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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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sicher Beziehung mit den übrigen Menschen gleichzustellen, indem er zuerst
ihnen erlaubte ein kirchliches Amt zu bekleiden. Doch kaum sollte man es
für möglich halten, daß es unter ihnen Leute gab, die so beschränkt waren,
daß sie ein ihnen angebotenes Amt aufschlugen, aus dem einzigen Grunde,
weil, wenn sie auf diese Weise ihre Gleichstellung erlangt hatten, sie dieselben
Abgaben entrichten mußten, wie Andere, anstatt des geringeren Rancale oder
der Kopfsteuer, die von jedem Cagot erhoben wurde. Hier sei noch bemerkt,
daß der, welcher diese Abgabe eintrieb, das Recht hatte, in jeder Cagotwoh-
nung ein Stück Brod für seinen Hund in Anspruch zu nehmen.

An manchen Orten machte es sich noch in diesem Jahrhundert nöthig,
daß der Archidiakonus des Distnetes, von seinen sämmtlichen Geistlichen ge¬
folgt, durch die kleine, besonders für die Cagots eingerichtete Kirchthür ziehen
mußte, um den Aberglauben zu vernichten, der noch immer das Volk abge¬
neigt machte, selbst im Gotteshause mit den Cagots in Berührung zu kom¬
men. Einst spielte ein Cagot der ganzen in der Kirche anwesenden Gemeinde
zu Lerroque einen fatalen Streich. Während nämlich, wie erwähnt, der größte
Theil der Einwohner voller Andacht der Messe beiwohnte, verschloß er das
große Thor der Kirche, steckte, um die Anwendung eines zweiten Schlüssels
unmöglich zu machen, Kies in das Schloß, und hatte nun die Genugthuung,
das stolze Volk vom reinen Blute gebückten Hauptes durch die niedrige Thür
der verabscheuten Race herausziehen zu sehen.

Manches Gute brachte die große französische Revolution durch die im
Volke herrschende Gährung auch in Bezug auf die Cagots hervor. Der in¬
telligentere Theil der Bevölkerung suchte auf jede Weise das Vorurtheil gegen
die Cagots zu überwinden. Diese benutzten die große Bewegung auf eine
andere Weise zu ihrem Vortheil; sie bemühten sich nämlich alle Documente
und schriftlichen Beweise über ihre Paria-Abkunft zu vernichten, und es gelang
ihnen dies auch in vieler Beziehung. Doch viel hat es ihnen nicht genützt;
denn wenn auch die schriftlichen Nachrichten mangelhaft sind, so ist doch die
mündliche Ueberlieferung geblieben und bezeichnet diese oder jene Familie als
Cagots.

An den verschiedensten, oft ungereimtesten Hypothesen in Bezug auf >lM
Herkunft, in der natürlich die Verachtung und der Abscheu, mit dem man sie
betrachtete, ihren Grund hatten, hat es nicht gefehlt. Einige Gelehrte be¬
haupten: Der Widerwille, der sich gegen die Cagots äußere, sei in einer Zelt
entstanden, als der Aussatz noch eine in furchtbarer Weise vorherrschende
Krankheit gewesen. Nun seien die Cagots mehr als andere Menschen einer
Hautkrankheit ausgesetzt, die in manchen ihrer Symptome, wie z. B. in einer
todtenähnlichen weißen Gesichtsfarbe sowie Anschwellung des Kopfes und der


sicher Beziehung mit den übrigen Menschen gleichzustellen, indem er zuerst
ihnen erlaubte ein kirchliches Amt zu bekleiden. Doch kaum sollte man es
für möglich halten, daß es unter ihnen Leute gab, die so beschränkt waren,
daß sie ein ihnen angebotenes Amt aufschlugen, aus dem einzigen Grunde,
weil, wenn sie auf diese Weise ihre Gleichstellung erlangt hatten, sie dieselben
Abgaben entrichten mußten, wie Andere, anstatt des geringeren Rancale oder
der Kopfsteuer, die von jedem Cagot erhoben wurde. Hier sei noch bemerkt,
daß der, welcher diese Abgabe eintrieb, das Recht hatte, in jeder Cagotwoh-
nung ein Stück Brod für seinen Hund in Anspruch zu nehmen.

An manchen Orten machte es sich noch in diesem Jahrhundert nöthig,
daß der Archidiakonus des Distnetes, von seinen sämmtlichen Geistlichen ge¬
folgt, durch die kleine, besonders für die Cagots eingerichtete Kirchthür ziehen
mußte, um den Aberglauben zu vernichten, der noch immer das Volk abge¬
neigt machte, selbst im Gotteshause mit den Cagots in Berührung zu kom¬
men. Einst spielte ein Cagot der ganzen in der Kirche anwesenden Gemeinde
zu Lerroque einen fatalen Streich. Während nämlich, wie erwähnt, der größte
Theil der Einwohner voller Andacht der Messe beiwohnte, verschloß er das
große Thor der Kirche, steckte, um die Anwendung eines zweiten Schlüssels
unmöglich zu machen, Kies in das Schloß, und hatte nun die Genugthuung,
das stolze Volk vom reinen Blute gebückten Hauptes durch die niedrige Thür
der verabscheuten Race herausziehen zu sehen.

