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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Gattungen einen neuen Effect zu suchen. Das bemerkenswertheste von allen
ist eine Scene vor Sebastopol von Hipp. Bellang6.die durch den etwas
sentimentalen Contrast einfach menschlicher Verhältnisse mit dem wilden Ge¬
tümmel des Krieges anzieht: zwei Freunde, todt beisammenliegend von Um¬
stehenden still betrauert, während einige Andere, durch die Gewohnheit abge¬
stumpft, gleichgültig Hinsehen. Das Bild ist lebendig, stimmungsvoll be¬
handelt, und gut ausgeführt. Es ließe sich von deutschen Kriegsscenen nur
wenig Ebenbürtiges ihm an die Seite setzen.

Hier wäre ein Wort über die Portraits der Öffentlichkeit angehöriger
Personen und über die bedeutenden Werke dieser Gattung überhaupt, die auf
der Ausstellung massenhaft vertreten ist, am Platze. Aber in derselben steht
die neueste Zeit ganz auf dem Boden der vorhergegangenen Kunstperiode und
sind daher ihre bemerkenswerthesten Leistungen in den Verlauf der geschicht¬
lichen Entwickelung aufzunehmen.

Wenn auch die geschichtliche Kunst in engerem Sinne so ziemlich verlassen
ist. so scheint doch die Gegenwart auf die mo n u in en t a l e überhaupt, welche
allgemeine Ideen und Zustände, große Vorwürfe zur Darstellung bringen will,
noch nicht verzichtet zu haben. Auch die neueste Ausstellung bringt noch
Manche Leinwand von beträchtlichem Umfange, die durch die Bedeutung des
Gegenstandes und durch die ideale Behandlung über das Treiben und Drän¬
gen der Gegenwart sich erheben will. Aber diese Arbeiten sind ebenfalls von
keinem erheblichen Werthe. So hat ein junger Künstler: Puvis de Cha-
vannes auf zwei großen Gemälden unter dem Namen Bellum und Concor-
dia die Greuel des Krieges und die Segnungen des Friedens darzustellen ver¬
sucht; Gemälde, von denen die französischen Kritiker viel Aufhebens machen.
Der Maler hat allerdings die Frostigkeit der Allegorie mit ziemlichem Glück ver¬
mieden : er gibt uns Kriegs- und Friedensscencn in den Formen des idealen
Zeitalters, und selbst ein Anflug des Schönheitsgefühls, das die Renaissance
'n derartigen Darstellungen auf den richtigen Weg leitete, läßt sich hie und
erkennen. Nur bilden die verschiedenen Gruppen, welche den Krieg und
Mieder bezeichnen, weder auf dem einem noch dem andern Bilde ein zusammen¬
gehöriges Ganze; die drei nackten Krieger auf dem erstem, welche in die Kriegs-
^'Mnpete stoßen -- sie erinnern an die Bläser in Kaulbachs Jerusalem -- er-
^ekelt die Gruppen der gefesselten Frauen und wehklagenden Greise; auf dem
^'s Friedens stehen die Gruppen der Jäger, der Kränze windenden, weinschenken-
^'u Frauen u. s. f. ohne inneres Verhältniß nebeneinander. Der Künstler
^ bemüht, seine Gestalten in idealem Styl und doch in der Fülle des Le-
^/us zu halten: aber noch reicht die Fähigkeit nicht ganz aus, es fehlt das
°'gentiles malerische Leben, die Wärme des beseelten Erscheinens, die Voll¬
bring in den nackten Formen. Und nur dies kann dergleichen unserer An-


Grenzbotcn III. 1361. 58

Gattungen einen neuen Effect zu suchen. Das bemerkenswertheste von allen
ist eine Scene vor Sebastopol von Hipp. Bellang6.die durch den etwas
sentimentalen Contrast einfach menschlicher Verhältnisse mit dem wilden Ge¬
tümmel des Krieges anzieht: zwei Freunde, todt beisammenliegend von Um¬
stehenden still betrauert, während einige Andere, durch die Gewohnheit abge¬
stumpft, gleichgültig Hinsehen. Das Bild ist lebendig, stimmungsvoll be¬
handelt, und gut ausgeführt. Es ließe sich von deutschen Kriegsscenen nur
wenig Ebenbürtiges ihm an die Seite setzen.

Hier wäre ein Wort über die Portraits der Öffentlichkeit angehöriger
Personen und über die bedeutenden Werke dieser Gattung überhaupt, die auf
der Ausstellung massenhaft vertreten ist, am Platze. Aber in derselben steht
die neueste Zeit ganz auf dem Boden der vorhergegangenen Kunstperiode und
sind daher ihre bemerkenswerthesten Leistungen in den Verlauf der geschicht¬
lichen Entwickelung aufzunehmen.

