Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nur das, was er nicht mehr halten konnte und soweit, um sich in Stand zu
setzen seine Kräfte mehr zu concentriren und im Früjahr über die zersprengte
Koalition mit erneuter Energie herzufallen. Die Festungen an der Weichsel
und Oder und an der Oberelbe erbietet er sich zu räumen, weil ihre Be¬
satzungen, jetzt gänzlich von ihm abgeschnitten, dann seinem Heere ein Ver¬
stärkung von mindestens t 00,000 Mann geübter Truppen zuführten, an denen
er großen Mangel fühlte; behalten will er aber Magdeburg und strenggenom¬
men auch Wittenberg, und die Räumung von Hamburg macht er von, jeden¬
falls erst nach langen Unterhandlungen zu erfüllenden, Bedingungen abhängig.
Auch das Protectorat über den Rheinbund gibt er auf, als er Bayerns Ab¬
fall erfährt, aber will sich doch bloß bis hinter die Saale zurückziehen und
natürlich Erfurt und Mainz behalten. In dieser Stellung blieb er, trotz Bayerns'
factisch Herr der westlichen Hälfte Deutschlands und bedrohte durch den Besitz
der drei Brückenköpfe Hamburg, Magdeburg und Wittenberg, fortwährend
den gefährlichsten und thätigsten seiner Gegner. Preußen. Außerdem noch
durch ansehnliche Zuzüge altgedienter Truppen verstärkt, befand er sich nach
einem halben Dutzend verlorener Hauptschlachten in einer besseren Lage, als
zu Anfang des Feldzuges, vor der Schlacht bei Lützen.

Trotz dieser schweren Bedenken räth Wilson in seinen Tagebüchern zu
Annahme dieser Bedingungen und klagt über die Anderen, die grenAäisrs
xolitieienL -- Kommes ä'etÄt eulÄA'6s -- wie er sie nennt, die schon davon
träumten, per Courier in vierzehn Tagen am Rhein zu sein. Bor Allem warnt
er davor, die natürlichen Grenzen Frankreichs zu verletzen; denn 280,000 Fran¬
zosen seien bereit zu dem Fahnen zu eilen und würden binnen 6 Wochen Na¬
poleon in Besitz eines Heeres bringen, wie er es noch nie vorher so furchtbar
gehabt. Schwarzenberg und Radetzky sind zwei von den wenigen, ..verstän¬
digen" Leuten, die seine Ansichten theilen, die Anderen erscheinen als unver¬
ständige Schwärmer. Die Erfolge der Verbündeten ist er immer geneigt durch
das Mikroskop anzusehen; bei Leipzig z. B. hätte Napoleon im Grunde nur,
ohne förmlich geschlagen zu sein, seine Arriöregarde verloren; dagegen erblickt
er in dem winzigen Erfolg Samt Cyr's vor Dresden gegen Tolstoy einen
Entscheidungsschlag, der die Verbündeten auf das Gefährlichste im Rücken zu
bedrohen geeignet ist. Murrend und tadelnd folgt er dem Hauptquartier nach
Frankfurt". M., wo er nur in der, anfangs Frieden verheißenden, Sendung
Saint Aignans einigen Trost findet. Als trotzdem die Verbündeten mit dem
neuen Jahre über den Rhein gingen, befand sich General Wilson bereits nicht
mehr im großen Hauptquartier.

Der Anlaß zu seiner Versetzung war. wie es scheint. Gneisenau gewesen.
Man weiß, wie weit im preußischen Hauptquartier nach der Schlacht von
Bnutzen die Ansichten über den abzuschließenden Waffenstillstand auseinander


nur das, was er nicht mehr halten konnte und soweit, um sich in Stand zu
setzen seine Kräfte mehr zu concentriren und im Früjahr über die zersprengte
Koalition mit erneuter Energie herzufallen. Die Festungen an der Weichsel
und Oder und an der Oberelbe erbietet er sich zu räumen, weil ihre Be¬
satzungen, jetzt gänzlich von ihm abgeschnitten, dann seinem Heere ein Ver¬
stärkung von mindestens t 00,000 Mann geübter Truppen zuführten, an denen
er großen Mangel fühlte; behalten will er aber Magdeburg und strenggenom¬
men auch Wittenberg, und die Räumung von Hamburg macht er von, jeden¬
falls erst nach langen Unterhandlungen zu erfüllenden, Bedingungen abhängig.
Auch das Protectorat über den Rheinbund gibt er auf, als er Bayerns Ab¬
fall erfährt, aber will sich doch bloß bis hinter die Saale zurückziehen und
natürlich Erfurt und Mainz behalten. In dieser Stellung blieb er, trotz Bayerns'
factisch Herr der westlichen Hälfte Deutschlands und bedrohte durch den Besitz
der drei Brückenköpfe Hamburg, Magdeburg und Wittenberg, fortwährend
den gefährlichsten und thätigsten seiner Gegner. Preußen. Außerdem noch
durch ansehnliche Zuzüge altgedienter Truppen verstärkt, befand er sich nach
einem halben Dutzend verlorener Hauptschlachten in einer besseren Lage, als
zu Anfang des Feldzuges, vor der Schlacht bei Lützen.

