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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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schniegelten Formen machen das Bild noch kälter, die einförmige Nuhe alle
Gesichter gibt den Eindruck der Larve, alle Individualität ist in einer steife
Allgemeinheit untergegangen, selbst in den Porträts ist kein Leben, und au
die bewegte Gestalt ist wie erstarrt. In der Einnahme des Malakoff. die de
Maler vor vier Jahren ausstellte und die sich jetzt in Versailles befindet, ist
ein ganz anderes Leben; hier konnte sich der entscheidende Moment in der
Erscheinung nussprcchcn. und das brachte auch in die Hand des Malers den
Schwung der bewegten Wirklichkeit. Das Bild Yvon's ist ebenfalls der Ty¬
pus einer ganzen Gattung (Devilly: Solferino. der Kaiser sieht den fliehen¬
den Oestreichern nach, dabei wieder ein Haufen Todter, wodurch das Bild in
zwei Hälften zerfällt. Janet-Lange, der Kaiser mit seinem Generalstab
ebenda).

Man steht: in beiden Füllen ist von einer wirklich historischen Kunst nicht
die Rede. In den Kämpfenden kommt die Idee als treibendes, das Indivi¬
duum erfüllendes Pathos uicht zum Borschein und in der Seele des Feldherrn
bleibt sie Gedanke, geht nicht in Handlung über. Daher sind auch diese Bil¬
der nichts weiter als große Genrebilder oder Zusammenstellungen von Porträts
in einer malerischen Umgebung/)

Ihnen schließen sich eine große Menge eigentlicher Genrebilder aus
dem Kriegs- und Soldatenleben an/ die bald einzelne Momente der Schlach¬
ten in kleinerem Maaßstab (Hippolyt und Eugen Bellangö. Charpen-
tier, Couverchel. de Neuville u. s. f.). bald allerlei Situationen vor
oder nach der Schlacht, auch aus der Friedenszeit und der Prosa des Kasernen¬
lebens behandeln. Der Soldat spielt ja überhaupt in Frankreich eine große
Rolle und wirklich sieht auch jeder Einzelne aus. wie wenn er vor allen Stän¬
den allein das Recht hätte, frei und flott sich zu bewegen: dazu kommt ihm
die körperliche Gewandtheit und die Ungezwungenheit zu Statten, mit der er
auch im Dienste sich rührt. Die Bilder sind zum Theil in der zierlichen Ma¬
nier der etwas abgestandenen älteren, historischen Schule gemacht (Philiv-
poteau. von dem Vieles zu Versailles,) auch fehlt es nicht an einigen aka¬
demisch steifen, lebensgroßen Rührstücken (der alte Nouget). Diesen gegen¬
über stehen die Werke der derb-naturalistischen Richtung (Protais. Pezous);
Jeanron gar hat beliebige Soldaten in große italienische Landschaften ge¬
stellt, von denen sie sich wie ausgeschnitten abheben, so daß der Beschauer nicht
weiß, ob er sich an die Figuren oder an die Landschaft halten soll; es ist
eine Verirrung der modernen Kunst, die öfter vorkommt, in der Mischung der



-) Einzelne Schlnchtcnbildcr mit dem Anspruch auf strategische Nichtigkeit panorainaarttg
gehalten, fallen außerhalb des Bereiches der Kunst: ebenso die officiellen Bilder, die den kai¬
serlichen Hof in dieser oder jener gegebenen Situation behandeln.

schniegelten Formen machen das Bild noch kälter, die einförmige Nuhe alle
Gesichter gibt den Eindruck der Larve, alle Individualität ist in einer steife
Allgemeinheit untergegangen, selbst in den Porträts ist kein Leben, und au
die bewegte Gestalt ist wie erstarrt. In der Einnahme des Malakoff. die de
Maler vor vier Jahren ausstellte und die sich jetzt in Versailles befindet, ist
ein ganz anderes Leben; hier konnte sich der entscheidende Moment in der
Erscheinung nussprcchcn. und das brachte auch in die Hand des Malers den
Schwung der bewegten Wirklichkeit. Das Bild Yvon's ist ebenfalls der Ty¬
pus einer ganzen Gattung (Devilly: Solferino. der Kaiser sieht den fliehen¬
den Oestreichern nach, dabei wieder ein Haufen Todter, wodurch das Bild in
zwei Hälften zerfällt. Janet-Lange, der Kaiser mit seinem Generalstab
ebenda).

