Ideal und die Künstlichkeit der Sitte hält er sich an die natur¬
wüchsigen Stoffe der niedern Wirklichkeit als solche. Charakteristisch ist. wie nun


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[0472] wohlgemerkt, wir haben es hier nur mit der Behandlung zu thun, nicht mit der Wahl der Motive und der geistigen Auffassung. Auch sehen wir hier von einzelnen Kunstgriffen ab, welche das Heraustreten des Gegenstandes aus dem Nahmen bezwecken — durch Schlagschatten, scharfes Abheben einer hellen Figur vom dunkeln Grunde oder umgekehrt u. s. f. — sowie von einer be¬ stechenden, jetzt Mode gewordenen Führung des Pinsels, welcher mit kühnem Wurf die Farben wild und formlos durcheinandertreibt und dennoch im Schim¬ mer des Ganzen eine gewisse Wahrheit erreicht. — Aber es liegt in der Natur der Sache, daß — um den gewohnten Namen zu gebrauchen — dieser realistische Styl für die idealen und historischen Stoffe, die einen bedeutungsvollen Gehalt haben, nicht taugt. Er ist ange¬ bracht bei der Darstellung des realen Lebens, wie es in dem Treiben der von der Cultur noch in keine künstliche Sitte eingezwängten Menschen, der Thier- welt und der landschaftlichen Natur erscheint. Er ist also an diese Wirklichkeit gewiesen, und noch andere Einflüsse des Zeitalters wirken, wie wir im geschicht¬ lichen Verlaufe sehen werden, dazu mit, jene Richtung der jetzigen Kunst von der idealen Welt abzuziehen und ganz der Realität zuzuwenden. Die ver¬ schiedenen Entwicklungsstufen, welche dieser Styl durchmacht, sind ebenfalls in der Geschichte zu verfolgen. Die Eigenthümlichkeit, zu welcher sich derselbe in der neuesten Zeit aus¬ gebildet hat, fällt denn auch auf dieser Ausstellung wie auf den vorhergegangenen des letzten Jahrzehnts, sogleich in's Auge: die geschickte Darstellung des un¬ mittelbaren Naturlebens. Zunächst macht sich das lebensgroße Genre aus den niederen Ständen — bald in größeren, oder kleineren Gruppen, bald in ein¬ zelnen Figuren als bisher ungewohnte Erscheinung bemerkbar; und hier zeigt sich gleich, zu welchen Verirrungen jener Styl, vom Bande der echten Kunst losgelassen, gedrängt hat. Dem Maler, dem es vor Allem um den vollen Schein der Wirklichkeit zu thun ist. erscheint bald diese selbst, gerade so wie sie ist, wenn sie sich nur offen und natürlich gibt, als ein würdiger Gegen¬ stand der Kunst. Daher die lebensgroßen Bauern, Köchinnen. Steinklopfer, Jahrmärkte, Leichenbegängnisse, Kirchhofsscenen u. s. f., die oft nicht einmal den Anspruch auf malerisches Aussehen machen können, in der ganzen aus¬ druckslosen Breite und Leere ihres gewöhnlichen Treibens. Hier fehlt es denn natürlich an dem tieferen Leben der Bewegung, das aus einem geistige Gehalte kommt, und andrerseits fällt meistens der Duft und Schimmer der Licht- und Luftstimmung weg, in dem sich die Härte des Realität auflöst- Endlich kehrt sich das Verhältniß so. daß dem Maler nicht mehr die Behandlung und der naturwahre Schein die Hauptsache ist, sondern im bewußten Gegen¬ satz gegen das Ideal und die Künstlichkeit der Sitte hält er sich an die natur¬ wüchsigen Stoffe der niedern Wirklichkeit als solche. Charakteristisch ist. wie nun

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/472>, abgerufen am 26.08.2024.