Trotz dieser schweren Bedenken räth Wilson in seinen Tagebüchern zu
Annahme dieser Bedingungen und klagt über die Anderen, die grenAäisrs
xolitieienL — Kommes ä'etÄt eulÄA'6s — wie er sie nennt, die schon davon
träumten, per Courier in vierzehn Tagen am Rhein zu sein. Bor Allem warnt
er davor, die natürlichen Grenzen Frankreichs zu verletzen; denn 280,000 Fran¬
zosen seien bereit zu dem Fahnen zu eilen und würden binnen 6 Wochen Na¬
poleon in Besitz eines Heeres bringen, wie er es noch nie vorher so furchtbar
gehabt. Schwarzenberg und Radetzky sind zwei von den wenigen, ..verstän¬
digen" Leuten, die seine Ansichten theilen, die Anderen erscheinen als unver¬
ständige Schwärmer. Die Erfolge der Verbündeten ist er immer geneigt durch
das Mikroskop anzusehen; bei Leipzig z. B. hätte Napoleon im Grunde nur,
ohne förmlich geschlagen zu sein, seine Arriöregarde verloren; dagegen erblickt
er in dem winzigen Erfolg Samt Cyr's vor Dresden gegen Tolstoy einen
Entscheidungsschlag, der die Verbündeten auf das Gefährlichste im Rücken zu
bedrohen geeignet ist. Murrend und tadelnd folgt er dem Hauptquartier nach
Frankfurt». M., wo er nur in der, anfangs Frieden verheißenden, Sendung
Saint Aignans einigen Trost findet. Als trotzdem die Verbündeten mit dem
neuen Jahre über den Rhein gingen, befand sich General Wilson bereits nicht
mehr im großen Hauptquartier.

Der Anlaß zu seiner Versetzung war. wie es scheint. Gneisenau gewesen.
Man weiß, wie weit im preußischen Hauptquartier nach der Schlacht von
Bnutzen die Ansichten über den abzuschließenden Waffenstillstand auseinander


