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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Extremitäten, dem Aussatze gliche. Zwar sei streng genommen der Aussatz
selbst nicht ansteckend, die aussatzähnliche Krankheit der Cagots jedoch eine
erbliche, und es wäre daher ebenso vernunftgemäß als gerecht, alle gemischten
Heirathen zu verhindern, um nicht jenes Geneigtsein zu diejem schrecklichen
Uebel noch weiter zu verbreiten. Andere wiederholten die Ansicht, daß die
Cagots Abkömmlinge der zur Arianischen Lehre sich bekennenden Westgothen
seien, die nach ihrer Niederlage durch den Frankenkönig Chlodwig, im Jahre
507 n. Chr. die Erlaubniß erhalten hätten in Scptimanien, dein späteren
Languedoc und Guyenne, unter der Bedingung zu bleiben, daß sie ihre
Ketzerei abschwören und sich für alle Zeiten von anderen Menschen entfernt
halten sollten. Diese Annahme ihrer gothischen Abkunft gründet sich auf den
durch Herleitung des Namens geführten, etwas oberflächlichen Beweis. Der
Name Cagots sei nämlich entstanden aus elriölls Llots, e-uis Koth (Lauch
LlotKic-i) -- Gothische Hunde.

Diese beiden Ansichten gehören noch zu den vernünftigeren; weniger
Anspruch auf Glaubwürdigkeit und Logik haben andere. So behaupten
z- B. Manche: obschon wohlgestaltete Leute, tüchtige Arbeiter und in allen
Mechanischen Arbeiten geschickt, trugen die Cagots doch in ihrem Gesicht den
Grund ihrer Verabscheuung. die sie außerdem auch durch ihre Handlungen
rechtfertigten. Denn ihre Augen besäßen die Jettatura. oder den scheelen
Blick; ihr Charakter aber sei grausam, tückisch und hinterlistig. Es rühre
dies ganz natürlich von ihrem Vorfahren Gehasi. Elias Diener, gerade sowie
auch die Anlage zum Aussatze her. Daß sie Abkömmlinge von Saracenen seien,
war eine andere Ansicht. Zur Bestätigung derselben trug der vorherrschende
Glaube bei. daß alle Cagots einen schrecklichen Geruch verbreiteten. Die Lon-
gobarden waren ebenfalls ein übelriechender Stamm, wenigstens standen sie
bei den Italienern in diesem Rufe. Dies bezeugt der Brief des Papstes Ste¬
phan an Karl den Großen, in welchem er diesem abrieth, Bertha. die Toch¬
ter des Longobardenkönigs Desiderius zu Frau zu nehmen. Da nun die
Langobarden, die sich ihrer morgcnlündischen Abkunft rühmten, mit einem
üblen Gerüche behaftet waren, so konnte nichts natürlicher und folgerichtiger
s^n, als daß die Cagots. da sie mit einem üblen Gerüche behaftet, auch mor-
Senländischer Abkunft waren. Gleich richtige und überzeugende Beweise wa-
folgende: die Saracenen jagten die Gothen aus Spanien; daher hießen
sie Mens oder ekasseurs ach Sotlrs, woraus der Name Cagots entstand. Fer¬
ner: die Saracenen waren Mohammedaner und als solche verpflichtet, sich
sübenmal täglich zu baden; nun trugen die Cagots als Abzeichen einen Enten-
fuß: die Ente hielt sich viel im Wasser auf. der Entenfuß sollte also an den
^brauch der Mohammedaner, sich oft zu baden, erinnern. Der allgemeine


Extremitäten, dem Aussatze gliche. Zwar sei streng genommen der Aussatz
selbst nicht ansteckend, die aussatzähnliche Krankheit der Cagots jedoch eine
erbliche, und es wäre daher ebenso vernunftgemäß als gerecht, alle gemischten
Heirathen zu verhindern, um nicht jenes Geneigtsein zu diejem schrecklichen
Uebel noch weiter zu verbreiten. Andere wiederholten die Ansicht, daß die
Cagots Abkömmlinge der zur Arianischen Lehre sich bekennenden Westgothen
seien, die nach ihrer Niederlage durch den Frankenkönig Chlodwig, im Jahre
507 n. Chr. die Erlaubniß erhalten hätten in Scptimanien, dein späteren
Languedoc und Guyenne, unter der Bedingung zu bleiben, daß sie ihre
Ketzerei abschwören und sich für alle Zeiten von anderen Menschen entfernt
halten sollten. Diese Annahme ihrer gothischen Abkunft gründet sich auf den
durch Herleitung des Namens geführten, etwas oberflächlichen Beweis. Der
Name Cagots sei nämlich entstanden aus elriölls Llots, e-uis Koth (Lauch
LlotKic-i) — Gothische Hunde.

