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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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unter allerlei Volk, meinst du nicht, daß ihre Umlaufe für eine Taufe gerechnet wird,
und wird also dies, so da sonst umgetauft ist und recht und wohl thut, dich
richten, der du unterm EvangeNo und der Taufe bist und ein Uebertreter der
Gebote Christi. Richtet nach dem Geist und nicht "ach dem Buchstaben."
Der Umstand, daß die Heiden vom Dasein Gottes durch Vernunftbeweise
überzeugt werden tonnen, stellt sie mitten in den GnadenkreiH Gottes hinein:
Der Mystiker kommt in der Ethik, allmälig dem Rationalismus des 18. Jahr-
Hunderts so nahe, daß man beinahe seinen Ausgangspunkt vergißt. -- W>e
ketzerisch aber in jener Zeit diese Grundsätze über Gewissensfreiheit waren,
geht aus dem hervor, was selbst die erleuchtetsten Theologen, welche
es mit der ethischen Förderung des Volksgeistes am aufrichtigsten meinten, >n
diesem Punkte für das Zweckdienlichste erachteten. Die Anordnungen, welche
man hier und da traf, eine wirksame Kirchenzucht herzustellen, sollten nicht
nur das sittlich-religiöse Leben stärken, sondern zugleich die einzelnen Glieder
in einer geschlossenen dogmatischen Sicherheit befestigen/) Von einer bür¬
gerlichen Gleichstellung der einzelnen Confessionen in unserm suae konnte in
jenen Zeiten überhaupt nicht die Rede sein; der Calvinismus hatte ja noch
nicht einmal Ausnahme im Reichsorganismus gefunden, und Ferdinand der
Zweite so wie Maximilian von Bayern standen immer noch in der fröhlichen
Hoffnung, ihn ganz vom Reichsbodcn vertilgen zu können. Andere Sectirer
aber konnten ihr Wesen nur im Geheimen treiben und liefen doch noch Ge¬
fahr, von den Späheraugen der Theologen ausgekundschaftet oder wol gar
wie Jacob Böhme von einem fanatisirten Pöbel belästigt zu werden. Den¬
noch aber scheinen allmälig diese volksmäßigen gemein-christlichen Anschau¬
ungen eine größere Verbreitung unter den Massen gefunden zu haben, da sie
^gleich scharsschneidige Waffen abgaben gegen die angeblich im Interesse der
wahren Religion kämpfenden Fürsten. So erschien im Jahre 1636 eine Flug-
lchrift unter dem Titel: Ein güldener Discurs von der Freiheit des Gewis¬
sens und Glaubens, darinn zu finden gründliche Bewehrungen wider die
^lutniänner des neuen Testaments und den hispanisch-inquisitorischen Blut-
rath. nehmlich daß die weltliche Obrigkeit ums Glaubens halber nicht Macht
habe Jemand zu tödten oder den Geistlichen solchergestalt zu willfahren --
'N welcher namentlich auf die Autoritär der Kirchenväter hin dargethan wird,
^le verkehrt und wlderchristlich es sei, die Gewissen regieren zu wollen. Sind
"ber solche Prädicanten so hoch gekommen und gar englisch worden, daß gar
^'n Irrthum noch Mangel bei ihnen ist in Lehr und Leben, wie sie möchten
^meinen, so sollen sie billig andern Schwachgläubigen gnädig und darin-



') Vgl. z. B. eine Verordnung des Landgrafen Georg des Zweiten von Hessen-Darmstadt
^ I- 1629, in Tholuck, Glaudenszeugen. Berlin, 18SS. S. 63--S7.

unter allerlei Volk, meinst du nicht, daß ihre Umlaufe für eine Taufe gerechnet wird,
und wird also dies, so da sonst umgetauft ist und recht und wohl thut, dich
richten, der du unterm EvangeNo und der Taufe bist und ein Uebertreter der
Gebote Christi. Richtet nach dem Geist und nicht »ach dem Buchstaben."
Der Umstand, daß die Heiden vom Dasein Gottes durch Vernunftbeweise
überzeugt werden tonnen, stellt sie mitten in den GnadenkreiH Gottes hinein:
Der Mystiker kommt in der Ethik, allmälig dem Rationalismus des 18. Jahr-
Hunderts so nahe, daß man beinahe seinen Ausgangspunkt vergißt. — W>e
ketzerisch aber in jener Zeit diese Grundsätze über Gewissensfreiheit waren,
geht aus dem hervor, was selbst die erleuchtetsten Theologen, welche
es mit der ethischen Förderung des Volksgeistes am aufrichtigsten meinten, >n
diesem Punkte für das Zweckdienlichste erachteten. Die Anordnungen, welche
man hier und da traf, eine wirksame Kirchenzucht herzustellen, sollten nicht
nur das sittlich-religiöse Leben stärken, sondern zugleich die einzelnen Glieder
in einer geschlossenen dogmatischen Sicherheit befestigen/) Von einer bür¬
gerlichen Gleichstellung der einzelnen Confessionen in unserm suae konnte in
jenen Zeiten überhaupt nicht die Rede sein; der Calvinismus hatte ja noch
nicht einmal Ausnahme im Reichsorganismus gefunden, und Ferdinand der
Zweite so wie Maximilian von Bayern standen immer noch in der fröhlichen
Hoffnung, ihn ganz vom Reichsbodcn vertilgen zu können. Andere Sectirer
aber konnten ihr Wesen nur im Geheimen treiben und liefen doch noch Ge¬
fahr, von den Späheraugen der Theologen ausgekundschaftet oder wol gar
wie Jacob Böhme von einem fanatisirten Pöbel belästigt zu werden. Den¬
noch aber scheinen allmälig diese volksmäßigen gemein-christlichen Anschau¬
ungen eine größere Verbreitung unter den Massen gefunden zu haben, da sie
^gleich scharsschneidige Waffen abgaben gegen die angeblich im Interesse der
wahren Religion kämpfenden Fürsten. So erschien im Jahre 1636 eine Flug-
lchrift unter dem Titel: Ein güldener Discurs von der Freiheit des Gewis¬
sens und Glaubens, darinn zu finden gründliche Bewehrungen wider die
^lutniänner des neuen Testaments und den hispanisch-inquisitorischen Blut-
rath. nehmlich daß die weltliche Obrigkeit ums Glaubens halber nicht Macht
habe Jemand zu tödten oder den Geistlichen solchergestalt zu willfahren —
'N welcher namentlich auf die Autoritär der Kirchenväter hin dargethan wird,
^le verkehrt und wlderchristlich es sei, die Gewissen regieren zu wollen. Sind
"ber solche Prädicanten so hoch gekommen und gar englisch worden, daß gar
^'n Irrthum noch Mangel bei ihnen ist in Lehr und Leben, wie sie möchten
^meinen, so sollen sie billig andern Schwachgläubigen gnädig und darin-