Man steht: in beiden Füllen ist von einer wirklich historischen Kunst nicht
die Rede. In den Kämpfenden kommt die Idee als treibendes, das Indivi¬
duum erfüllendes Pathos uicht zum Borschein und in der Seele des Feldherrn
bleibt sie Gedanke, geht nicht in Handlung über. Daher sind auch diese Bil¬
der nichts weiter als große Genrebilder oder Zusammenstellungen von Porträts
in einer malerischen Umgebung/)

Ihnen schließen sich eine große Menge eigentlicher Genrebilder aus
dem Kriegs- und Soldatenleben an/ die bald einzelne Momente der Schlach¬
ten in kleinerem Maaßstab (Hippolyt und Eugen Bellangö. Charpen-
tier, Couverchel. de Neuville u. s. f.). bald allerlei Situationen vor
oder nach der Schlacht, auch aus der Friedenszeit und der Prosa des Kasernen¬
lebens behandeln. Der Soldat spielt ja überhaupt in Frankreich eine große
Rolle und wirklich sieht auch jeder Einzelne aus. wie wenn er vor allen Stän¬
den allein das Recht hätte, frei und flott sich zu bewegen: dazu kommt ihm
die körperliche Gewandtheit und die Ungezwungenheit zu Statten, mit der er
auch im Dienste sich rührt. Die Bilder sind zum Theil in der zierlichen Ma¬
nier der etwas abgestandenen älteren, historischen Schule gemacht (Philiv-
poteau. von dem Vieles zu Versailles,) auch fehlt es nicht an einigen aka¬
demisch steifen, lebensgroßen Rührstücken (der alte Nouget). Diesen gegen¬
über stehen die Werke der derb-naturalistischen Richtung (Protais. Pezous);
Jeanron gar hat beliebige Soldaten in große italienische Landschaften ge¬
stellt, von denen sie sich wie ausgeschnitten abheben, so daß der Beschauer nicht
weiß, ob er sich an die Figuren oder an die Landschaft halten soll; es ist
eine Verirrung der modernen Kunst, die öfter vorkommt, in der Mischung der



-) Einzelne Schlnchtcnbildcr mit dem Anspruch auf strategische Nichtigkeit panorainaarttg
gehalten, fallen außerhalb des Bereiches der Kunst: ebenso die officiellen Bilder, die den kai¬
serlichen Hof in dieser oder jener gegebenen Situation behandeln.
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[0466] schniegelten Formen machen das Bild noch kälter, die einförmige Nuhe alle Gesichter gibt den Eindruck der Larve, alle Individualität ist in einer steife Allgemeinheit untergegangen, selbst in den Porträts ist kein Leben, und au die bewegte Gestalt ist wie erstarrt. In der Einnahme des Malakoff. die de Maler vor vier Jahren ausstellte und die sich jetzt in Versailles befindet, ist ein ganz anderes Leben; hier konnte sich der entscheidende Moment in der Erscheinung nussprcchcn. und das brachte auch in die Hand des Malers den Schwung der bewegten Wirklichkeit. Das Bild Yvon's ist ebenfalls der Ty¬ pus einer ganzen Gattung (Devilly: Solferino. der Kaiser sieht den fliehen¬ den Oestreichern nach, dabei wieder ein Haufen Todter, wodurch das Bild in zwei Hälften zerfällt. Janet-Lange, der Kaiser mit seinem Generalstab ebenda). Man steht: in beiden Füllen ist von einer wirklich historischen Kunst nicht die Rede. In den Kämpfenden kommt die Idee als treibendes, das Indivi¬ duum erfüllendes Pathos uicht zum Borschein und in der Seele des Feldherrn bleibt sie Gedanke, geht nicht in Handlung über. Daher sind auch diese Bil¬ der nichts weiter als große Genrebilder oder Zusammenstellungen von Porträts in einer malerischen Umgebung/) Ihnen schließen sich eine große Menge eigentlicher Genrebilder aus dem Kriegs- und Soldatenleben an/ die bald einzelne Momente der Schlach¬ ten in kleinerem Maaßstab (Hippolyt und Eugen Bellangö. Charpen- tier, Couverchel. de Neuville u. s. f.). bald allerlei Situationen vor oder nach der Schlacht, auch aus der Friedenszeit und der Prosa des Kasernen¬ lebens behandeln. Der Soldat spielt ja überhaupt in Frankreich eine große Rolle und wirklich sieht auch jeder Einzelne aus. wie wenn er vor allen Stän¬ den allein das Recht hätte, frei und flott sich zu bewegen: dazu kommt ihm die körperliche Gewandtheit und die Ungezwungenheit zu Statten, mit der er auch im Dienste sich rührt. Die Bilder sind zum Theil in der zierlichen Ma¬ nier der etwas abgestandenen älteren, historischen Schule gemacht (Philiv- poteau. von dem Vieles zu Versailles,) auch fehlt es nicht an einigen aka¬ demisch steifen, lebensgroßen Rührstücken (der alte Nouget). Diesen gegen¬ über stehen die Werke der derb-naturalistischen Richtung (Protais. Pezous); Jeanron gar hat beliebige Soldaten in große italienische Landschaften ge¬ stellt, von denen sie sich wie ausgeschnitten abheben, so daß der Beschauer nicht weiß, ob er sich an die Figuren oder an die Landschaft halten soll; es ist eine Verirrung der modernen Kunst, die öfter vorkommt, in der Mischung der -) Einzelne Schlnchtcnbildcr mit dem Anspruch auf strategische Nichtigkeit panorainaarttg gehalten, fallen außerhalb des Bereiches der Kunst: ebenso die officiellen Bilder, die den kai¬ serlichen Hof in dieser oder jener gegebenen Situation behandeln.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/466>, abgerufen am 23.07.2024.