Diese beiden Ansichten gehören noch zu den vernünftigeren; weniger
Anspruch auf Glaubwürdigkeit und Logik haben andere. So behaupten
z- B. Manche: obschon wohlgestaltete Leute, tüchtige Arbeiter und in allen
Mechanischen Arbeiten geschickt, trugen die Cagots doch in ihrem Gesicht den
Grund ihrer Verabscheuung. die sie außerdem auch durch ihre Handlungen
rechtfertigten. Denn ihre Augen besäßen die Jettatura. oder den scheelen
Blick; ihr Charakter aber sei grausam, tückisch und hinterlistig. Es rühre
dies ganz natürlich von ihrem Vorfahren Gehasi. Elias Diener, gerade sowie
auch die Anlage zum Aussatze her. Daß sie Abkömmlinge von Saracenen seien,
war eine andere Ansicht. Zur Bestätigung derselben trug der vorherrschende
Glaube bei. daß alle Cagots einen schrecklichen Geruch verbreiteten. Die Lon-
gobarden waren ebenfalls ein übelriechender Stamm, wenigstens standen sie
bei den Italienern in diesem Rufe. Dies bezeugt der Brief des Papstes Ste¬
phan an Karl den Großen, in welchem er diesem abrieth, Bertha. die Toch¬
ter des Longobardenkönigs Desiderius zu Frau zu nehmen. Da nun die
Langobarden, die sich ihrer morgcnlündischen Abkunft rühmten, mit einem
üblen Gerüche behaftet waren, so konnte nichts natürlicher und folgerichtiger
s^n, als daß die Cagots. da sie mit einem üblen Gerüche behaftet, auch mor-
Senländischer Abkunft waren. Gleich richtige und überzeugende Beweise wa-
folgende: die Saracenen jagten die Gothen aus Spanien; daher hießen
sie Mens oder ekasseurs ach Sotlrs, woraus der Name Cagots entstand. Fer¬
ner: die Saracenen waren Mohammedaner und als solche verpflichtet, sich
sübenmal täglich zu baden; nun trugen die Cagots als Abzeichen einen Enten-
fuß: die Ente hielt sich viel im Wasser auf. der Entenfuß sollte also an den
^brauch der Mohammedaner, sich oft zu baden, erinnern. Der allgemeine


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[0439] Extremitäten, dem Aussatze gliche. Zwar sei streng genommen der Aussatz selbst nicht ansteckend, die aussatzähnliche Krankheit der Cagots jedoch eine erbliche, und es wäre daher ebenso vernunftgemäß als gerecht, alle gemischten Heirathen zu verhindern, um nicht jenes Geneigtsein zu diejem schrecklichen Uebel noch weiter zu verbreiten. Andere wiederholten die Ansicht, daß die Cagots Abkömmlinge der zur Arianischen Lehre sich bekennenden Westgothen seien, die nach ihrer Niederlage durch den Frankenkönig Chlodwig, im Jahre 507 n. Chr. die Erlaubniß erhalten hätten in Scptimanien, dein späteren Languedoc und Guyenne, unter der Bedingung zu bleiben, daß sie ihre Ketzerei abschwören und sich für alle Zeiten von anderen Menschen entfernt halten sollten. Diese Annahme ihrer gothischen Abkunft gründet sich auf den durch Herleitung des Namens geführten, etwas oberflächlichen Beweis. Der Name Cagots sei nämlich entstanden aus elriölls Llots, e-uis Koth (Lauch LlotKic-i) — Gothische Hunde. Diese beiden Ansichten gehören noch zu den vernünftigeren; weniger Anspruch auf Glaubwürdigkeit und Logik haben andere. So behaupten z- B. Manche: obschon wohlgestaltete Leute, tüchtige Arbeiter und in allen Mechanischen Arbeiten geschickt, trugen die Cagots doch in ihrem Gesicht den Grund ihrer Verabscheuung. die sie außerdem auch durch ihre Handlungen rechtfertigten. Denn ihre Augen besäßen die Jettatura. oder den scheelen Blick; ihr Charakter aber sei grausam, tückisch und hinterlistig. Es rühre dies ganz natürlich von ihrem Vorfahren Gehasi. Elias Diener, gerade sowie auch die Anlage zum Aussatze her. Daß sie Abkömmlinge von Saracenen seien, war eine andere Ansicht. Zur Bestätigung derselben trug der vorherrschende Glaube bei. daß alle Cagots einen schrecklichen Geruch verbreiteten. Die Lon- gobarden waren ebenfalls ein übelriechender Stamm, wenigstens standen sie bei den Italienern in diesem Rufe. Dies bezeugt der Brief des Papstes Ste¬ phan an Karl den Großen, in welchem er diesem abrieth, Bertha. die Toch¬ ter des Longobardenkönigs Desiderius zu Frau zu nehmen. Da nun die Langobarden, die sich ihrer morgcnlündischen Abkunft rühmten, mit einem üblen Gerüche behaftet waren, so konnte nichts natürlicher und folgerichtiger s^n, als daß die Cagots. da sie mit einem üblen Gerüche behaftet, auch mor- Senländischer Abkunft waren. Gleich richtige und überzeugende Beweise wa- folgende: die Saracenen jagten die Gothen aus Spanien; daher hießen sie Mens oder ekasseurs ach Sotlrs, woraus der Name Cagots entstand. Fer¬ ner: die Saracenen waren Mohammedaner und als solche verpflichtet, sich sübenmal täglich zu baden; nun trugen die Cagots als Abzeichen einen Enten- fuß: die Ente hielt sich viel im Wasser auf. der Entenfuß sollte also an den ^brauch der Mohammedaner, sich oft zu baden, erinnern. Der allgemeine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/439>, abgerufen am 22.07.2024.