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0312" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112282"/>
            <p xml:id="ID_1021" prev="#ID_1020"> nur das, was er nicht mehr halten konnte und soweit, um sich in Stand zu<lb/>
setzen seine Kräfte mehr zu concentriren und im Früjahr über die zersprengte<lb/>
Koalition mit erneuter Energie herzufallen. Die Festungen an der Weichsel<lb/>
und Oder und an der Oberelbe erbietet er sich zu räumen, weil ihre Be¬<lb/>
satzungen, jetzt gänzlich von ihm abgeschnitten, dann seinem Heere ein Ver¬<lb/>
stärkung von mindestens t 00,000 Mann geübter Truppen zuführten, an denen<lb/>
er großen Mangel fühlte; behalten will er aber Magdeburg und strenggenom¬<lb/>
men auch Wittenberg, und die Räumung von Hamburg macht er von, jeden¬<lb/>
falls erst nach langen Unterhandlungen zu erfüllenden, Bedingungen abhängig.<lb/>
Auch das Protectorat über den Rheinbund gibt er auf, als er Bayerns Ab¬<lb/>
fall erfährt, aber will sich doch bloß bis hinter die Saale zurückziehen und<lb/>
natürlich Erfurt und Mainz behalten. In dieser Stellung blieb er, trotz Bayerns'<lb/>
factisch Herr der westlichen Hälfte Deutschlands und bedrohte durch den Besitz<lb/>
der drei Brückenköpfe Hamburg, Magdeburg und Wittenberg, fortwährend<lb/>
den gefährlichsten und thätigsten seiner Gegner. Preußen. Außerdem noch<lb/>
durch ansehnliche Zuzüge altgedienter Truppen verstärkt, befand er sich nach<lb/>
einem halben Dutzend verlorener Hauptschlachten in einer besseren Lage, als<lb/>
zu Anfang des Feldzuges, vor der Schlacht bei Lützen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1022"> Trotz dieser schweren Bedenken räth Wilson in seinen Tagebüchern zu<lb/>
Annahme dieser Bedingungen und klagt über die Anderen, die grenAäisrs<lb/>
xolitieienL &#x2014; Kommes ä'etÄt eulÄA'6s &#x2014; wie er sie nennt, die schon davon<lb/>
träumten, per Courier in vierzehn Tagen am Rhein zu sein. Bor Allem warnt<lb/>
er davor, die natürlichen Grenzen Frankreichs zu verletzen; denn 280,000 Fran¬<lb/>
zosen seien bereit zu dem Fahnen zu eilen und würden binnen 6 Wochen Na¬<lb/>
poleon in Besitz eines Heeres bringen, wie er es noch nie vorher so furchtbar<lb/>
gehabt. Schwarzenberg und Radetzky sind zwei von den wenigen, ..verstän¬<lb/>
digen" Leuten, die seine Ansichten theilen, die Anderen erscheinen als unver¬<lb/>
ständige Schwärmer. Die Erfolge der Verbündeten ist er immer geneigt durch<lb/>
das Mikroskop anzusehen; bei Leipzig z. B. hätte Napoleon im Grunde nur,<lb/>
ohne förmlich geschlagen zu sein, seine Arriöregarde verloren; dagegen erblickt<lb/>
er in dem winzigen Erfolg Samt Cyr's vor Dresden gegen Tolstoy einen<lb/>
Entscheidungsschlag, der die Verbündeten auf das Gefährlichste im Rücken zu<lb/>
bedrohen geeignet ist. Murrend und tadelnd folgt er dem Hauptquartier nach<lb/>
Frankfurt». M., wo er nur in der, anfangs Frieden verheißenden, Sendung<lb/>
Saint Aignans einigen Trost findet. Als trotzdem die Verbündeten mit dem<lb/>
neuen Jahre über den Rhein gingen, befand sich General Wilson bereits nicht<lb/>
mehr im großen Hauptquartier.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1023" next="#ID_1024"> Der Anlaß zu seiner Versetzung war. wie es scheint. Gneisenau gewesen.<lb/>
Man weiß, wie weit im preußischen Hauptquartier nach der Schlacht von<lb/>
Bnutzen die Ansichten über den abzuschließenden Waffenstillstand auseinander</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0312] nur das, was er nicht mehr halten konnte und soweit, um sich in Stand zu setzen seine Kräfte mehr zu concentriren und im Früjahr über die zersprengte Koalition mit erneuter Energie herzufallen. Die Festungen an der Weichsel und Oder und an der Oberelbe erbietet er sich zu räumen, weil ihre Be¬ satzungen, jetzt gänzlich von ihm abgeschnitten, dann seinem Heere ein Ver¬ stärkung von mindestens t 00,000 Mann geübter Truppen zuführten, an denen er großen Mangel fühlte; behalten will er aber Magdeburg und strenggenom¬ men auch Wittenberg, und die Räumung von Hamburg macht er von, jeden¬ falls erst nach langen Unterhandlungen zu erfüllenden, Bedingungen abhängig. Auch das Protectorat über den Rheinbund gibt er auf, als er Bayerns Ab¬ fall erfährt, aber will sich doch bloß bis hinter die Saale zurückziehen und natürlich Erfurt und Mainz behalten. In dieser Stellung blieb er, trotz Bayerns' factisch Herr der westlichen Hälfte Deutschlands und bedrohte durch den Besitz der drei Brückenköpfe Hamburg, Magdeburg und Wittenberg, fortwährend den gefährlichsten und thätigsten seiner Gegner. Preußen. Außerdem noch durch ansehnliche Zuzüge altgedienter Truppen verstärkt, befand er sich nach einem halben Dutzend verlorener Hauptschlachten in einer besseren Lage, als zu Anfang des Feldzuges, vor der Schlacht bei Lützen. Trotz dieser schweren Bedenken räth Wilson in seinen Tagebüchern zu Annahme dieser Bedingungen und klagt über die Anderen, die grenAäisrs xolitieienL — Kommes ä'etÄt eulÄA'6s — wie er sie nennt, die schon davon träumten, per Courier in vierzehn Tagen am Rhein zu sein. Bor Allem warnt er davor, die natürlichen Grenzen Frankreichs zu verletzen; denn 280,000 Fran¬ zosen seien bereit zu dem Fahnen zu eilen und würden binnen 6 Wochen Na¬ poleon in Besitz eines Heeres bringen, wie er es noch nie vorher so furchtbar gehabt. Schwarzenberg und Radetzky sind zwei von den wenigen, ..verstän¬ digen" Leuten, die seine Ansichten theilen, die Anderen erscheinen als unver¬ ständige Schwärmer. Die Erfolge der Verbündeten ist er immer geneigt durch das Mikroskop anzusehen; bei Leipzig z. B. hätte Napoleon im Grunde nur, ohne förmlich geschlagen zu sein, seine Arriöregarde verloren; dagegen erblickt er in dem winzigen Erfolg Samt Cyr's vor Dresden gegen Tolstoy einen Entscheidungsschlag, der die Verbündeten auf das Gefährlichste im Rücken zu bedrohen geeignet ist. Murrend und tadelnd folgt er dem Hauptquartier nach Frankfurt». M., wo er nur in der, anfangs Frieden verheißenden, Sendung Saint Aignans einigen Trost findet. Als trotzdem die Verbündeten mit dem neuen Jahre über den Rhein gingen, befand sich General Wilson bereits nicht mehr im großen Hauptquartier. Der Anlaß zu seiner Versetzung war. wie es scheint. Gneisenau gewesen. Man weiß, wie weit im preußischen Hauptquartier nach der Schlacht von Bnutzen die Ansichten über den abzuschließenden Waffenstillstand auseinander

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/312
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/312>, abgerufen am 23.07.2024.