Manches Gute brachte die große französische Revolution durch die im
Volke herrschende Gährung auch in Bezug auf die Cagots hervor. Der in¬
telligentere Theil der Bevölkerung suchte auf jede Weise das Vorurtheil gegen
die Cagots zu überwinden. Diese benutzten die große Bewegung auf eine
andere Weise zu ihrem Vortheil; sie bemühten sich nämlich alle Documente
und schriftlichen Beweise über ihre Paria-Abkunft zu vernichten, und es gelang
ihnen dies auch in vieler Beziehung. Doch viel hat es ihnen nicht genützt;
denn wenn auch die schriftlichen Nachrichten mangelhaft sind, so ist doch die
mündliche Ueberlieferung geblieben und bezeichnet diese oder jene Familie als
Cagots.

An den verschiedensten, oft ungereimtesten Hypothesen in Bezug auf >lM
Herkunft, in der natürlich die Verachtung und der Abscheu, mit dem man sie
betrachtete, ihren Grund hatten, hat es nicht gefehlt. Einige Gelehrte be¬
haupten: Der Widerwille, der sich gegen die Cagots äußere, sei in einer Zelt
entstanden, als der Aussatz noch eine in furchtbarer Weise vorherrschende
Krankheit gewesen. Nun seien die Cagots mehr als andere Menschen einer
Hautkrankheit ausgesetzt, die in manchen ihrer Symptome, wie z. B. in einer
todtenähnlichen weißen Gesichtsfarbe sowie Anschwellung des Kopfes und der


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[0438] sicher Beziehung mit den übrigen Menschen gleichzustellen, indem er zuerst ihnen erlaubte ein kirchliches Amt zu bekleiden. Doch kaum sollte man es für möglich halten, daß es unter ihnen Leute gab, die so beschränkt waren, daß sie ein ihnen angebotenes Amt aufschlugen, aus dem einzigen Grunde, weil, wenn sie auf diese Weise ihre Gleichstellung erlangt hatten, sie dieselben Abgaben entrichten mußten, wie Andere, anstatt des geringeren Rancale oder der Kopfsteuer, die von jedem Cagot erhoben wurde. Hier sei noch bemerkt, daß der, welcher diese Abgabe eintrieb, das Recht hatte, in jeder Cagotwoh- nung ein Stück Brod für seinen Hund in Anspruch zu nehmen. An manchen Orten machte es sich noch in diesem Jahrhundert nöthig, daß der Archidiakonus des Distnetes, von seinen sämmtlichen Geistlichen ge¬ folgt, durch die kleine, besonders für die Cagots eingerichtete Kirchthür ziehen mußte, um den Aberglauben zu vernichten, der noch immer das Volk abge¬ neigt machte, selbst im Gotteshause mit den Cagots in Berührung zu kom¬ men. Einst spielte ein Cagot der ganzen in der Kirche anwesenden Gemeinde zu Lerroque einen fatalen Streich. Während nämlich, wie erwähnt, der größte Theil der Einwohner voller Andacht der Messe beiwohnte, verschloß er das große Thor der Kirche, steckte, um die Anwendung eines zweiten Schlüssels unmöglich zu machen, Kies in das Schloß, und hatte nun die Genugthuung, das stolze Volk vom reinen Blute gebückten Hauptes durch die niedrige Thür der verabscheuten Race herausziehen zu sehen. Manches Gute brachte die große französische Revolution durch die im Volke herrschende Gährung auch in Bezug auf die Cagots hervor. Der in¬ telligentere Theil der Bevölkerung suchte auf jede Weise das Vorurtheil gegen die Cagots zu überwinden. Diese benutzten die große Bewegung auf eine andere Weise zu ihrem Vortheil; sie bemühten sich nämlich alle Documente und schriftlichen Beweise über ihre Paria-Abkunft zu vernichten, und es gelang ihnen dies auch in vieler Beziehung. Doch viel hat es ihnen nicht genützt; denn wenn auch die schriftlichen Nachrichten mangelhaft sind, so ist doch die mündliche Ueberlieferung geblieben und bezeichnet diese oder jene Familie als Cagots. An den verschiedensten, oft ungereimtesten Hypothesen in Bezug auf >lM Herkunft, in der natürlich die Verachtung und der Abscheu, mit dem man sie betrachtete, ihren Grund hatten, hat es nicht gefehlt. Einige Gelehrte be¬ haupten: Der Widerwille, der sich gegen die Cagots äußere, sei in einer Zelt entstanden, als der Aussatz noch eine in furchtbarer Weise vorherrschende Krankheit gewesen. Nun seien die Cagots mehr als andere Menschen einer Hautkrankheit ausgesetzt, die in manchen ihrer Symptome, wie z. B. in einer todtenähnlichen weißen Gesichtsfarbe sowie Anschwellung des Kopfes und der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/438>, abgerufen am 23.12.2024.