Wenn auch die geschichtliche Kunst in engerem Sinne so ziemlich verlassen
ist. so scheint doch die Gegenwart auf die mo n u in en t a l e überhaupt, welche
allgemeine Ideen und Zustände, große Vorwürfe zur Darstellung bringen will,
noch nicht verzichtet zu haben. Auch die neueste Ausstellung bringt noch
Manche Leinwand von beträchtlichem Umfange, die durch die Bedeutung des
Gegenstandes und durch die ideale Behandlung über das Treiben und Drän¬
gen der Gegenwart sich erheben will. Aber diese Arbeiten sind ebenfalls von
keinem erheblichen Werthe. So hat ein junger Künstler: Puvis de Cha-
vannes auf zwei großen Gemälden unter dem Namen Bellum und Concor-
dia die Greuel des Krieges und die Segnungen des Friedens darzustellen ver¬
sucht; Gemälde, von denen die französischen Kritiker viel Aufhebens machen.
Der Maler hat allerdings die Frostigkeit der Allegorie mit ziemlichem Glück ver¬
mieden : er gibt uns Kriegs- und Friedensscencn in den Formen des idealen
Zeitalters, und selbst ein Anflug des Schönheitsgefühls, das die Renaissance
'n derartigen Darstellungen auf den richtigen Weg leitete, läßt sich hie und
erkennen. Nur bilden die verschiedenen Gruppen, welche den Krieg und
Mieder bezeichnen, weder auf dem einem noch dem andern Bilde ein zusammen¬
gehöriges Ganze; die drei nackten Krieger auf dem erstem, welche in die Kriegs-
^'Mnpete stoßen — sie erinnern an die Bläser in Kaulbachs Jerusalem — er-
^ekelt die Gruppen der gefesselten Frauen und wehklagenden Greise; auf dem
^'s Friedens stehen die Gruppen der Jäger, der Kränze windenden, weinschenken-
^'u Frauen u. s. f. ohne inneres Verhältniß nebeneinander. Der Künstler
^ bemüht, seine Gestalten in idealem Styl und doch in der Fülle des Le-
^/us zu halten: aber noch reicht die Fähigkeit nicht ganz aus, es fehlt das
°'gentiles malerische Leben, die Wärme des beseelten Erscheinens, die Voll¬
bring in den nackten Formen. Und nur dies kann dergleichen unserer An-


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[0467] Gattungen einen neuen Effect zu suchen. Das bemerkenswertheste von allen ist eine Scene vor Sebastopol von Hipp. Bellang6.die durch den etwas sentimentalen Contrast einfach menschlicher Verhältnisse mit dem wilden Ge¬ tümmel des Krieges anzieht: zwei Freunde, todt beisammenliegend von Um¬ stehenden still betrauert, während einige Andere, durch die Gewohnheit abge¬ stumpft, gleichgültig Hinsehen. Das Bild ist lebendig, stimmungsvoll be¬ handelt, und gut ausgeführt. Es ließe sich von deutschen Kriegsscenen nur wenig Ebenbürtiges ihm an die Seite setzen. Hier wäre ein Wort über die Portraits der Öffentlichkeit angehöriger Personen und über die bedeutenden Werke dieser Gattung überhaupt, die auf der Ausstellung massenhaft vertreten ist, am Platze. Aber in derselben steht die neueste Zeit ganz auf dem Boden der vorhergegangenen Kunstperiode und sind daher ihre bemerkenswerthesten Leistungen in den Verlauf der geschicht¬ lichen Entwickelung aufzunehmen. Wenn auch die geschichtliche Kunst in engerem Sinne so ziemlich verlassen ist. so scheint doch die Gegenwart auf die mo n u in en t a l e überhaupt, welche allgemeine Ideen und Zustände, große Vorwürfe zur Darstellung bringen will, noch nicht verzichtet zu haben. Auch die neueste Ausstellung bringt noch Manche Leinwand von beträchtlichem Umfange, die durch die Bedeutung des Gegenstandes und durch die ideale Behandlung über das Treiben und Drän¬ gen der Gegenwart sich erheben will. Aber diese Arbeiten sind ebenfalls von keinem erheblichen Werthe. So hat ein junger Künstler: Puvis de Cha- vannes auf zwei großen Gemälden unter dem Namen Bellum und Concor- dia die Greuel des Krieges und die Segnungen des Friedens darzustellen ver¬ sucht; Gemälde, von denen die französischen Kritiker viel Aufhebens machen. Der Maler hat allerdings die Frostigkeit der Allegorie mit ziemlichem Glück ver¬ mieden : er gibt uns Kriegs- und Friedensscencn in den Formen des idealen Zeitalters, und selbst ein Anflug des Schönheitsgefühls, das die Renaissance 'n derartigen Darstellungen auf den richtigen Weg leitete, läßt sich hie und erkennen. Nur bilden die verschiedenen Gruppen, welche den Krieg und Mieder bezeichnen, weder auf dem einem noch dem andern Bilde ein zusammen¬ gehöriges Ganze; die drei nackten Krieger auf dem erstem, welche in die Kriegs- ^'Mnpete stoßen — sie erinnern an die Bläser in Kaulbachs Jerusalem — er- ^ekelt die Gruppen der gefesselten Frauen und wehklagenden Greise; auf dem ^'s Friedens stehen die Gruppen der Jäger, der Kränze windenden, weinschenken- ^'u Frauen u. s. f. ohne inneres Verhältniß nebeneinander. Der Künstler ^ bemüht, seine Gestalten in idealem Styl und doch in der Fülle des Le- ^/us zu halten: aber noch reicht die Fähigkeit nicht ganz aus, es fehlt das °'gentiles malerische Leben, die Wärme des beseelten Erscheinens, die Voll¬ bring in den nackten Formen. Und nur dies kann dergleichen unserer An- Grenzbotcn III. 1361. 58

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/467>, abgerufen am 23.07.2024.