') Vgl. z. B. eine Verordnung des Landgrafen Georg des Zweiten von Hessen-Darmstadt
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[0305] unter allerlei Volk, meinst du nicht, daß ihre Umlaufe für eine Taufe gerechnet wird, und wird also dies, so da sonst umgetauft ist und recht und wohl thut, dich richten, der du unterm EvangeNo und der Taufe bist und ein Uebertreter der Gebote Christi. Richtet nach dem Geist und nicht »ach dem Buchstaben." Der Umstand, daß die Heiden vom Dasein Gottes durch Vernunftbeweise überzeugt werden tonnen, stellt sie mitten in den GnadenkreiH Gottes hinein: Der Mystiker kommt in der Ethik, allmälig dem Rationalismus des 18. Jahr- Hunderts so nahe, daß man beinahe seinen Ausgangspunkt vergißt. — W>e ketzerisch aber in jener Zeit diese Grundsätze über Gewissensfreiheit waren, geht aus dem hervor, was selbst die erleuchtetsten Theologen, welche es mit der ethischen Förderung des Volksgeistes am aufrichtigsten meinten, >n diesem Punkte für das Zweckdienlichste erachteten. Die Anordnungen, welche man hier und da traf, eine wirksame Kirchenzucht herzustellen, sollten nicht nur das sittlich-religiöse Leben stärken, sondern zugleich die einzelnen Glieder in einer geschlossenen dogmatischen Sicherheit befestigen/) Von einer bür¬ gerlichen Gleichstellung der einzelnen Confessionen in unserm suae konnte in jenen Zeiten überhaupt nicht die Rede sein; der Calvinismus hatte ja noch nicht einmal Ausnahme im Reichsorganismus gefunden, und Ferdinand der Zweite so wie Maximilian von Bayern standen immer noch in der fröhlichen Hoffnung, ihn ganz vom Reichsbodcn vertilgen zu können. Andere Sectirer aber konnten ihr Wesen nur im Geheimen treiben und liefen doch noch Ge¬ fahr, von den Späheraugen der Theologen ausgekundschaftet oder wol gar wie Jacob Böhme von einem fanatisirten Pöbel belästigt zu werden. Den¬ noch aber scheinen allmälig diese volksmäßigen gemein-christlichen Anschau¬ ungen eine größere Verbreitung unter den Massen gefunden zu haben, da sie ^gleich scharsschneidige Waffen abgaben gegen die angeblich im Interesse der wahren Religion kämpfenden Fürsten. So erschien im Jahre 1636 eine Flug- lchrift unter dem Titel: Ein güldener Discurs von der Freiheit des Gewis¬ sens und Glaubens, darinn zu finden gründliche Bewehrungen wider die ^lutniänner des neuen Testaments und den hispanisch-inquisitorischen Blut- rath. nehmlich daß die weltliche Obrigkeit ums Glaubens halber nicht Macht habe Jemand zu tödten oder den Geistlichen solchergestalt zu willfahren — 'N welcher namentlich auf die Autoritär der Kirchenväter hin dargethan wird, ^le verkehrt und wlderchristlich es sei, die Gewissen regieren zu wollen. Sind "ber solche Prädicanten so hoch gekommen und gar englisch worden, daß gar ^'n Irrthum noch Mangel bei ihnen ist in Lehr und Leben, wie sie möchten ^meinen, so sollen sie billig andern Schwachgläubigen gnädig und darin- ') Vgl. z. B. eine Verordnung des Landgrafen Georg des Zweiten von Hessen-Darmstadt ^ I- 1629, in Tholuck, Glaudenszeugen. Berlin, 18SS. S. 63—S7.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/305>, abgerufen am 22.07.2024.