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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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aus dieser Wirklichkeit wieder in sich zurückkehrt; seine Erscheinung ist ihm
gleichgiltig. Was ihn erfüllt und bewegt, kaun sich auf den Wänden weder
als ein Spiel der Mythologie noch als Abbild des Wirklichen aussprechen.
Der Sinn für die Pracht der äußeren Existenz -- der mit diesem innerlichen
Leben nicht in Widerspruch steht -- ist zufrieden mit rein decorativer Arbeit,
die das Auge oberflächlich befriedigt, ohne die Seele aus sich herauszuziehen.
Auch darin gleicht das heutige Kaiserreich dem römischen Kaiserthum, daß die
Wandmalerei zum Mittel des Luxus geworden ist; die Klage des Plinius.
daß man mit den herrlichsten Farben -- wozu hier nicht selten eine große
Fertigkeit kommt -- nichts Tüchtiges hervorzubringen wisse, wäre wieder am
Platze. Nur waren die Römer in dem Vortheil, daß sich die Ueberlieferung
euier wunderbar entwickelten Kunstwelt auf sie vererbt hatte und daß sie,
durch keinen radicalen Einschnitt der Culturgeschichte von derselben getrennt,
an den schönen Vorbildern mit noch immer ästhetischem Sinne festhielten. So
kam in ihre Wandbilder ein Zug der herrlichen Phantasie des Alterthums.
Auch haben die Franzosen, da sie der decorativer Malerei sich wieder zu¬
wenden, in dem Gefühl, daß vor der dürftigen Erscheinung der Gegenwart
in den heiteren Gestalten der classischen Anschauung die beste Rettung sei, zu
der Weise der pompejanischen Vorbilder zurückgegriffen (z. B. Mazervlles,
Leon Glaize). Aber diese Anschauung ist uns im Grunde fremd und wird
es auch dann bleiben, wenn sie auf den Räumen des Privathauses sich aus¬
breitet, auch dann, wenn ihr das moderne Bewußtsein durch geistreiche Be¬
ziehungen einen besonderen Reiz geben will.

Aber doch will sich die Malerei ihres Rechtes nicht begeben, das Leben
'in seiner vollen Größe abzubilden, und so die Bedeutung der Kunst in gro¬
ßen Verhältnissen vor Augen stellen. Nicht von den mythologischen Dar¬
stellungen, in denen die belebte Schönheit des menschlichen Körpers das eigent¬
liche Motiv bildet, ist hier die Rede; sondern von den mannigfaltigen Ge¬
mälden, in denen entweder dem Künstler ein beliebiger Stoff einer monumen¬
talen Behandlung werth schien, oder die lebensgroße Ausführung für sich ge¬
nommen, ohne Rücksicht auf die Bedeutung des bekannten Gegenstandes, Zweck
war.

Zu der ersten Gattung gehört ein großes Bild von Gustav Dor6. dem
Illustrator- Dante und Virgil im neunten Kreise der Unterwelt, in der von
einem ungewissen Lichte, nicht Tag. nicht Dämmerung erhellten Eisregion,
um sich die aus dem Eise ragenden, gespensterhafte" und doch der Natur
streng nachgebildeten, vom Krampf des Schmerzes verzerrten Köpfe und Lei¬
ber; ganz in ihrer Nähe die scheußliche Gruppe des Grafen Ugolino und des
Erzbischofs Nuggu'n. wie eben der Erstere mit wilder Heftigkeit die Zähne
>n das Hinterhaupt des LeKteren hackt. Auf die unheimliche, bläuliche Fläche


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aus dieser Wirklichkeit wieder in sich zurückkehrt; seine Erscheinung ist ihm
gleichgiltig. Was ihn erfüllt und bewegt, kaun sich auf den Wänden weder
als ein Spiel der Mythologie noch als Abbild des Wirklichen aussprechen.
Der Sinn für die Pracht der äußeren Existenz — der mit diesem innerlichen
Leben nicht in Widerspruch steht — ist zufrieden mit rein decorativer Arbeit,
die das Auge oberflächlich befriedigt, ohne die Seele aus sich herauszuziehen.
Auch darin gleicht das heutige Kaiserreich dem römischen Kaiserthum, daß die
Wandmalerei zum Mittel des Luxus geworden ist; die Klage des Plinius.
daß man mit den herrlichsten Farben — wozu hier nicht selten eine große
Fertigkeit kommt — nichts Tüchtiges hervorzubringen wisse, wäre wieder am
Platze. Nur waren die Römer in dem Vortheil, daß sich die Ueberlieferung
euier wunderbar entwickelten Kunstwelt auf sie vererbt hatte und daß sie,
durch keinen radicalen Einschnitt der Culturgeschichte von derselben getrennt,
an den schönen Vorbildern mit noch immer ästhetischem Sinne festhielten. So
kam in ihre Wandbilder ein Zug der herrlichen Phantasie des Alterthums.
Auch haben die Franzosen, da sie der decorativer Malerei sich wieder zu¬
wenden, in dem Gefühl, daß vor der dürftigen Erscheinung der Gegenwart
in den heiteren Gestalten der classischen Anschauung die beste Rettung sei, zu
der Weise der pompejanischen Vorbilder zurückgegriffen (z. B. Mazervlles,
Leon Glaize). Aber diese Anschauung ist uns im Grunde fremd und wird
es auch dann bleiben, wenn sie auf den Räumen des Privathauses sich aus¬
breitet, auch dann, wenn ihr das moderne Bewußtsein durch geistreiche Be¬
ziehungen einen besonderen Reiz geben will.

Aber doch will sich die Malerei ihres Rechtes nicht begeben, das Leben
'in seiner vollen Größe abzubilden, und so die Bedeutung der Kunst in gro¬
ßen Verhältnissen vor Augen stellen. Nicht von den mythologischen Dar¬
stellungen, in denen die belebte Schönheit des menschlichen Körpers das eigent¬
liche Motiv bildet, ist hier die Rede; sondern von den mannigfaltigen Ge¬
mälden, in denen entweder dem Künstler ein beliebiger Stoff einer monumen¬
talen Behandlung werth schien, oder die lebensgroße Ausführung für sich ge¬
nommen, ohne Rücksicht auf die Bedeutung des bekannten Gegenstandes, Zweck
war.

Zu der ersten Gattung gehört ein großes Bild von Gustav Dor6. dem
Illustrator- Dante und Virgil im neunten Kreise der Unterwelt, in der von
einem ungewissen Lichte, nicht Tag. nicht Dämmerung erhellten Eisregion,
um sich die aus dem Eise ragenden, gespensterhafte» und doch der Natur
streng nachgebildeten, vom Krampf des Schmerzes verzerrten Köpfe und Lei¬
ber; ganz in ihrer Nähe die scheußliche Gruppe des Grafen Ugolino und des
Erzbischofs Nuggu'n. wie eben der Erstere mit wilder Heftigkeit die Zähne
>n das Hinterhaupt des LeKteren hackt. Auf die unheimliche, bläuliche Fläche


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[0469] aus dieser Wirklichkeit wieder in sich zurückkehrt; seine Erscheinung ist ihm gleichgiltig. Was ihn erfüllt und bewegt, kaun sich auf den Wänden weder als ein Spiel der Mythologie noch als Abbild des Wirklichen aussprechen. Der Sinn für die Pracht der äußeren Existenz — der mit diesem innerlichen Leben nicht in Widerspruch steht — ist zufrieden mit rein decorativer Arbeit, die das Auge oberflächlich befriedigt, ohne die Seele aus sich herauszuziehen. Auch darin gleicht das heutige Kaiserreich dem römischen Kaiserthum, daß die Wandmalerei zum Mittel des Luxus geworden ist; die Klage des Plinius. daß man mit den herrlichsten Farben — wozu hier nicht selten eine große Fertigkeit kommt — nichts Tüchtiges hervorzubringen wisse, wäre wieder am Platze. Nur waren die Römer in dem Vortheil, daß sich die Ueberlieferung euier wunderbar entwickelten Kunstwelt auf sie vererbt hatte und daß sie, durch keinen radicalen Einschnitt der Culturgeschichte von derselben getrennt, an den schönen Vorbildern mit noch immer ästhetischem Sinne festhielten. So kam in ihre Wandbilder ein Zug der herrlichen Phantasie des Alterthums. Auch haben die Franzosen, da sie der decorativer Malerei sich wieder zu¬ wenden, in dem Gefühl, daß vor der dürftigen Erscheinung der Gegenwart in den heiteren Gestalten der classischen Anschauung die beste Rettung sei, zu der Weise der pompejanischen Vorbilder zurückgegriffen (z. B. Mazervlles, Leon Glaize). Aber diese Anschauung ist uns im Grunde fremd und wird es auch dann bleiben, wenn sie auf den Räumen des Privathauses sich aus¬ breitet, auch dann, wenn ihr das moderne Bewußtsein durch geistreiche Be¬ ziehungen einen besonderen Reiz geben will. Aber doch will sich die Malerei ihres Rechtes nicht begeben, das Leben 'in seiner vollen Größe abzubilden, und so die Bedeutung der Kunst in gro¬ ßen Verhältnissen vor Augen stellen. Nicht von den mythologischen Dar¬ stellungen, in denen die belebte Schönheit des menschlichen Körpers das eigent¬ liche Motiv bildet, ist hier die Rede; sondern von den mannigfaltigen Ge¬ mälden, in denen entweder dem Künstler ein beliebiger Stoff einer monumen¬ talen Behandlung werth schien, oder die lebensgroße Ausführung für sich ge¬ nommen, ohne Rücksicht auf die Bedeutung des bekannten Gegenstandes, Zweck war. Zu der ersten Gattung gehört ein großes Bild von Gustav Dor6. dem Illustrator- Dante und Virgil im neunten Kreise der Unterwelt, in der von einem ungewissen Lichte, nicht Tag. nicht Dämmerung erhellten Eisregion, um sich die aus dem Eise ragenden, gespensterhafte» und doch der Natur streng nachgebildeten, vom Krampf des Schmerzes verzerrten Köpfe und Lei¬ ber; ganz in ihrer Nähe die scheußliche Gruppe des Grafen Ugolino und des Erzbischofs Nuggu'n. wie eben der Erstere mit wilder Heftigkeit die Zähne >n das Hinterhaupt des LeKteren hackt. Auf die unheimliche, bläuliche Fläche S8*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/469>, abgerufen am 23.12.2024.